Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksame Einreichung einer Berufungsbegründung
Leitsatz (amtlich)
Die Berufungsbegründung kann durch Fernschreiben an die Fernschreibstelle des Berufungsgerichts wirksam eingereicht werden.
Normenkette
ZPO § 519
Verfahrensgang
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15. Januar 1986 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten, der über eine Fernschreibeinrichtung verfügte, legte mit einem am 4. November 1985 bei der Justizzentrale Stuttgart – Fernschreibstelle – eingelaufenen Fernschreiben fristgerecht Berufung ein. Die Frist zur Begründung des Rechtsmittels wurde bis 11. Dezember 1985 verlängert. An diesem Tage ging die fernschriftliche Berufungsbegründung wiederum bei der genannten Justizstelle ein. Mit Beschluß vom 15. Januar 1986 verwarf das Oberlandesgericht die Berufung mangels rechtzeitiger Begründung als unzulässig. Dagegen wenden sich die Beklagten mit der beim Berufungsgericht am 28. Januar 1986 eingelegten sofortigen Beschwerde.
II.
Die zulässige Beschwerde (§§ 519b Abs. 2, 547 ZPO) hat Erfolg.
1. Die Berufungsschrift (§ 518 ZPO), die rechtzeitig eingegangen ist (§ 222 Abs. 2 ZPO), konnte formgerecht durch Fernschreiben übermittelt werden (BGHZ 79, 314, 316; BAG DB 1984, 1688; BFH NJW 1982, 2520). Davon geht auch der Berufungsrichter aus.
2. Er meint jedoch, das gelte nicht für die Berufungsbegründungsschrift nach § 519 Abs. 3 ZPO (ebenso OLG Stuttgart VersR 1982, 1082; zust. Stein-Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl. § 129 Rdnr. 9; Zöller/Schneider, ZPO, 14. Aufl. § 519 Rdnr. 7; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 44. Aufl., § 129 Anm. 1 C). Insoweit sei am Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift als äußerem Merkmal zum Nachweis der Urheberschaft festzuhalten. Eine weite Auslegung der Formvorschriften sei auch nicht zur Vermeidung unverhältnismäßiger Nachteile oder unbilliger Härten geboten. Da die Berufungsbegründung keine Notfrist sei und bei Vorliegen erheblicher Gründe jederzeit verlängert werden könne, bestehe keine Veranlassung, für die Berufungsbegründung eine telegraphische oder fernschriftliche Übermittlung zuzulassen. Anders sei es hingegen im Strafrecht, wo die Revisionsbegründungsfrist nicht verlängert werden könne. Dies sei möglicherweise die Überlegung, die in BGHSt 31, 7 zur Zulassung der fernschriftlichen Revisionsbegründung durch den Bundesgerichtshof geführt habe und auf den Zivilprozeß nicht übertragen werden könne.
3. Diese Auffassung trifft nicht zu.
Der erkennende Senat war bereits mit der Frage befaßt, ob ein Fernschreiben die für die Berufungsbegründung durch § 519 Abs. 2 Satz 1 ZPO gebotene Schriftform gewahrt hatte. Er hat sie ohne weitere Begründung unter Hinweis auf eine frühere Entscheidung des I. Zivilsenats (Urt. v. 7. Mai 1954 – I ZR 168/52, LM Patentgesetz § 42 Nr. 4) bejaht (BGHZ 65, 10, 11; so auch Baumbach/Lauterbach/Albers a.a.O., § 519 Anm. 1; Thomas/Putzo, ZPO, 13. Aufl. Anm. 2c; Borgmann AnwBl. 1985, 196, 197). Auch der Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs hat in seiner Entscheidung vom 28. Februar 1983 – AnwZ (B) 2/83, BGHZ 87, 63, 65 beiläufig bemerkt, ein mittels Fernschreibens (eingelegtes oder) begründetes Rechtsmittel scheitere nicht an fehlender Schriftform (vgl. BGHSt 31, 7, 9). Daran wird festgehalten.
