Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer
Leitsatz (amtlich)
Rechtsbeistände alten Rechts, deren Erlaubnis einen anderen Bereich als den des Sozial- oder Sozialversicherungsrechts ausnimmt, können grundsätzlich nicht Mitglied der Rechtsanwaltskammer werden.
Normenkette
BRAO § 209 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 9. März 1998 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen sowie die der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Beschwerdewert wird auf 25.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der im Jahre 1939 geborene Antragsteller wurde zum Rechtsanwalts- und Notargehilfen ausgebildet und war seit 1971 in der Kanzlei seines als Rechtsbeistand zugelassenen Schwiegervaters als Bürovorsteher tätig. Am 26. Oktober 1977 wurde dem Antragsteller die Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten für den Ort S. erteilt. Am Schluß dieser Verfügung heißt es:
Diese Erlaubnis gilt nicht für den Bereich der Straf- und Ordnungswidrigkeiten.
Herr F. [Antragsteller] ist berechtigt, die Berufsbezeichnung „Rechtsbeistand” zu führen.
Der Antragsteller arbeitete anschließend als angestellter Rechtsbeistand; seit dem Jahre 1993 ist er selbständig tätig.
Der Antragsteller beabsichtigt, eine Sozietät mit einem Rechtsanwalt zu gründen, und hat deshalb beantragt, ihn in die Anwaltskammer aufzunehmen. Diesen Antrag hat die Präsidentin des Oberlandesgerichts C. mit Verfügung vom 16. Juli 1997 zurückgewiesen. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte keinen Erfolg. Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§§ 209 Abs. 1 Satz 3, 42 Abs. 1 Nr. 2 BRAO), in der Sache jedoch nicht gerechtfertigt.
1. Personen, die im Besitz einer uneingeschränkten oder unter Ausnahme lediglich des Sozial- oder Sozialversicherungsrechts erteilten Erlaubnis zur geschäftsmäßigen Rechtsbesorgung sind, sind auf Antrag in die zuständige Rechtsanwaltskammer aufzunehmen (§ 209 Abs. 1 Satz 1 BRAO). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt der Beschwerdeführer nicht.
a) Der Beschwerdeführer hat keine Vollerlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten erhalten. Die ihm erteilte Urkunde vom 26. Oktober 1977 schließt eine entsprechende Tätigkeit im Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts aus. Der Beschwerdeführer hatte zuvor ausdrücklich erklärt, daß eine entsprechende Einschränkung seinen Wünschen entsprach.
Die Erlaubnisurkunde ist nicht etwa in sich widersprüchlich, weil sie ihm zugleich die Befugnis erteilt hat, die Berufsbezeichnung „Rechtsbeistand” zu führen. Zu Unrecht verweist der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf § 4 Abs. 1 Satz 1 der 2. AVO zum Rechtsberatungsgesetz. Danach dürfen Einzelpersonen, denen die unbeschränkte Erlaubnis nach Art. I § 1 RBerG erteilt worden ist, nur die Berufsbezeichnung „Rechtsbeistand” führen. Sinn und Zweck dieser Vorschrift liegt darin, diesen Rechtsbeiständen die Verwendung jeder anderen Berufsbezeichnung zu untersagen. Diese Norm besagt dagegen nicht, daß die Berufsbezeichnung „Rechtsbeistand” den Personen vorbehalten sein soll, die eine umfassende Erledigung zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten erhalten haben. Auch derjenige, dem nach altem Recht nur eine Teilerlaubnis erteilt wurde, darf sich „Rechtsbeistand” nennen (Altenhoff/ Busch/Chemnitz, RBerG 10. Aufl. Rdnr. 1225, 1230; Rennen/Calibe, RBerG 2. Aufl. 2. AVO § 4 Rdnr. 7). Die am 26. Oktober 1977 erteilte Erlaubnis, sich als Rechtsbeistand zu bezeichnen, war daher nicht geeignet, bei dem Beschwerdeführer ein Vertrauen darauf zu begründen, ihm sei eine uneingeschränkte Beratungsbefugnis erteilt worden.
