Verfahrensgang
LG Traunstein (Entscheidung vom 15.03.2022; Aktenzeichen 6 KLs 140 Js 15195/21) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 15. März 2022 im gesamten Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei Urteilen des Amtsgerichts München vom 18. August 2021 und vom 22. November 2021 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die auf die Sachbeschwerde gebotene Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben. Die hierauf festgesetzte Einzelstrafe und die unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei Vorverurteilungen nachträglich gebildete Gesamtstrafe können dagegen keinen Bestand haben.
Rz. 3
a) Für sich genommen rechtsfehlerfrei hat das Landgericht sowohl einen minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) in nicht geringer Menge im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG angenommen als auch die diesen Strafrahmen grundsätzlich sperrende Wirkung des - im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängten - Straftatbestandes des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG mit einer Strafrahmenuntergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe erkannt; der Angeklagte hatte am 28. April 2022 das Marihuana von Österreich nach Deutschland verbracht. Übersehen hat es jedoch zum einen, dass die Sperrwirkung allein die durch den verdrängten Tatbestand vorgegebene Mindeststrafe betrifft, wohingegen hinsichtlich der Höchststrafe die für den Schuldspruch maßgebliche Bestimmung gilt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. September 2020 - 3 StR 469/19, BGHR BtMG § 30a Abs. 3 Strafzumessung 5 Rn. 5 und vom 25. Mai 2010 - 1 StR 59/10 Rn. 17; Urteil vom 4. Februar 2021 - 4 StR 457/20 Rn. 6; je mwN). Danach hätte das Landgericht nicht von einer Strafrahmenobergrenze von 15 Jahren (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 Halbs. 1 StGB) ausgehen dürfen, sondern von einer Höchststrafe von zehn Jahren gemäß § 30a Abs. 3 BtMG.
Rz. 4
Zum anderen hat das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob die besonderen Umstände des Einzelfalls, die es zur Annahme eines minder schweren Falles im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG veranlasst haben, es nicht auch rechtfertigten, einen minder schweren Fall der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 2 BtMG zu bejahen. Wäre - was nicht ausgeschlossen erscheint - auch insoweit ein minder schwerer Fall anzunehmen, so entfiele die Sperrwirkung des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG mit der Folge, dass es bei dem gesetzlichen Strafrahmen des minder schweren Falles im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG sein Bewenden hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 - 4 StR 474/19, BGHR, BtMG § 30a Abs. 3 Strafzumessung 4 Rn. 7).
Rz. 5
Jedenfalls auf dem letztgenannten Rechtsfehler beruht das angefochtene Urteil. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht, wäre es bei der Strafzumessung von einem gegenüber dem angenommenen Strafrahmen von zwei bis 15 Jahren Freiheitsstrafe deutlich reduzierten Strafrahmen von lediglich sechs Monaten bis zehn Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen, die festzusetzende Einzelstrafe deutlich geringer - womöglich in einem der Strafaussetzung zur Bewährung zugänglichen Bereich - bemessen hätte, zumal es sich bei der Strafzumessung im engeren Sinne ohnehin eher an der (vermeintlichen) Strafuntergrenze orientiert hat.
Rz. 6
b) Ist danach schon aus diesem Grund mit dem Einzelstrafausspruch zugleich der Ausspruch der nachträglich gebildeten Gesamtstrafe aufzuheben, so begegnet unabhängig hiervon die Gesamtstrafenbildung Bedenken. Ausgehend von den Daten der den einbezogenen Vorverurteilungen des Amtsgerichts München vom 11. August 2021 und vom 22. November 2021 zugrundeliegenden Taten, wie sie sich aus der auszugsweisen Wiedergabe dieser Entscheidungen in dem angefochtenen Urteil ergeben, wäre die Strafe für die hier abzuurteilende Tat allein mit den Einzelgeldstrafen für den im Mai/Juni 2020 von dem Angeklagten begangenen Betrug und den Diebstahl vom 14. Juni 2021, aus denen das Amtsgericht München mit Urteil vom 11. August 2021 eine noch nicht vollständig getilgte Gesamtgeldstrafe gebildet hat, gesamtstrafenfähig nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB. Denn nur diese drei Taten hat der Angeklagte "vor der früheren Verurteilung begangen". Die dem Urteil des Amtsgerichts München vom 22. November 2021 zugrunde liegende Tat hingegen datiert erst vom 23. September 2021; sie hätte in der zu dem zeitlich ersten Urteil vom 11. August 2021 führenden Hauptverhandlung noch nicht mit verhandelt werden können. Dieses Urteil entfaltet grundsätzlich eine Zäsurwirkung, die einer Einbeziehung der Strafe aus dem zeitlich nachfolgenden Urteil vom 22. November 2021 in die hier zu bildende Gesamtstrafe nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB entgegenstünde.
Rz. 7
Anders verhielte es sich nur dann, wenn auf eine etwaige Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 11. August 2021 - auf deren Einlegung der Eintritt der Rechtskraft (erst) am 7. Oktober 2021 hindeutet - die dortigen tatsächlichen Feststellungen zu einem Zeitpunkt noch einmal geprüft worden wären, zu dem der Angeklagte die den Gegenstand des zweiten Urteils des Amtsgerichts München vom 22. November 2021 bildende Tat vom 23. September 2021 bereits begangen hatte. Allein in diesem Fall hätten alle hier in Rede stehenden Einzelstrafen schon zu einem gemeinsamen früheren Zeitpunkt verhängt und hätte aus ihnen eine Gesamtstrafe gebildet werden können. Zu Einleitung und Ablauf eines etwaigen Berufungsverfahrens hat das Landgericht jedoch keine Feststellungen getroffen. Die Gesamtstrafenfähigkeit der Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 22. November 2021 lässt sich daher nicht allein anhand der Urteilsurkunde beurteilen. Entsprechendes gilt, wenn es sich bei dem Urteil des Amtsgerichts München vom 11. August 2021 um einen Strafbefehl handeln sollte, gegen den der Angeklagte Einspruch eingelegt hatte mit der Folge, dass hierüber nach Tatsachenverhandlung entschieden wurde.
Rz. 8
c) Die Einzelstrafe wegen der hier abzuurteilenden Tat und die Gesamtstrafe unterliegen somit der Aufhebung. Indes sind die zugehörigen Feststellungen von den vorgenannten Fehlern unberührt, so dass sie bestehen bleiben können (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Weitergehende Feststellungen, die zu den bislang getroffenen nicht in Widerspruch stehen, sind möglich und - wie dargelegt - teilweise geboten.
Rz. 9
2. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache erneuter Prüfung. Zu der Strafzumessung im engeren Sinne, die die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer erneut vorzunehmen haben wird, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass Bedenken bestehen, allein aus den am Tattag in dem von dem Angeklagten geführten Fahrzeug sowie in seiner Wohnung aufgefundenen Mengen an Zigaretten und Tabakfeinschnitt darauf zu schließen, dass der Angeklagte einer "professionellen Schmugglertätigkeit" nachgegangen sein könnte. Diese Wertung beeinflusst die getroffenen Feststellungen als solche jedoch nicht, weshalb diese bestehen bleiben können. Die nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellte Tat wurde nach den Urteilsgründen prozessordnungsgemäß festgestellt; sie darf daher für die Strafzumessung herangezogen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 1981 - 3 StR 83/81 BGHSt 30, 165).
Jäger |
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Hohoff |
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Leplow |
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Pernice |
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Munk |
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Fundstellen
Haufe-Index 15380238 |
StV 2023, 477 |