Verfahrensgang
Anwaltsgerichtshof Hamm (Entscheidung vom 29.04.2022; Aktenzeichen 1 AGH 40/21) |
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 29. April 2022 wird abgelehnt.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger ist seit 2001 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 2. September 2021 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Der Anwaltsgerichtshof hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Der Kläger beantragt nunmehr die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Rz. 2
Der Antrag ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Rz. 3
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. nur Senat, Beschluss vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 3). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 7. März 2019 - AnwZ (Brfg) 66/18, juris Rn. 5).
Rz. 4
Entsprechende Zweifel vermag der Kläger nicht darzulegen. Das Urteil des Anwaltsgerichtshofs steht im Einklang mit der Senatsrechtsprechung.
Rz. 5
a) Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das Vorverfahren entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 4 und vom 7. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 55/18, juris Rn. 5; jeweils mwN).
Rz. 6
b) Das Vorbringen des Klägers begründet keine ernstlichen Zweifel an der Annahme des Anwaltsgerichtshofs, dass sich der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids in Vermögensverfall befunden hat.
Rz. 7
aa) Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs war der Kläger zum Zeitpunkt des Widerrufs wegen drei Forderungen in dem vom Vollstreckungsgericht zu führenden Verzeichnis eingetragen (§ 882b ZPO). Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wird der Vermögensverfall des Klägers deshalb widerlegbar vermutet. Soweit der Kläger im Zulassungsantrag geltend macht, dass im Zeitpunkt des Widerrufsbescheids lediglich die drei im Urteil des Anwaltsgerichthofs genannten Eintragungen im Schuldnerverzeichnis mit einer Gesamtforderungshöhe von 857,02 € vorlagen, die weiteren dort als Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall genannten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen Begleichung der diesen zugrundeliegenden Forderungen jedoch erledigt waren, ist dies nicht entscheidungserheblich. Denn bereits auf Grund der drei Eintragungen im Schuldnerverzeichnis war das Vorliegen des Vermögensverfalls nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu vermuten, so dass es nicht darauf ankommt, ob auch die weiteren im Urteil des Anwaltsgerichtshofs genannten Forderungen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im Zeitpunkt des Widerrufsbescheids noch unerledigt waren.
Rz. 8
bb) Zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung hat der Rechtsanwalt ein auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids bezogenes vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und seiner Verbindlichkeiten vorzulegen und konkret darzulegen, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet waren (vgl. nur Senat, Beschluss vom 14. August 2019 - AnwZ (Brfg) 40/19, juris Rn. 9 mwN).
Rz. 9
Diesen Vorgaben entsprechend hat der Anwaltsgerichtshof darauf abgestellt, dass der Kläger auch unter Berücksichtigung des Vortrags im Schriftsatz vom 22. April 2022 seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht vollumfänglich dargelegt hat. Damit fehlt es bereits an der Grundvoraussetzung für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung. Das Vorbringen im Zulassungsantrag stellt dies nicht ernstlich in Frage. Es enthält weder eine vollständige, geordnete und belegte Darstellung der Verbindlichkeiten sowie der Vermögens-, Einkommens- und Ausgabensituation des Klägers bezogen auf den Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung noch verweist es auf eine derartige vollständige und schlüssige Darlegung in der Vorinstanz. Der Kläger befasst sich im Zulassungsantrag vielmehr nur mit einzelnen Aspekten seiner Vermögensverhältnisse, insbesondere mit den im Urteil des Anwaltsgerichtshofs genannten Forderungen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, mit dem Stand seines Geschäftskontos und mit seiner Immobilie. Zudem behauptet er im Zulassungsantrag pauschal und ohne Nachweis, dass er keine Schulden habe. Dies genügt den oben genannten Anforderungen an eine umfassende Darlegung der finanziellen Situation nicht. Das Vorbringen ist demnach nicht geeignet, die Vermutung des Vermögensverfalls zu widerlegen und die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs ernstlich in Frage zu stellen.
