Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung der Rechtsprechung: Telefax ist mit Abschluss der Speicherung eingegangen
Leitsatz (amtlich)
Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten Schriftsatzes kommt es allein darauf an, ob die gesendeten Signale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) worden sind.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 20. Zivilsenats des OLG Hamm vom 25.2.2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 21.815,13 EUR festgesetzt.
Gründe
[1]I. Die Parteien streiten um die Leistung aus einer von der Klägerin bei der Beklagten genommenen Einbruchdiebstahlversicherung. Die Beklagte beruft sich u.a. auf Obliegenheitsverletzungen und lehnt eine Eintrittspflicht ab.
[2]Das LG wies die Klage ab. Nach form- und fristgerechter Berufungseinlegung und Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung bis einschließlich 14.7.2004 übermittelten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin dem Berufungsgericht mit zwei Telefaxsendungen eine siebenseitige Berufungsbegründung nebst Anlagen. Eine erste Telefaxverbindung bestand nach einer Einzelverbindungsübersicht der D. T. am 14.7.2004 ab 23:55:40h mit einer Dauer von vier Minuten 24 Sekunden, also bis am 15.7.2004 um 00:00:04h. Mit ihr wurden die siebenseitige Berufungsbegründung sowie zwei Seiten Anlagen übermittelt. Eine zweite Telefaxverbindung am 15.7.2004 ab 00:02:08h diente der Übermittlung weiterer Anlagen.
[3]Das Telefaxgerät des Berufungsgerichts war so eingestellt, dass der Ausdruck einer Telefaxsendung erst nach dem Empfang sämtlicher Seiten der Sendung im Speicher dieses Geräts erfolgte. Das Gerät druckte sortiert aus, die zuletzt gesendete Seite zuerst und die zuerst gesendete Seite zuletzt. Bei der ersten Telefaxsendung wurden demgemäß - nach vollständigem Empfang der gesendeten technischen Signale - zunächst die zweite und die erste Seite der Anlagen, danach die S. 7 der Berufungsbegründung mit der Wiedergabe der Unterschrift des unterzeichnenden Prozessbevollmächtigten und sodann die weiteren Seiten der Berufungsbegründung von S. 6 bis S. 1 gedruckt.
[4]Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
[5]II. Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
[6]1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Ein per Telefax übermittelter Schriftsatz sei grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt bei Gericht eingegangen, in welchem das Telefaxgerät des Gerichts das Telefaxschreiben ausgedruckt habe. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sei nur dann zu machen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass das Telefaxgerät des Gerichts defekt gewesen oder falsch gehandhabt worden sei und die eingehenden Signale deshalb nicht sofort hätten ausgedruckt werden können. Darüber hinaus sei bei rechtzeitiger Telefaxsendung eine Ausnahme geboten, wenn ein Gericht die nachts eingehenden Telefaxsendungen zunächst lediglich speichern und erst am nächsten Morgen ausdrucken lasse. Solche Ausnahmefälle lägen hier jedoch nicht vor. Maßgeblich bleibe daher der Zeitpunkt des Ausdrucks. Da die Frist zur Berufungsbegründung mit Ablauf des 14.7.2004 geendet habe und die Berufungsbegründung bis zum Ablauf dieses Tages nicht vollständig ausgedruckt gewesen sei, habe die Klägerin die Berufungsbegründungsfrist versäumt.
[7]2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[8]a) Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und im Übrigen nach § 575 ZPO zulässig. Die Klägerin hat in der Beschwerdebegründung hinreichend dargetan, dass die Rechtsfrage,
ob ein per Telefax übermittelter Schriftsatz bei störungsfreier Übermittlung und störungsfrei ausdruckendem Telefaxgerät des Gerichts erst in dem Zeitpunkt bei Gericht eingegangen ist, in dem das Telefaxgerät des Gerichts ihn vollständig ausgedruckt hat, oder - wie die Rechtsbeschwerde meint - bereits mit dem vollständigen Empfang (Speicherung) der gesendeten technischen Signale im Telefaxgerät des Gerichts,
grundsätzliche Bedeutung hat (§ 575 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Diese kommt einer Rechtsfrage zu, wenn sie entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und klärungsfähig ist und sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (BGHZ 152, 182, 191; 151, 221, 223 m.w.N.).
