Verfahrensgang
LG Osnabrück (Urteil vom 28.09.2020; Aktenzeichen 10 KLs 12/20 720 Js 62371/18) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 28. September 2020 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts hat das Landgericht die im Fall II.1 der Urteilsgründe abgeurteilte Tat rechtsfehlerfrei als unerlaubten Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AufenthG gewertet. Denn auch nach der zur Tatzeit gültigen Verordnung (EG) Nr. 539/2001 vom 15. März 2001 war der Angeklagte, der ukrainischer Staatsangehöriger ist, ein sog. „Positivstaater”, der nach Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang II der Verordnung bei einem Kurzaufenthalt von bis zu drei Monaten von dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit war, sofern er – wie hier – Inhaber eines biometrischen Reisepasses ist.
Auch die durch das Landgericht festgestellte, bereits bei Einreise bestehende Absicht des Angeklagten, in Deutschland eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar entsteht mit Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auch für einen sog. „Positivstaater” nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 vom 15. März 2001 in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Aufenthaltsverordnung (im Folgenden AufenthVO) eine Visumspflicht mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt bei Fehlen eines solchen der Tatbestand des unerlaubten Aufenthalts gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AufenthG erfüllt ist. Die Strafbarkeit des Ausländers bei der Einreise und bis zur Aufnahme der Erwerbstätigkeit bemisst sich jedoch ausschließlich nach objektiven Kriterien; auf einen individuell verfolgten Aufenthaltszweck kommt es hierbei nicht an (vgl. BGH, Urteile vom 11. Februar 2000 – 3 StR 308/99, BGHR AuslG § 92 unerlaubter Aufenthalt 2; vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04, BGHSt 50, 105, 110 ff.; vom 8. März 2017 – 5 StR 333/16, NJW 2017, 1624 Rn. 9; vom 26. Januar 2021 – 1 StR 289/20, juris Rn. 39 ff.; Beschluss vom 25. September 2012 – 4 StR 142/12, NStZ 2013, 481, 482). Der Bundesgerichtshof hat dies betreffend die Strafbarkeit sog. „Positivstaater” nach § 92 des Ausländergesetzes (BGBl. 1990 I S. 1354) mit Urteil vom 27. April 2005 (2 StR 457/04, BGHSt 50, 105, 119 f.) entschieden. Die Ersetzung des Ausländergesetzes durch das Aufenthaltsgesetz mit Wirkung zum 1. Januar 2005 (vgl. Art. 15 Abs. 3 Nr. 1 Zuwanderungsgesetz, BGBl. 2004 I S. 1950 ff.) gibt keinen Anlass zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung (vgl. dazu BGH, Urteile vom 8. März 2017 – 5 StR 333/16, NJW 2017, 1624 Rn. 9; vom 26. Januar 2021 – 1 StR 289/20, juris Rn. 55; so auch OLG Celle, Beschluss vom 13. Mai 2014 – 1 Ws 216/14, juris Rn. 11; Erbs/Kohlhaas/Senge, AufenthG, 199. EL, § 95 Rn. 6; BeckOK Ausländerrecht/Hohoff, 28. Ed., AufenthG, § 95 Rn. 16.1; aA MüKoStGB/ Gericke, 3. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 40; Bergmann/Dienelt/Winkelmann/Kolber, Ausländerrecht, 13. Aufl., § 14 AufenthG Rn. 13). Das folgt schon aus der Begründung zu dem Gesetzentwurf zum Aufenthaltsgesetz, wonach sich die Erforderlichkeit des Aufenthaltstitels nach objektiven Kriterien und nicht nach dem beabsichtigten Zweck bemessen soll. Der Gesetzgeber wollte insoweit gerade eine Klarstellung angesichts der unterschiedlichen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur (vgl. BT-Drucks. 22/03, S. 164; BT-Drucks. 15/420, S. 73; BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 – 1 StR 289/20, juris Rn. 50).
Aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 AufenthVO ergibt sich nichts Anderes (so aber MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 40). Denn § 17 Abs. 1 AufenthVO stellt hinsichtlich der Befreiung von der Visumspflicht nicht darauf ab, ob die einreisende Person bei Betreten des Bundesgebiets die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beabsichtigt, sondern darauf, ob diese eine solche bei Einreise bereits ausübt.
2. Der Senat kann die Verwerfung der Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss aussprechen. Der Generalbundesanwalt hat einen entsprechenden Antrag gestellt, jedoch mit der Maßgabe, den Schuldspruch im Fall II.1 der Urteilsgründe – von unerlaubtem Aufenthalt im Bundesgebiet in Tateinheit mit Urkundenfälschung in unerlaubte Einreise in das Bundesgebiet in Tateinheit mit Urkundenfälschung – abzuändern. Der Zusatz hindert den Senat nicht an der uneingeschränkten Verwerfung des Rechtsmittels (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2011 – 5 StR 111/11, juris mwN).
Unterschriften
Spaniol, Wimmer, Berg, RiBGH Hoch befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift gehindert. Spaniol, Kreicker
Fundstellen
Haufe-Index 14446864 |
NStZ-RR 2021, 190 |