Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 14.10.1991) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 14. Oktober 1991 wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin legte gegen das ihren Prozeßbevollmächtigten gemäß Empfangsbekenntnis nach § 212 a ZPO am 12. November 1991 zugestellte Berufungsurteil am 30. Dezember 1991 Revision ein und beantragte, ihr gegen die Versäumung der Einlegungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung trug sie vor: Nach der Berufungsverhandlung, in der das angefochtene Urteil erging, habe Rechtsanwalt S., der die Sache bearbeitende Sozius in der Kanzlei ihrer Prozeßbevollmächtigten seine Partei über den Verlauf der Verhandlung unterrichtet und hinzugefügt, nach Eingang der Urteilsbegründung könne gemeinsam über die Einlegung der Revision entschieden werden. Vom 4. bis 8. und vom 11. bis 15. November 1991 sei Rechtsanwalt S. ortsabwesend gewesen. Vor seiner Abreise habe er seiner Anwaltsgehilfin Si., wie stets bei solchen Anlässen, aufgetragen, eingehende Post seinem Vertreter in der Kanzlei oder sonst einem Sozius vorzulegen. Ferner habe er sie noch einmal ausdrücklich angehalten, alle Rechtsmittelfristen mit Vorfristen sorgfältig im Fristenkalender zu notieren und dafür zu sorgen, daß ihm in allen Sachen, in denen während seiner Abwesenheit Post eingehe, die Akten nach seiner Rückkehr vorlägen. Dazu habe sie entsprechende „normale” Wiedervorlagefristen in der vorhandenen EDV-Anlage vormerken sollen. Das Berufungsurteil sei am 12. November 1991 eingegangen und Frau Si. vorgelegt worden. Diese habe zwar die Übersendung einer Abschrift an die Klägerin veranlaßt, jedoch vergessen, die Revisionsfrist mit Vorfrist im Fristenkalender zu notieren. Sie habe die Akte mit dem Posteingang „weggehängt”, ohne sie dem Vertreter von Rechtsanwalt S. oder einem anderen Anwalt vorzulegen und ohne eine Wiedervorlagefrist für den Tag der Rückkehr von Rechtsanwalt S. vorzumerken. Als am 27. November 1991 der Kostenfestsetzungsbeschluß eingegangen und Rechtsanwalt S. – wie üblich ohne Akte – vorgelegt worden sei, habe dieser zwar daraus ersehen, daß zuvor bereits das Urteil eingegangen sei, er habe jedoch darauf vertraut, daß die Revisionsfrist ordnungsgemäß notiert sei. Wenige Tage später habe der Geschäftsführer der Klägerin angerufen und mit Rechtsanwalt S. die Einlegung der Revision verabredet. Der Rechtsanwalt habe zugesagt, das Erforderliche zu veranlassen, sich aber wegen anderer dringender Angelegenheiten nicht sogleich darum kümmern können und weiterhin auf die Fristnotierung in der Sache vertraut. Die Akte sei ihm erst am 16. Dezember 1991 mit Ablauf der Wiedervorlagefrist vorgelegt worden, die bei Übersendung des Kostenfestsetzungsbeschlusses an die Klägerin in die EDV-Anlage eingegeben worden sei. Das Versehen von Frau Si., einer ausgebildeten Rechtsanwalts- und Notariatsgehilfin, stelle einen einmaligen Vorfall in ihrer langjährigen Tätigkeit für Rechtsanwalt S. dar. Dieser überwache ihre Tätigkeit, insbesondere die ordnungsgemäße Führung des Fristenkalenders, laufend und habe bisher keinen Anlaß zu irgendeiner Beanstandung gehabt. Zur Glaubhaftmachung legte die Klägerin u.a. eidesstattliche Versicherungen des Rechtsanwalts S. und der Angestellten Si. sowie Ablichtungen der Eintragungen im Fristenkalender für die Zeit vom 4. bis 17. Dezember 1991 vor.
Am 6. März 1992 begründete die Klägerin die Revision und beantragte zugleich, ihr gegen die Versäumung der Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einlegungsfrist kann nicht gewährt werden, weil nach dem dargelegten Geschehensablauf nicht auszuschließen ist, daß die Fristversäumung jedenfalls auch auf einem Verschulden der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin beruht, §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auch des Senats, darf ein Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über die Urteilszustellung erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, daß die Frist im Fristenkalender notiert worden ist. Bescheinigt der Rechtsanwalt den Empfang eines ohne Handakten vorgelegten Urteils, so erhöht sich damit die Gefahr, daß die Fristnotierung unterbleibt und das erst nach Fristablauf bemerkt wird. Um dieses Risiko auszuschließen, muß der Anwalt, falls er nicht selbst unverzüglich die notwendigen Eintragungen in der Handakte und im Fristenkalender vornimmt, jedenfalls durch eine besondere (Einzel-)Anweisung die erforderlichen Eintragungen veranlassen. Auf allgemeine Anordnungen darf er sich in einem solchen Fall nicht mehr verlassen (vgl. Senatsbeschluß vom 28. November 1984 – IVb ZR 97/84 – VersR 1985, 147 f.; BGH Beschlüsse vom 4. November 1980 – VI ZB 14/80 – VersR 1981, 136; 18. November 1982 – VII ZB 24/82 – VersR 1983, 185; 29. November 1984 – III ZB 14/84 – VersR 1985, 168 f.; ferner Borgmann/Haug, Anwaltshaftung 2. Aufl. S. 363).
Das Vorbringen der Klägerin ergibt nicht, daß das Verhalten ihrer Berufungsanwälte diesen Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht entsprochen hat. Vielmehr legt es die Annahme nahe, daß der Rechtsanwalt, der das – bei den Akten befindliche – Empfangsbekenntnis am 12. November 1991 in der Kanzlei der Berufungsanwälte anstelle des abwesenden Rechtsanwalts S. unterzeichnet hat, sich dabei weder die Handakten hat vorlegen lassen und sich von der Eintragung eines Vermerks über die Erledigung der Fristnotierung überzeugt hat, noch daß er sonst durch konkrete Anweisungen für die erforderlichen Eintragungen gesorgt hat. Anhaltspunkte dafür, daß Frau Si. trotz Beachtung entsprechender Vorsichtsmaßnahmen des Rechtsanwalts die Eintragung der Frist versäumt hat, ergeben die Ausführungen der Klägerin nicht. Damit hat sie nicht dargetan, daß sie ohne ein ihr zuzurechnendes Verschulden an der Einhaltung der Revisionsfrist verhindert gewesen ist.
2. Bei dieser Sachlage braucht nicht geprüft zu werden, ob der Klägerin gegen die ebenfalls versäumte Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann.
Unterschriften
Lohmann, Blumenröhr
Fundstellen