Verfahrensgang
LG Bochum (Entscheidung vom 27.10.2022; Aktenzeichen II 8 KLs 18/22) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 27. Oktober 2022 mit den Feststellungen aufgehoben; hiervon ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Anlasstat, die bestehen bleiben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 3
Der im Jahr 1991 geborene Beschuldigte leidet an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie, die sich spätestens ab Februar 2022 dergestalt manifestierte, dass er sich zunehmend durch seinen Arbeitgeber verfolgt, beobachtet und abgehört fühlte. Er berichtete zudem von einer inneren Stimme, die mit ihm kommuniziere und bei der es sich um einen Dämon handele. Nachdem er auf landesrechtlicher Grundlage in einer psychiatrischen Klinik untergebracht worden war, fürchtete er, dass er dort vergiftet werden sollte, und äußerte, in seinem Patientenzimmer befinde sich ein böser Geist und werde schwarze Magie verbreitet. Am frühen Morgen des 2. März 2022 hielt der Beschuldigte die Flamme seines Feuerzeugs an sein Kopfkissen, um das Zimmer, in dem zwei Mitpatienten schliefen, von einem Fluch oder schwarzer Magie zu „reinigen“. Er hielt für möglich und nahm billigend in Kauf, dass das Zimmer für längere Zeit „unbewohnbar“ werden würde; auch eine Rauchgasvergiftung der in dem Zimmer schlafenden Mitpatienten hielt er für möglich. Nachdem der Bezug und auch die Füllung des Kissens in Brand geraten waren, legte der Beschuldigte dieses auf einen Tisch, wo Papiere und weitere Gegenstände lagen, auf die das Feuer übergriff. Anschließend verließ er das Zimmer in der Annahme, „für das von ihm gewollte Brandgeschehen alles Erforderliche getan zu haben“. Die über eine Standleitung alarmierte Feuerwehr konnte den Brand löschen, ohne dass er bereits auf Gebäudeteile übergegriffen hätte. Unter der Decke des bei geschlossener Tür rauchdichten Zimmers hatte sich Rauch gesammelt, der wegen der abbrennenden Schaumstofffüllung des Kissens giftige Stoffe enthielt. Die Mitpatienten, die nicht von selbst erwacht waren, mussten vom Pflegepersonal geweckt und aus dem Zimmer gebracht werden. Bei nur geringfügig längerer Branddauer wäre eine konkrete Gefahr für ihre Gesundheit oder ihr Leben entstanden.
Rz. 4
Das Landgericht hat die Tat als versuchte schwere Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 3 Var. 2 StGB in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB in zwei Fällen sowie mit Sachbeschädigung (§ 303 StGB) gewertet. Es hat sachverständig beraten angenommen, dass der Beschuldigte die Tat aufgrund eines akuten Schubs seiner paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie im Zustand sicher aufgehobener Steuerungsfähigkeit begangen habe. Obwohl infolge der Medikation des Beschuldigten derzeit keine produktiv psychotischen Symptome bestünden, sei die Gefährlichkeitsprognose ungünstig. Da der Beschuldigte noch nicht vollständig geheilt und erst seit kurzer Zeit krankheitseinsichtig sei, bestehe das Risiko eines erneuten Ausbruchs der Krankheit, wenn der Beschuldigte sich der Medikation verweigern würde. Es wären dann wahrscheinlich eine erneute Exazerbation der Erkrankung und in der Folge weitere der Anlasstat in der Schwere entsprechende Straftaten des Beschuldigten zu erwarten. Die Beurteilung des psychiatrischen Sachverständigen, dass der Beschuldigte sich auch ohne den Druck des möglichen Widerrufs einer Maßregel, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt sei, voraussichtlich zuverlässig medikamentös behandeln lassen werde, rechtfertige es nicht, von der Anordnung der Maßregel abzusehen. Außerstrafrechtliche Sicherungssysteme wie die vom Sachverständigen angeführten Maßnahmen der Betreuung und Depotgabe von Psychopharmaka erlangten erst für die - hier zu bejahende - Frage Bedeutung, ob die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt werden könne.
Rz. 5
2. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterliegt der Aufhebung, weil die Gefahrenprognose des Landgerichts rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
Rz. 6
a) Die für eine Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist nur dann gegeben, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat zu entwickeln. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte hierfür in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. - zum Ganzen - nur BGH, Beschluss vom 22. November 2022 - 4 StR 242/22 Rn. 6; Beschluss vom 15. Dezember 2020 - 4 StR 385/20, NStZ-RR 2021, 71 f., jew. mwN).
Rz. 7
b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung erheblicher Straftaten wird durch die Urteilsgründe nicht belegt.
Rz. 8
aa) Allerdings hat das Landgericht die vom Beschuldigten begangene rechtswidrige Tat zutreffend als erheblich im Sinne des § 63 Satz 1 StGB eingestuft. Zwar wird die Annahme einer versuchten schweren Brandstiftung (§ 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB) von den Feststellungen nicht getragen. Denn diesen kann nicht entnommen werden, dass der Beschuldigte ein Gebäude im Sinne der Vorschrift in Brand setzen oder - wie von der Strafkammer angenommen - teilweise zerstören wollte. Teilweise zerstört ist ein Gebäude, wenn durch die Brandlegung das Gebäude im Ganzen zumindest einzelne von mehreren seiner Zweckbestimmungen nicht mehr erfüllen kann oder wenn ein wesentlicher, funktionell selbständiger Teil des Tatobjekts zerstört wird, etwa indem eine Wohnung als „Untereinheit“ eines Mehrfamilienhauses für beträchtliche Zeit für Wohnzwecke ungeeignet wird (BGH, Beschluss vom 5. September 2017 - 3 StR 362/17 Rn. 27). Dass das Patientenzimmer, auf welches sich der Tatentschluss des Beschuldigten nach den Feststellungen allein richtete, eine derartige selbständige Untereinheit des Klinikgebäudes darstellte, hat das Landgericht nicht festgestellt. Auch ein - natürlicher - Vorsatz des Beschuldigten hinsichtlich einer gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 und 5 StGB) ist, jedenfalls in voluntativer Hinsicht, weder festgestellt noch belegt. Jedoch wiegt unter den hier gegebenen Bedingungen, namentlich im Hinblick auf den Grad der Gefährlichkeit, bereits die vollendete Sachbeschädigungstat so schwer, dass das Landgericht seiner Prognose im Ergebnis rechtsfehlerfrei den Maßstab des § 63 Satz 1 StGB zugrunde gelegt hat.
Rz. 9
bb) Dass von dem Beschuldigten mit einer für die Anordnung der Maßregel genügenden Wahrscheinlichkeit weitere rechtswidrige Taten von entsprechendem Gewicht zu erwarten sind, belegen die Urteilsgründe jedoch nicht. Die Strafkammer hat ein - seinerseits nicht näher quantifiziertes - Risiko hierfür nur unter der Voraussetzung einer erneuten Exazerbation der Erkrankung dargelegt, die zu erwarten sei, wenn der Beschuldigte unbehandelt wäre. Ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass diese Bedingung eintreten, der derzeit krankheitseinsichtige und sich „medikamentencompliant“ verhaltende Beschuldigte also die weitere Behandlung verweigern könnte, ist den Ausführungen des Landgerichts hingegen nicht zu entnehmen.
Rz. 10
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die von dem Rechtsfehler nicht betroffenen Feststellungen zu dem äußeren Tatgeschehen der Anlasstat können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen sind möglich.
Quentin |
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Bartel |
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Rommel |
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Maatsch |
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Messing |
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Fundstellen
Haufe-Index 15734927 |
StV 2024, 255 |