a) Die eigenhändige Unterschrift eines Rechtsanwalts stellt zwar grundsätzlich eine unerläßliche Wirksamkeitsvoraussetzung für fristwahrende bestimmende Schriftsätze dar (ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts seit RGZ 31, 375, 378, des Bundesgerichtshofs und der übrigen obersten Gerichtshöfe des Bundes, vgl. BGH, Urt. v. 25. September 1979 – VI ZR 79/79, NJW 1980, 291 m.N.). Das Erfordernis der Schriftlichkeit ist aber nicht Selbstzweck. Es soll, wie der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes in seiner Entscheidung vom 30. April 1979 – OGB 1/78, NJW 1980, 172, 174 dargelegt hat, gewährleisten, daß aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können; außerdem müsse feststehen, daß es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handele, sondern daß es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden, sei.
b) Die Anwendung dieser Grundsätze auf eine fernschriftliche Rechtsmittelbegründung ergibt:
Ein Fernschreiben kann nur absenden, wer von der Deutschen Bundespost zum Fernschreibverkehr zugelassen und wem von ihr eine Telexnummer zugeteilt ist. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Unbefugter tätig wird, ist daher gering. Auch die Möglichkeit, daß es sich bei dem Fernschreiben nur um einen Entwurf handelt, kann der Empfänger in aller Regel ausschließen. Der Text eines Fernschreibens beginnt und endet mit der sogenannten Kennung des Absenders und des Empfängers; durch sie stellt der Absender bewußt die Verbindung zum Empfänger her.
Dieser muß, wenn es sich um eine Rechtsmittelbegründungsschrift handelt, zu deren Entgegennahme zuständig sein; die Aufnahme des Schriftblattes durch einen anderen Fernschreibteilnehmer und die Weitergabe durch Boten reicht nicht aus (BGHZ 79, 314, 318 gegen BayVGH BB 1977, 568).
Genügt ein Fernschreiben diesen und den weiteren Anforderungen, die das Gesetz an den Inhalt der Schrift stellt (hier: § 519 Abs. 3 ZPO; vgl. auch BFH BStBl. II 1985, 522), so liegt eine formgerechte Rechtsmittelbegründung vor; der eigenhändigen Unterschrift, die auf einem Fernschreiben begrifflich nicht angebracht werden kann, bedarf es nicht.
c) Unerheblich ist, daß die Frist zur Begründung der Berufung, anders als die Einlegungsfrist, die eine Notfrist ist, verlängert werden kann (§ 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Zwar hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 25. September 1979 a.a.O.) daraus hergeleitet, daß die Besorgnis einer Fristversäumnis keinen gleich zwingenden Grund für die Zulassung einer fernschriftlichen Berufungsbegründung gebe; er hat aber ausdrücklich offengelassen, ob das der Zulässigkeit einer solchen Rechtsmittelbegründung entgegenstehe.
Das ist nicht der Fall. Wollte man darauf abstellen, ob die zu wahrende Frist eine Notfrist ist oder nicht, würde über die Statthaftigkeit eines Fernschreibers als eines bestimmenden fristwahrenden Schriftsatzes ein Umstand entscheiden, der für die Funktion der Schriftlichkeit ohne Bedeutung ist. Auch würde ein Fernschreiben, durch das eine Berufung eingelegt und zugleich begründet wird, zwar als Berufungseinlegung (§ 518 ZPO) wirksam, als Berufungsbegründung (§ 519 ZPO) aber unwirksam sein. Im übrigen zeigt der Streitfall, daß die Möglichkeit einer Fristverlängerung die Frage, ob die Berufungsbegründung mittels Fernschreibens erfolgen kann, nicht beantwortet, sondern lediglich auf einen späteren Zeitpunkt, den Ablauf der verlängerten Frist, hinausschiebt.
Für die Zulässigkeit einer fernschriftlichen Rechtsmittelbegründung ist somit die Rechtsnatur der zu wahrenden Frist nicht maßgeblich. Sie war es ersichtlich auch nicht für den 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, der die fernschriftliche Revisionsbegründung trotz der in § 345 Abs. 2 StPO geforderten eigenhändigen Unterschrift ohne Einschränkung zugelassen hat (BGHSt 31, 7). Die gegenteilige Annahme des Berufungsrichters findet in dieser Entscheidung keine Grundlage.
Fundstellen
Haufe-Index 609736 |
BGHZ, 283 |
NJW 1986, 1759 |
ZIP 1986, 671 |
JZ 1986, 651 |