Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 04.08.2004) |
Tenor
1. Auf den Antrag des Angeklagten nach § 346 Abs. 2 StPO wird der Beschluß des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. August 2004, durch den die Revision des Angeklagten gegen das Urteil dieses Gerichts vom 8. März 2004 verworfen worden ist, aufgehoben.
2. Die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Die Urteilsformel wird dahingehend geändert, daß es sich bei der Verfallsanordnung um Verfall des Wertersatzes (§§ 73, 73a StGB) handelt.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
1. Der die Revision des Angeklagten verwerfende Beschluß des Landgerichts hat keinen Bestand.
a) Die stellvertretende Vorsitzende der Strafkammer hat am 13. April 2004 angeordnet, das Urteil dem Pflichtverteidiger Rechtsanwalt S. zuzustellen. Die Geschäftsstelle des Landgerichts hat diesem am 19. April 2004 eine Urteilsausfertigung unter Beifügung eines Empfangsbekenntnisses übersandt (Bd. IX Bl. 246 R SA). Die Poststelle des Landgerichts hat dem Verteidiger am 10. Mai 2004 auf dessen Antrag die Verfahrensakten zur Einsichtnahme versandt (Bd. IX Bl. 337 SA). In dem der Sendung beigefügten Anschreiben ist der Verteidiger aufgefordert worden, das Empfangsbekenntnis hinsichtlich der Zustellung des Urteils unverzüglich zurückzusenden (Bd. IX Bl. 316 SA). Zwischen dem 1. und 21. Juni 2004 sind drei schriftliche und drei fernmündliche Aufforderungen zur Aktenrücksendung erfolglos geblieben (Bd. IX Bl. 336 R bis Bl. 341 SA). Nachdem die Vorsitzende der Strafkammer Rechtsanwalt S mit Schreiben vom 24. Juni 2004 die Unterrichtung der Rechtsanwaltskammer und die Inanspruchnahme von Amtshilfe durch den Präsidenten des Landgerichts Berlin für den Fall unterlassener Aktenrücksendung bis 28. Juni 2004 angekündigt hatte, hat der Pflichtverteidiger mit Schriftsatz vom 28. Juni 2004 eine Quittung über die Rücksendung der Akten übersandt.
Das Landgericht hat in seinem die Revision verwerfenden Beschluß den fehlenden Nachweis der Zustellung des Urteils durch die spätestens am 28. Juni 2004 erfolgte Einsichtnahme in die Verfahrensakten gemäß § 37 Abs. 1 StPO, § 189 ZPO als geheilt angesehen und das Ende der Revisionsbegründungsfrist auf den 28. Juli 2004 festgelegt.
Der Pflichtverteidiger hat in seinem Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts vom 16. August 2004 darauf hingewiesen, daß er keine Einsicht in die Verfahrensakte genommen habe, da es in Ermangelung einer Zustellung des Urteils für ein solches Tätigwerden keine Veranlassung gegeben habe.
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Revisionsbegründungsfrist am 28. Juli 2004 nicht abgelaufen. Zwar ergibt sich aus dem Zusammenhang der Begründung des die Revision verwerfenden Beschlusses, daß das Landgericht den von § 189 ZPO gebotenen tatsächlichen Zugang des Urteils nicht schon in einer Akteneinsicht des Pflichtverteidigers am 28. Juni 2004 erblickt, was nicht als Übergabe eines zuzustellenden Schriftstücks an einen Adressaten gewertet werden könnte (vgl. BGH DB 1981, 368; BGH NJW 2001, 1946, 1947). Vielmehr stellt das Landgericht ersichtlich darauf ab, daß dem Verteidiger eine Urteilsausfertigung nach dem 19. April 2004 – mit dem vorbereiteten Empfangsbekenntnis – zugegangen ist und der Verteidiger spätestens am 28. Juni 2004 von dem Urteil Kenntnis genommen hat. Damit sind vorliegend die Voraussetzungen des § 189 ZPO aber nicht erfüllt. Diese Vorschrift ist nämlich in den Fällen einer Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nur anwendbar, wenn der Adressat auch empfangsbereit ist (vgl. BGHR ZPO § 212a Empfangsbereitschaft 1; Münchener Kommentar ZPO/Aktualisierungsband-Wenzel, 2. Aufl. § 189 Rdn. 6). Dies war nach dem Vortrag des Verteidigers aber am 28. Juni 2004 nicht der Fall. Die Darlegung des Pflichtverteidigers, trotz Aktenbesitzes über einen langen Zeitraum hinweg keine Akteneinsicht genommen zu haben, erscheint glaubhaft, weil diese Pflichtwidrigkeit in der verfahrenssabotierenden zeitweiligen Aktenunterdrückung eine Bestätigung findet.