Rz. 10
Unerheblich ist insoweit der Verweis des Klägers im Zulassungsantrag darauf, dass die den Eintragungen zu Grunde liegenden Forderungen sowohl einzeln betrachtet als auch in ihrer Gesamtsumme nur von geringer Höhe seien. Denn der Umstand, dass es der Kläger sogar wegen vergleichsweise geringfügiger Forderungen zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und Eintragungen im Schuldnerverzeichnis hat kommen lassen, spricht für und nicht gegen das Vorliegen eines Vermögensverfalls (vgl. Senatsurteil vom 3. Mai 2021 - AnwZ (Brfg) 63/18, juris Rn. 42 mwN).
Rz. 11
Der Verweis des Klägers auf das im Zeitpunkt des Widerrufsbescheids bestehende Kontoguthaben von 11.366,95 € auf seinem Geschäftskonto ist ebenfalls nicht geeignet, die Vermutung des Vermögensverfalls zu entkräften. Zwar übersteigt dieser Betrag die Gesamtsumme der Forderungen, deretwegen Eintragungen im Schuldnerverzeichnis bestanden, erheblich. Indes widerlegt eine isolierte Gegenüberstellung dieses Guthabens und der offenen Forderungen die Vermutung des Vermögensverfalls nach den oben genannten Kriterien nicht. Denn ohne Kenntnis der sonstigen Vermögens-, Einnahmen- und Ausgabensituation des Klägers lässt sich nicht beurteilen, ob die Vermögensverhältnisse insgesamt tatsächlich - entgegen der gesetzlichen Vermutung - geordnet waren. Gerade der Umstand, dass der Kläger trotz dieses Kontoguthabens in Kenntnis des drohenden Widerrufs die vergleichsweise geringen Forderungen, die den Eintragungen zu Grunde liegen, nicht vor Erlass des Widerrufsbescheids beglichen hat, führt zu erheblichen Zweifeln hieran, die auch nicht durch den Verweis des Klägers auf seine schwierige persönliche Lebenssituation und die hohe berufliche Belastung ausgeräumt werden können.
Rz. 12
Die Vermutung des Vermögensverfalls wird auch nicht durch den Vortrag des Klägers zu der in seinem Eigentum stehenden Immobilie widerlegt. Abgesehen davon, dass - wie ausgeführt - die isolierte Nennung von Vermögenswerten hierfür schon nicht geeignet ist, ist Immobilienvermögen nach ständiger Senatsrechtsprechung ohnehin nur von Relevanz, wenn es dem Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zulassungswiderrufs als liquider Vermögenswert zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten zur Verfügung gestanden hat (vgl. nur Senat, Beschluss vom 29. April 2019 - AnwZ (Brfg) 21/19, juris Rn. 8). Der Vortrag des Klägers lässt Rückschlüsse auf eine solche Liquidität nicht zu.
Rz. 13
c) Das Vorbringen des Klägers begründet auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Anwaltsgerichtshofs, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden vorliegt. Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft. Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt mindestens voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Selbst auferlegte Beschränkungen des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts sind dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 12. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 7). Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Gefährdung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung ausnahmsweise nicht bestand, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Nicht ausreichend ist insoweit, dass nach Angaben des Klägers Mandantengelder auf ein eigenes Fremdgeldkonto eingehen. Auch das Vorliegen von Immobilienvermögen oder ein Guthaben auf dem Geschäftskonto führen nicht dazu, dass eine Gefährdung der Rechtsuchenden zum maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung nicht bestand.
Rz. 14
2. Auch ein entscheidungserheblicher Verfahrensmangel (§ 112e Satz 2 BRAO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor.
Rz. 15
Der Anwaltsgerichtshof hat insbesondere entgegen der Auffassung des Klägers nicht in entscheidungserheblicher Weise gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen oder den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem er den Vortrag des Klägers zu seinem Immobilienvermögen nicht berücksichtigt und hierzu auch keine Nachfragen gestellt hat. Denn auch bei Berücksichtigung des diesbezüglichen Vorbringens im Zulassungsantrag kann - wie ausgeführt - ein Vermögensverfall nicht verneint werden.
III.
Rz. 16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
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Fundstellen
Dokument-Index HI15467061 |