[9]Der Entscheidungserheblichkeit steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht nicht ausdrücklich (positiv) festgestellt hat, dass die Übermittlung/Speicherung der gesendeten Signale der Seiten 1 bis 7 der Berufungsbegründung, auf die es allein ankommt, im Telefaxgerät des Berufungsgerichts vor Mitternacht abgeschlossen war. Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz zu berücksichtigenden unstreitigen weiteren Übermittlungsfakten belegen dies. Die (erste) Telefaxverbindung war am 15.7.2004 um 00:00:04h zu Ende, die mit ihr erfolgte Übermittlung der zwei Seiten Anlagen im Anschluss an die Übermittlung der siebenseitigen Berufungsbegründung hat mindestens fünf Sekunden in Anspruch genommen. Das folgert auch das Berufungsgericht aus den hier gegebenen Umständen. Der entsprechende vollständige Ausdruck kann erst nach Mitternacht erstellt worden sein.
[10]b) Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
[11]aa) Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass nach bisheriger Rechtsprechung des BGH und überwiegender Ansicht in der Literatur ein per Telefax übermittelter Schriftsatz grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt bei Gericht eingegangen ist, in welchem das Telefaxgerät des Gerichts ihn vollständig ausgedruckt hat (BGH, Beschlüsse vom 4.5.1994 - XII ZB 21/94 - NJW 1994, 2097 unter II 2; vom 19.4.1994 - VI ZB 3/94 - NJW 1994, 1881 unter II 2a; vom 12.12.1990 - XII ZB 64/90 - VersR 1991, 894 unter 2b; zum Fernschreiben vgl. BGHZ 105, 40, 42 f. u. 45; 101, 276, 279 f.; vgl. ferner BGH, Urt. v. 7.12.1994 - VIII ZR 153/93 - NJW 1995, 665 unter II 3b bb aaa; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 63. Aufl., § 519 Rz. 4 und 10; Ball in Musielak, ZPO 4. Aufl., § 519 Rz. 22; Feiber in MünchKomm zur ZPO, 2. Aufl., § 233 Rz. 104; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO 3. Aufl., § 519 Rz. 20; Leipold in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl., § 130 Rz. 56; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO 27. Aufl., § 129 Rz. 13; Zimmermann, ZPO 7. Aufl., § 519 Rz. 8; offen geblieben in BGH, Beschl. v. 24.7.2003 - VII ZB 8/03 - NJW 2003, 3487 unter II 2 b). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird zugelassen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Telefaxgerät des Gerichts defekt war oder falsch gehandhabt wurde und deswegen die eingehenden Signale nicht oder nicht sofort (vollständig) ausgedruckt werden konnten, wenn also die Ursache für den Mangel der Lesbarkeit oder (der Vollständigkeit) des Ausdrucks in der Sphäre des Gerichts gelegen hat; was vom Empfangsgerät eines Gerichts aufgenommen und infolge eines Fehlers im Gerät oder bei dessen Bedienung nicht oder nicht sofort (vollständig) ausgedruckt worden sei, müsse aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und des Vertrauensschutzes so behandelt werden, als habe das Gerät es ordnungsgemäß ausgedruckt und als sei es auf diese Weise in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt (BGH, Beschlüsse vom 4.5.1994a.a.O.; vom 19.4.1994a.a.O. unter II 2a und b; vom 12.12.1990a.a.O.; BGHZ 105, 40, 42 ff.; BGH, Urt. v. 14.3.2001 - XII ZR 51/99 - NJW 2001, 1581 unter 2b; vgl. ferner BGH, Urteil vom 7.12.1994a.a.O.; BGH, Beschl. v. 23.11.2004 - XI ZB 4/04 - NJW-RR 2005, 435 unter II 2; Albers, a.a.O.; Ball, a.a.O.; Gerken, a.a.O.; Reichold, a.a.O.; Zimmermann, a.a.O.). In diesen Fällen wird schon bei vollständigem Empfang der gesendeten Signale im Telefaxgerät des Gerichts vor Fristablauf von einer rechtzeitigen Übermittlung des Schriftsatzes ausgegangen.