b) Der Beschwerdeführer beruft sich weiter auf das Schreiben des Präsidenten des Landgerichts V. vom 7. Februar 1995. Dieses Schreiben befaßte sich jedoch allein mit einem Antrag des Beschwerdeführers, ihn als Prozeßagenten zu bestellen, und hatte keine Entscheidung vorzubereiten, die die Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten betraf. Der in diesem Schreiben enthaltene, ersichtlich unzutreffende Hinweis auf eine angeblich unbeschränkte Rechtsberatungserlaubnis konnte daher keine Rechte begründen, die der Beschwerdeführer bis dahin nicht erworben hatte.
c) § 209 Abs. 1 Satz 1 BRAO ermöglicht auch den Rechtsbeiständen die Aufnahme in die Anwaltskammer, die keine Erlaubnis im Sozial- oder Sozialversicherungsrecht erhalten haben. Diesen Personen kann der Antragsteller nicht deshalb gleichgestellt werden, weil die ihm erteilte Erlaubnis lediglich das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ausgenommen hat, sich also auf die übrigen Rechtsbereiche erstreckt.
Die Regelung des § 209 Abs. 1 Satz 1 BRAO ist im Zuge der Neugestaltung des Rechts der Rechtsbeistände getroffen worden. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, daß dieser Personenkreis, soweit ihm eine Vollerlaubnis erteilt wurde, nach dem Umfang der ihm gestatteten Rechtsbesorgung dem Rechtsanwaltsberuf näher steht als dem des Rechtsbeistands nach neuem Recht. Die Gleichstellung derjenigen Rechtsbeistände, deren Erlaubnis lediglich das Sozial- oder Sozialversicherungsrecht nicht umfaßt, beruht darauf, daß in den meisten Bundesländern der Präsident des zuständigen Landessozialgerichts die Erlaubnis zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht erteilt und deshalb die Präsidenten mancher Land- oder Amtsgerichte das Sozialrecht von der Erteilung der Erlaubnis zur Rechtsbesorgung ausgenommen haben (BGHZ 83, 350, 355 f). Der Gesetzgeber wollte somit nur solchen Rechtsbeiständen die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer ermöglichen, die jedenfalls im praktischen Ergebnis allgemein und uneingeschränkt beraten dürfen. Diesem Personenkreis kann der Antragsteller schon infolge der Bedeutung des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts in der Rechtsberatungspraxis nicht zugerechnet werden.
2. Die in § 209 Abs. 1 Satz 1 BRAO getroffene Regelung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; sie verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Allerdings hat der Rechtsbeistand ohne Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer nicht die Möglichkeit, mit einem Rechtsanwalt eine Sozietät einzugehen (vgl. § 59 a BRAO). Darin liegt für den Beschwerdeführer jedoch keine sachwidrige Benachteiligung gegenüber den Mitgliedern seines Berufsstandes, denen das Gesetz die Aufnahme in die Anwaltskammer gestattet. Die Möglichkeit, auf Antrag deren Mitglied zu werden, wird nur den Rechtsbeiständen alten Rechts mit unbeschränkter Erlaubnis eingeräumt, weil sie – trotz regelmäßig geringerer fachlicher Qualifikation als Rechtsanwälte – wegen des Umfangs der von ihnen berechtigterweise ausgeübten Tätigkeit dem Berufsbild eines Rechtsanwalts näherstehen als dem eines Rechtsbeistands neuen Rechts, der eine Erlaubnis nur für einzelne der in § 1 RBerG aufgeführten speziellen Tätigkeiten besitzt. Daß das Gesetz entscheidend auf die Vollerlaubnis abstellt, keine weiteren Differenzierungen vornimmt und damit den Rechtsbeistand, der lediglich auf einem – für die Praxis bedeutsamen – Rechtsgebiet nicht tätig werden darf, insoweit nicht anders behandelt als die Rechtsbeistände neuen Rechts, beruht auf vertretbaren Erwägungen und ist daher hinzunehmen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulassung einer Sozietät zwischen Rechtsanwälten und Kammerrechtsbeiständen (BVerfGE 80, 269, 282 ff) setzt gerade voraus, daß der Rechtsbeistand wie ein Rechtsanwalt umfassend beraten darf, und enthält keine Erwägungen, die die vom Beschwerdeführer vertretene Auffassung stützen.
Unterschriften
Deppert, Fischer, Ganter, Otten, Salditt, Müller, Christian
Fundstellen
Haufe-Index 539888 |
NJW 1999, 1116 |
Nachschlagewerk BGH |
AnwBl 1999, 349 |
MDR 1999, 643 |
MittRKKöln 1999, 139 |