Verfahrensgang

OLG Koblenz (Entscheidung vom 25.10.2021; Aktenzeichen 13 UF 396/21)

AG Linz (Entscheidung vom 22.06.2021; Aktenzeichen 4 F 156/20)

 

Tenor

Der Antragsgegnerin wird wegen Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats - 1. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz vom 25. Oktober 2021 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der vorgenannte Beschluss aufgehoben.

Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Wert: 15.627 €

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die im Juni 2004 geborene Antragstellerin macht als Tochter der Antragsgegnerin gegen diese Kindesunterhalt für die Zeit ab Juli 2018 geltend.

Rz. 2

Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin für die Zeit ab November 2020 zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des jeweiligen Mindestunterhalts abzüglich des hälftigen Kindergelds sowie eines Unterhaltsrückstands für die Zeit von Juli 2018 bis Oktober 2020 von insgesamt 10.652 € nebst Zinsen verpflichtet.

Rz. 3

Gegen den am 25. Juni 2021 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 22. Juli 2021 Beschwerde eingelegt. Mit am 23. September 2021 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag hat die Antragsgegnerin innerhalb der vom Oberlandesgericht bis zum 27. September 2021 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt und nähere Ausführungen zur Begründung „des Verfahrenskostenhilfegesuchs und der Beschwerde“ gemacht.

Rz. 4

Auf den Hinweis des Oberlandesgerichts, die Beschwerde sei mangels Sachantrags unzulässig, hat die Antragsgegnerin mit Anwaltsschriftsatz vom 19. Oktober 2021 beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und den Unterhaltsantrag abzuweisen. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde als unzulässig verworfen und das Verfahrenskostenhilfegesuch zurückgewiesen. Mit der gegen die Verwerfung der Beschwerde eingelegten Rechtsbeschwerde erstrebt die Antragsgegnerin die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

II.

Rz. 5

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Rz. 6

1. Sie ist nach §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Antragsgegners auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Januar 2023 - XII ZB 538/21 - FamRZ 2023, 711 Rn. 5 mwN).

Rz. 7

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

Rz. 8

a) Nach Auffassung des Beschwerdegerichts genügt die Beschwerde nicht den Anforderungen nach § 117 Abs. 1 FamFG, weil die Antragsgegnerin nicht innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist einen Sachantrag gestellt habe. Die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung von Amts wegen solle gerade nicht stattfinden. Vielmehr müsse der Beschwerdeführer durch den obligatorischen bestimmten Sachantrag bestimmen, in welchem Umfang er die erstinstanzliche Entscheidung angreife. Zwar sei ein förmlicher Beschwerdeantrag nicht erforderlich, die innerhalb der Begründungsfrist eingereichten Schriftsätze müssten aber ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig erkennen lassen, in welcher Weise der angefochtene Beschluss abgeändert werden solle.

Rz. 9

Es möge auch sein, dass die Antragsgegnerin den amtsgerichtlichen Beschluss insgesamt für fehlerhaft gehalten und diese Ansicht im Rahmen der Beschwerde zum Ausdruck gebracht habe. Indes folge aus dem ausdrücklichen Vorbehalt in ihrem Schriftsatz vom 23. September 2021, dass ein Sachantrag erst nach Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, und zwar auch nur im Umfang der gewährten Verfahrenskostenhilfe gestellt werden solle. Dann hätte sie aber zunächst innerhalb der Beschwerdefrist isoliert einen Verfahrenskostenhilfeantrag für eine beabsichtigte Beschwerde stellen und nach Gewährung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen sowie Beschwerde einlegen müssen.

Rz. 10

b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Rz. 11

aa) Die Rechtsbeschwerde bringt zu Recht vor, dass die im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 23. September 2021 enthaltene Begründung hinreichend deutlich erkennen lässt, dass der angefochtene Beschluss in vollem Umfang angegriffen werden soll (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Februar 2023 - XII ZB 351/21 - FamRZ 2023, 877 Rn. 9 f. mwN). Dies hat das Beschwerdegericht insoweit der Sache nach auch unterstellt, indem es ausgeführt hat, es möge sein, dass die Antragsgegnerin den angefochtenen Beschluss insgesamt für fehlerhaft gehalten und diese Ansicht auch zum Ausdruck gebracht habe.

Rz. 12

bb) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts rechtfertigt die Ankündigung der Antragsgegnerin, sie beabsichtige, ihre Anträge im Beschwerdeverfahren im Rahmen der gewährten Verfahrenskostenhilfe zu stellen, eine Verwerfung des Rechtsmittels nicht.

Rz. 13

(1) Die Rechtsbeschwerde beruft sich insoweit zu Recht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass bei gleichzeitig gestellten Sachanträgen und Verfahrenskostenhilfeanträgen im Zweifel die Auslegung geboten ist, dass der Sachantrag nicht durch die Verfahrenskostenhilfebewilligung bedingt sein soll (vgl. Senatsbeschluss vom 17. April 2019 - XII ZB 546/18 - FamRZ 2019, 1155 Rn. 6 mwN; BGH Urteil vom 25. Oktober 2017 - VIII ZR 135/16 - NJW-RR 2018, 497 Rn. 17 mwN). Daran gemessen ist im vorliegenden Fall auch die Auslegung möglich, dass nicht schon der aus der Rechtsmittelbegründung angekündigte Antrag bedingt, sondern lediglich der insbesondere in der mündlichen Verhandlung schließlich noch zu stellende Antrag auf den Umfang der Verfahrenskostenhilfebewilligung beschränkt werden sollte. Da der Rechtsmittelantrag somit im Zweifel nicht unter der Bedingung der Verfahrenskostenhilfebewilligung steht, sind auch die gesetzlichen Voraussetzungen der Rechtsmittelbegründung nach § 117 Abs. 1 FamFG erfüllt.

Rz. 14

(2) Selbst wenn aber davon abweichend nach dem Schriftsatz vom 23. September 2021 ein Sachantrag erst nach Verfahrenskostenhilfebewilligung angekündigt werden sollte, wäre eine Verwerfung des Rechtsmittels auch vom Standpunkt des Beschwerdegerichts nicht gerechtfertigt gewesen. Denn entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts ist ein verfahrenskostenhilfebedürftiger Beteiligter nicht nur an der Einlegung des Rechtsmittels gehindert, sondern - im Fall der Einlegung - auch an dessen Begründung. In diesem Fall ist also nach Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Nachholung der Rechtsmittelbegründung Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Begründungsfrist zu gewähren (vgl. Senatsbeschluss vom 5. März 2008 - XII ZR 182/04 - FamRZ 2008, 1063 Rn. 17).

Rz. 15

3. Der angefochtene Beschluss kann somit keinen Bestand haben. Da schon der innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist eingegangene Schriftsatz vom 23. September 2021 eine hinreichende Beschwerdebegründung enthält, wird das Beschwerdegericht in der Sache zu entscheiden haben. Dabei wird sowohl in verfahrensrechtlicher wie auch in materiellrechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen sein, dass die Antragstellerin inzwischen volljährig geworden ist.

Günter     

Klinkhammer     

Nedden-Boeger

Botur      

Krüger      

 

Fundstellen

Haufe-Index 15940992

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