[12]bb) Von dieser Rechtsprechung ist der 5. Strafsenat des BGH mit seinem Beschluss vom 9.11.2004 (5 StR 380/04) nicht abgewichen. Er hat darin einen Beschluss des LG Hamburg "aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts" aufgehoben. Der Generalbundesanwalt hatte zunächst dargelegt, dass eine per Telefax übermittelte Rechtsmittelbegründungsschrift grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt zugegangen sei, in dem sie im Telefaxgerät des Gerichts ausgedruckt worden sei. Gleichwohl hatte er im konkreten Fall die von der Verteidigerin des Angeklagten per Telefax übermittelte (342 Seiten umfassende) Revisionsbegründungsschrift für fristgerecht eingegangen gehalten, nachdem die gesendeten Signale von den über einen Internspeicher verfügenden Telefaxgeräten des LG noch am letzten Tag der Frist vollständig empfangen worden waren, der Ausdruck des Schriftsatzes ab Blatt 90 jedoch erst am Folgetag nach Wiederauffüllen der Papierfächer der beiden Geräte abgeschlossen werden konnte. Bei Papiermangel liege zwar - anders als in den Fällen des Papierstaus - keine technische Störung der Empfangsgeräte, wohl aber eine andere Verzögerung bei der Entgegennahme rechtzeitig in den Gewahrsam des Gerichts gelangter fristwahrender Schriftsätze vor, deren Ursache allein in der Sphäre des Gerichts zu finden sei (Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2.9.2004 - 5 StR 380/04 - S. 2 ff. unter Hinweis auf BVerfG NJW 1986, 244 = BVerfGE 69, 381, 385 f.; vgl. ferner Maul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 43 Rz. 19; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. Vor § 42 Rz. 18; Pfeiffer, StPO 5. Aufl., § 43 Rz. 2).
[13]cc) Die Rechtsprechung des BGH wird vom BFH geteilt. Auch nach seiner Auffassung ist ein dem Gericht per Telefax übermittelter Schriftsatz, wenn der Ausdruck nicht durch einen Fehler in der Funktion oder bei der Bedienung des Telefaxgeräts des Gerichts verzögert wurde, in dem Zeitpunkt eingegangen, in dem er vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig ausgedruckt worden ist (BFH/NV 2004, 519 f.; BFH/NV 2004, 358; BFH/NV 1992, 532 f.; vgl. ferner BFHE 186, 491, 492 f.). In den vom BFH entschiedenen Fällen waren jedoch nicht nur der Ausdruck, sondern auch der (vollständige) Empfang (Speicherung) der übermittelten Signale jeweils erst nach Fristablauf abgeschlossen, so dass es bei seinen Entscheidungen auf die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage (letztlich) nicht angekommen war.
[14]dd) Das BVerfG (BVerfG NJW 1996, 2857 unter B I) und das BAG (BAGE 90, 329, 331 f.) stellen demgegenüber auch bei nicht durch technische Störungen oder Bedienungsfehler verzögertem Ausdruck für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten Schriftsatzes allein darauf ab, ob die gesendeten Signale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) wurden. Dass der Ausdruck des Empfangenen bei Gericht (teilweise) erst nach Fristablauf erfolgt, wird nicht als erheblich angesehen. Auch diese Ansicht hat in der Literatur (Greger in Zöller, ZPO 25. Aufl., § 167 Rz. 9; Gummer/Heßler in Zöller, ZPO 25. Aufl., § 519 Rz. 18d; von Albedyll in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO 3. Aufl., § 57 Rz. 16) Zustimmung gefunden.
[15]ee) Der Senat gibt der letzteren Ansicht den Vorzug.
[16]aaa) Die bisherige, grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Ausdrucks abstellende Rechtsprechung wird den technischen Gegebenheiten der Telekommunikation nicht mehr gerecht. Sie geht zurück auf zwei Verfahren, in denen sich Parteien zur Wahrung von Fristen eines Fernschreibers bedient hatten (BGHZ 101, 276 ff.; 105, 40 ff.). Mit diesem Kommunikationsmittel wurde es dem rechtsuchenden Bürger ermöglicht, "auf einem schnellen und in der Regel sicheren Wege durch die Übermittlung von Signalen fristgebundene Eingaben an Behörden und Gerichte zu richten, die zeitgleich mit ihrem Eingeben beim Empfänger eingehen und dort ebenso zeitgleich wie eingegeben ausgedruckt werden" (BGHZ 105, 40, 42).