2. Das Revisionsverfahren ist gleichwohl entscheidungsreif. Die Revisionsbegründungsfrist ist am 16. September 2004 abgelaufen. Gemäß § 37 Abs. 1 StPO, § 189 ZPO gilt das Urteil des Landgerichts dem Pflichtverteidiger als am 16. August 2004 zugestellt. Das Landgericht hat bei der Übersendung der Urteilsausfertigung unter Beifügung eines Empfangsbekenntnisses mit dem erforderlichen Zustellungswillen gehandelt (vgl. BGHR ZPO (a.F.) § 189 Zustellungswille 1). Am 16. August 2004 war der Verteidiger auch empfangsbereit. Er hat seinen Annahmewillen dadurch konkludent zum Ausdruck gebracht, daß er sich auf den Inhalt des zugegangenen Schriftstücks eingelassen hat (vgl. BGHR ZPO § 212a Empfangsbereitschaft 1; Wenzel aaO). Solches ist hier geschehen, weil der Pflichtverteidiger in seiner mit Schriftsatz vom 16. August 2004 gefertigten und am gleichen Tag beim Landgericht eingegangenen Revisionsbegründung in der ausgeführten Sachrüge das angegriffene Urteil in Bezug genommen hat. Seiner dadurch zum Ausdruck gekommenen Empfangsbereitschaft stünde nicht entgegen, wenn der Verteidiger die Zustellung – etwa mit einer unzutreffenden Rechtsansicht – zurückgewiesen hätte (vgl. BGHR aaO). Dies ist deshalb nicht der Fall, weil sich der Verteidiger hier pflichtwidrig geweigert hat, vom Urteil und dem Inhalt der Verfahrensakten überhaupt Kenntnis zu nehmen. Es liegt auch eine ausreichende Bezugnahme auf die vom Gericht übersandte Urteilsausfertigung vor (vgl. BGHR aaO). Soweit der Verteidiger vorträgt, er habe sich vor Fertigung der Revisionsbegründung das Urteil von seinem Mandanten zusenden lassen, steht dies einem Zugang der vom Landgericht dem Verteidiger übersandten Urteilsausfertigung nicht entgegen. Der Verteidiger hat nämlich den Zugang der Urteilsausfertigung und des Empfangsbekenntnisses – dessen Rücksendung vergeblich angemahnt worden war – nicht in Abrede gestellt, sondern lediglich vorgetragen, das Urteil sei ihm „nicht zur Kenntnis gelangt” (S. 2 des Schriftsatzes vom 16. August 2004) und „in Ermangelung einer Kenntnisnahme von dem Urteil” (S. 3 ebenda) sei er davon ausgegangen, die Frist zur Begründung der Revision sei noch nicht abgelaufen.
Einer Entscheidung über den hilfsweise gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung hinsichtlich der Anbringung der Revisionsbegründung bedarf es demnach nicht mehr.
3. Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Sie ist aus den Gründen der Antragschrift des Generalbundesanwalts vom 4. November 2004 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 22. November 2004 hat vorgelegen. Wie der Generalbundesanwalt im einzelnen dargelegt hat, ist die Verfallsanordnung aber anstatt auf den erweiterten Verfall auf den Verfall des Wertersatzes zu stützen.
Unterschriften
Harms, Häger, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2558394 |
NStZ-RR 2005, 77 |