Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Versäumnisurteil, das durch einen späteren Vergleich gegenstandslos geworden ist. Kosten des Rechtsstreits. Prozessuale Gestaltungsklage
Leitsatz (amtlich)
Mit der prozessualen Gestaltungsklage analog § 767 Abs. 1 ZPO kann geltend gemacht werden, dass ein Urteil infolge eines Vergleichs wirkungslos geworden ist.
Normenkette
ZPO § 767 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des OLG Karlsruhe vom 2.11.2006 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des LG Karlsruhe vom 29.9.2006 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahrens.
Gründe
I.
[1] Die Parteien streiten um die Kosten des Rechtsstreits nach übereinstimmender Erledigungserklärung. Mit ihrer Klage wandte sich die Klägerin gegen die Vollstreckung aus einem Versäumnisurteil, das durch einen späteren Vergleich gegenstandslos geworden war.
[2] Die Parteien hatten zunächst vor dem LG einen Rechtsstreit umgekehrten Rubrums geführt. Der Beklagte des hiesigen Verfahrens hatte dort gegen die Klägerin ein Versäumnisurteil erwirkt, wonach diese an den Beklagten einen Betrag von 39.364,54 EUR nebst Zinsen zu bezahlen hatte. Aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Versäumnisurteils hatte der Beklagte die Obergerichtsvollzieherin H. mit der Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin beauftragt und einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt, durch den Ansprüche der Klägerin gegenüber ihrer Hausbank gepfändet und dem Beklagten zur Einziehung überwiesen wurden. Nach fristgerechtem Einspruch ist das Verfahren vor dem LG im Einspruchstermin durch Vergleich beendet worden. Im Vergleich verpflichtete sich die hiesige Klägerin, an den Beklagten einen Betrag von 16.250 EUR zu zahlen. Der hiesige Beklagte verpflichtete sich seinerseits, sämtliche Pfändungsmaßnahmen unverzüglich einzustellen und dies der zuständigen Gerichtsvollzieherin mitzuteilen.
[3] Unter dem 19.6.2006 teilte der hiesige Beklagte sowohl den Vertretern der Klägerin als auch der Bank mit, dass nur noch aus einem Betrag i.H.v. 16.250 EUR vollstreckt werde und dies auch der Gerichtsvollzieherin so mitgeteilt worden sei. Sollte der Betrag eingetrieben sein, werde man die Vollstreckungsmaßnahmen im Übrigen zurücknehmen. Am 5. und 6.7.2006 forderte die Klägerin den Beklagten telefonisch auf, noch am 6.7.2006 ggü. der Gerichtsvollzieherin und der Bank mitzuteilen, dass die Vollstreckungsmaßnahmen als gegenstandslos zu betrachten seien. Dies ließ der Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigten zunächst ablehnen. Mit Schriftsatz vom 7.7.2006 teilten die Bevollmächtigten des Beklagten den Rechtsanwälten der Klägerin mit, dass sie die Pfändung zurücknehmen werden. Mit Schriftsätzen vom 10.7.2006 nahm der Beklagte sowohl ggü. der Bank als auch ggü. der Gerichtsvollzieherin jeweils die Pfändung aus dem Versäumnisurteil zurück.
[4] Bereits am 6.7.2006 hat die Klägerin Vollstreckungsgegenklage beim LG eingereicht. Sie hat beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil des LG für unzulässig zu erklären und den Beklagten zu verurteilen, die ihm erteilte vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils an die Klägerin herauszugeben. Der Beklagte hat Zurückweisung der Vollstreckungsabwehrklage beantragt. Nach Aushändigung der vollstreckbaren Ausfertigung des Versäumnisurteils an die Bevollmächtigten der Klägerin am 29.8.2006 hat die Klägerin am 30.8.2006 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dem hat der Beklagte mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 27.9.2006 zugestimmt.
[5] Das LG hat dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt, weil die gegen die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil gerichtete Vollstreckungsabwehrklage zulässig und begründet gewesen sei. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten hat das OLG die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt. Dagegen richtet sich die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
[6] Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Beklagten.
[7] 1. Die gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO mit Bindungswirkung für den BGH zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft (vgl. BGH, Beschl. v. 13.7.2006 - VI ZB 63/03, NJW-RR 2004, 1717 m.w.N.) und auch im Übrigen zulässig.
[8] 2. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO sei nicht der richtige Rechtsbehelf und daher mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig gewesen. Die Klägerin habe sich mit ihrer Klage gegen einen nicht mehr existierenden Titel gewandt, weil das für vorläufig vollstreckbar erklärte Versäumnisurteil durch den vor dem LG geschlossenen Vergleich wirkungslos geworden sei. Zwar habe der BGH in seiner Entscheidung vom 16.7.2004 (IXa ZB 326/03, MDR 2005, 113 = NotBZ 2004, 429 = BGHReport 2004, 1518 = NJW-RR 2004, 1718) den Grundsatz aufgestellt, der Schuldner habe ein Wahlrecht, wenn die Voraussetzungen sowohl des § 732 ZPO als auch die der Vollstreckungsgegenklage in entsprechender Anwendung des § 767 ZPO vorlägen. Dieser Grundsatz gelte nach der zitierten Entscheidung aber nur, wenn es möglich sei, mit einer Vollstreckungsgegenklage eine weitere Klage in entsprechender Anwendung des § 767 ZPO (prozessuale Gestaltungsklage) zu verbinden. Das sei aber nur dann der Fall, wenn gegen den Titel tatsächlich auch materielle Einwendungen erhoben würden. Gehe es dem Schuldner lediglich darum, die Wirkungslosigkeit des Titels feststellen zu lassen, stehe ihm ausschließlich die Klauselerinnerung nach § 732 ZPO zur Verfügung.