[17]Von "Eingabe" und Ausdruck stets zu ein und demselben Zeitpunkt kann bei Telefaxgeräten heutiger Art jedoch nicht (mehr) ausgegangen werden. Sie sind regelmäßig mit verschiedenen Empfangseinstellungen ausgestattet und lassen sich vom jeweiligen Benutzer unterschiedlich programmieren. Man kann sie etwa so einstellen, dass der Ausdruck nicht während, sondern erst nach der (kompletten) Übertragung der Daten erfolgt. Je nach Einstellung können die Geräte dann unmittelbar nach Abschluss der Datenübertragung mit dem Ausdruck beginnen oder aber - bei entsprechendem Speicherchip - zunächst mehrere hundert "Seiten" empfangen, speichern und sie Stunden oder sogar erst Tage später ausdrucken. In der gerichtlichen Praxis wird von diesen Möglichkeiten auch Gebrauch gemacht. So werden beispielsweise beim OLG München nächtlich eingehende Telefaxsendungen regelmäßig erst am nächsten Morgen ausgedruckt (vgl. BGH, Beschl. v. 17.5.2004 - II ZB 22/03 - NJW 2004, 2525 unter II 1). Das ist sinnvoll, weil dadurch ein möglicher Papierstau, der mehrstündige Unterbrechungen der Telefaxverbindung und hieraus resultierende Wiedereinsetzungsverfahren zur Folge haben kann (vgl. BGH, Beschl. v. 23.11.2004 - XI ZB 4/04 - NJW-RR 435 ff.; Senatsurteil vom 2.10.1991 - IV ZR 68/91 - NJW 1992, 244 f.), nicht stundenlang unbemerkt bleibt.
[18]Es liegt auf der Hand, dass ein solcher gewollter Aufschub des Ausdrucks der Partei nicht zum Nachteil gereicht (vgl. BGH, Beschluss vom 17.5.2004a.a.O.). In Anbetracht der mittlerweile zur Verfügung stehenden vielfältigen Möglichkeiten, den Zeitpunkt des Ausdrucks eingegangener Telefaxsendungen auch bei Gericht den Bedürfnissen entsprechend zu variieren, erscheint es angezeigt, diesen Zeitpunkt bei der Beurteilung, ob ein per Telefax übermitteltes Dokument fristgerecht oder verspätet bei Gericht eingegangen ist, generell nicht mehr heranzuziehen und stattdessen auf den Zeitpunkt des vollständigen Empfangs (Speicherung) der gesendeten technischen Signale im Telefaxgerät des Gerichts abzustellen. Dieser Zeitpunkt lässt sich in aller Regel zuverlässig bestimmen - wie hier mittels Einzelverbindungsübersicht des in Anspruch genommenen Dienstleisters D. T., deren Zeitangaben mangels entgegenstehender Feststellungen der gesetzlichen Zeit im Sinne des Zeitgesetzes entsprechen (vgl. BGH, Beschluss vom 24.7.2003a.a.O. unter II 2c und d) - und unterscheidet sich auch dadurch von demjenigen des Ausdrucks, der mitunter - wie im vorliegenden Fall - nicht einmal erfasst wird.
[19]bbb) Dies steht im Einklang mit der fortschreitenden technischen Entwicklung, wie sie auch in der Zivilprozessordnung bereits berücksichtigt worden ist. Seit 1.8.2001 gibt § 130a ZPO der Bundesregierung und den Landesregierungen die Möglichkeit, elektronische Dokumente im Verkehr mit den Gerichten zuzulassen. Nach § 130a Abs. 3 ZPO ist ein elektronisches Dokument eingereicht, sobald die für den Empfang bestimmte Einrichtung des Gerichts es aufgezeichnet hat. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll hierfür derjenige Zeitpunkt maßgebend sein, in dem diese Einrichtung den "Schriftsatz" gespeichert hat - und nicht der Zeitpunkt des Ausdrucks (BT-Drucks. 14/4987, 24; Greger, a.a.O. § 130a Rz. 6; Stadler in Musielak, ZPO 4. Aufl., § 130a Rz. 5).
[20]Telefax und Computerfax fallen zwar nach überwiegend vertretener Ansicht (Dästner, NJW 2001, 3469 f.; Leipold, a.a.O. § 130a Rz. 5; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 63. Aufl., § 129 Rz. 44 u. § 130a Rz. 1; Greger, a.a.O. Rz. 2; a.A. Peters in MünchKomm zur ZPO, 2. Aufl., § 130a Rz. 2) nicht unter § 130a ZPO, weil die Gerichte bei der Schaffung der Vorschrift im Jahre 2001 bereits flächendeckend über Telekopieeinrichtungen verfügten und der Gesetzgeber nicht hinter bereits bestehende Übermittlungsmöglichkeiten zurückgehen oder diese Einschränkungen unterwerfen wollte (Dästner, a.a.O.). Die Vorschrift erfasst daher nur solche elektronischen Dokumente wie z.B. E-Mails, deren Empfang und weitere Bearbeitung besondere technische und organisatorische Vorbereitungen bei den Gerichten erfordert (BT-Drucks. 14/5561, 20). Auf der anderen Seite ist jedoch zu beachten, dass auch bei Telefax und Computerfax Dokumente auf elektronischem Wege übermittelt werden, es sich also auch hier (im weiteren Sinne) um elektronische Dokumente handelt (vgl. BT-Drucks. 14/4987, 19; BT-Drucks. 14/5561a.a.O.; GmS-OBG BGHZ 144, 160 ff.; BGH, Urt. v. 10.5.2005 - XI ZR 128/04 - NJW 2005, 2086 ff.). Vor diesem Hintergrund vermag nicht zu überzeugen, dass es für die Bestimmung des Eingangszeitpunkts bei der Übermittlung durch Telefax (weiterhin) grundsätzlich auf den Ausdruck im Telefaxgerät des Gerichts ankommen soll, während man bei der Übermittlung durch E-Mail nicht auf den Ausdruck am Computer (der Geschäftsstelle) des Gerichts abstellt, sondern stets bereits die Speicherung im von Seiten des Gerichts dafür vorgesehenen Gerät genügen lässt.
[21]ccc) Richtig ist zwar, dass erst dann, wenn ein Ausdruck vorliegt, das Gericht in der Lage ist, "von dem Inhalt des Schriftsatzes Kenntnis zu nehmen" (BGH, Beschluss vom 4.5.1994a.a.O. unter II 2). Auch vermag die elektronische Speicherung der Nachricht im Telefaxgerät des Gerichts nicht an die Stelle der Schriftform (vgl. § 130 Nr. 6 ZPO) zu treten (so zutreffend Gerken a.a.O.). Beides gibt aber keine Veranlassung, für die Bestimmung des Eingangszeitpunktes weiterhin an dem Zeitpunkt des vollständigen Ausdrucks durch das Telefaxgerät des Gerichts festzuhalten.
[22](1) Im Störungsfall - d.h. bei einem Fehler in der Funktion oder der Bedienung des Telefaxgeräts des Gerichts und einer dadurch bedingten Verzögerung des Ausdrucks - haben diese Erwägungen ihre Maßgeblichkeit ohnehin "aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und des Vertrauensschutzes" (BGH, Beschluss vom 4.5.1994a.a.O.; BGHZ 105, 40, 45) bereits eingebüßt.
[23](2) Auch im Normalfall kann das Gericht bei der Übermittlung eines Schriftsatzes über einen von ihm eingerichteten Briefkasten nicht ohne Weiteres von dem Inhalt des Schriftsatzes Kenntnis nehmen. Der Schriftsatz muss vielmehr zuerst aus dem Briefkasten herausgeholt und in der Regel muss zunächst auch erst noch ein Briefumschlag entfernt werden, ehe das Gericht vom Inhalt des Schriftsatzes Kenntnis nehmen und die Einhaltung der Form (§ 130 Nr. 6 ZPO) überprüfen kann. Gleichwohl ist anerkannt, dass für die Fristwahrung schon der rechtzeitige Einwurf des Schriftsatzes in den Briefkasten des Gerichts genügt (BGHZ 80, 62, 63 f.; BGH, Beschl. v. 21.6.2004 - II ZB 18/03 - NJW-RR 2005, 75 unter II 2). Entnahme aus dem Briefkasten und Entfernen des Briefumschlages zählen bereits zur Weiterbearbeitung des Schriftsatzes durch das Gericht. Dem entspricht es, den Ausdruck durch ein Telefaxgerät des Gerichts ebenfalls lediglich als gerichtsinterne Weiterbearbeitung eines bereits im elektronischen Briefkasten - dem Speicher - eingegangenen Dokuments zu begreifen (vgl. Gummer/Heßler, a.a.O.).
[24]Die Senate des BGH haben auf Nachfrage mitgeteilt, dass sie an einer eventuell entgegenstehenden Rechtsprechung nicht festhalten.
[25]ff) Die Klägerin hat mithin die Berufungsbegründungsfrist gewahrt. Der angefochtene Beschluss muss deshalb aufgehoben werden. Das gilt auch, soweit ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt worden ist, weil die Klägerin den Wiedereinsetzungsantrag lediglich hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit der Berufung gestellt hat; dieser Fall ist aber nicht eingetreten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21.12.2005 - XII ZB 33/05 - zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, unter II 2; vom 24.7.2003a.a.O. unter IV; vom 22.10.1997 - VIII ZB 32/97 - NJW 1998, 1155 unter II 2).
Fundstellen
Haufe-Index 1530855 |
BGHZ 2006, 214 |
BB 2006, 1654 |