[9] 3. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[10] a) Die fehlende Vollstreckungsfähigkeit des Titels kann mit der prozessualen Gestaltungsklage analog § 767 ZPO geltend gemacht werden, ohne dass ein Rechtsschutzinteresse wegen der Möglichkeit, dies mit der Klauselerinnerung nach § 732 ZPO geltend zu machen, zu verneinen wäre (BGH, Urt. v. 7.12.2005 - XII ZR 94/03, BGHZ 165, 223 = MDR 2006, 637 = BGHReport 2006, 302; Beschl. v. 16.7.2004 - IXa ZB 326/03, MDR 2005, 113 = NotBZ 2004, 429 = BGHReport 2004, 1518 = NJW-RR 2004, 1718; Urt. v. 10.3.2004 - IV ZR 143/03, BGHReport 2004, 1234 = MDR 2004, 1069 = NJW-RR 2004, 1275; Urt. v. 2.12.2003 - XI ZR 421/02, MDR 2004, 522 = BGHReport 2004, 535 = VersR 2004, 839; Urt. v. 27.9.2001 - VII ZR 388/00, MDR 2002, 27 = BGHReport 2002, 178 = BauR 2002, 83 = NZBau 2002, 25 = ZfBR 2002, 63; Urt. v. 18.11.1993 - IX ZR 244/92, BGHZ 124, 164, 170 ff. = MDR 1994, 1040). Die prozessuale Gestaltungsklage kann mit einer Vollstreckungsgegenklage, die sich auf materiell-rechtliche Einwendungen stützt, verbunden werden. Ihre Zulässigkeit hängt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts jedoch nicht davon ab, dass sie gemeinsam mit einer Vollstreckungsgegenklage erhoben wird. Für eine derartige einschränkende Voraussetzung fehlt jeglicher sachliche Grund.
[11] b) Mit der prozessualen Gestaltungsklage kann auch die Wirkungslosigkeit eines Titels infolge eines Vergleichs geltend gemacht werden. Auch wenn das Versäumnisurteil durch Abschluss des Vergleichs im Einspruchsverfahren ohne gerichtlichen Ausspruch seine Wirksamkeit verloren hat, stellt es weder ein Nichturteil noch ein nichtiges (wirkungsloses) Urteil dar. Es besitzt weiter den Rechtsschein der Vollstreckungsfähigkeit. Da es der Sache nach um die Vollstreckungsfähigkeit des vorläufig vollstreckbaren Titels geht und diese nach der Systematik der Zivilprozessordnung nur im Wege einer Vollstreckungsgegenklage beseitigt werden kann, rechtfertigt sich die analoge Anwendung des § 767 ZPO (BGH, Urt. v. 18.11.1993 - IX ZR 244/92, BGHZ 124, 164, 170 ff. = MDR 1994, 1040).
[12] 4. Die Kostenentscheidung des LG hält der allein gebotenen summarischen rechtlichen Nachprüfung stand. Die Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig vollstreckbaren Versäumnisurteil war durch Abschluss des nachfolgenden Vergleichs im Einspruchstermin unzulässig geworden, weil der Vergleich dem Versäumnisurteil ohne weiteres die Wirkung und damit die formelle Vollstreckungsfähigkeit genommen hatte, ohne dass es dazu eines gerichtlichen Ausspruchs bedurfte. Der Prozessvergleich beendet im Umfang der Vereinbarung über den Streitgegenstand den Rechtsstreit und die Rechtshängigkeit (Lackmann in Musielak, ZPO, 5. Aufl., § 794, Rz. 19; Wolfsteiner in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 794, Rz. 72; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 794, Rz. 26 ff.). Urteile, die im Rechtsstreit ergangen, aber noch nicht rechtskräftig sind, werden daher ohne weiteres wirkungslos, wenn die Parteien keine anderen Vereinbarungen treffen, etwa, dass aus dem Urteil weiter vollstreckt werden dürfe.
[13] Eine solche Vereinbarung haben die Parteien dieses Rechtsstreits nicht getroffen; vielmehr heißt es unter Ziff. 2 des Vergleiches ausdrücklich, dass der Kläger sich verpflichtet, sämtliche Pfändungsmaßnahmen unverzüglich einzustellen und dies der zuständigen Gerichtsvollzieherin mitzuteilen. Dieser Vereinbarung ist zu entnehmen, dass das Versäumnisurteil keine Grundlage für die Zwangsvollstreckung mehr sein soll.
[14] Die Anwendung des Rechtsgedankens aus § 93 ZPO kommt nicht in Betracht. Der Beklagte hat Anlass zur Klage gegeben. Er war mehrfach von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgefordert worden, Pfändungsmaßnahmen einzustellen, Zwangsvollstreckungsanträge zurückzunehmen und die vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils herauszugeben. Dem ist er trotz seiner Verpflichtung aus dem Vergleich bis zur Erhebung der Vollstreckungsgegenklage nicht nachgekommen.
III.
[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1806222 |
BGHR 2008, 34 |
BauR 2007, 1934 |
EBE/BGH 2007, 331 |
FamRZ 2007, 1881 |
NJW-RR 2007, 1724 |
JurBüro 2007, 662 |
DGVZ 2008, 62 |
InVo 2007, 504 |
JZ 2007, 1112 |
MDR 2007, 1340 |
Rpfleger 2007, 671 |
NZBau 2007, 706 |
PA 2007, 182 |