Entscheidungsstichwort (Thema)

Möglichkeit einer Haftungsfreistellung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Fahrer eines städtischen Müllwagens, der auf der Mülldeponie die Abfälle abliefert, ist nicht derart in den Betrieb der Mülldeponie "eingegliedert", daß er, wenn er einen Beschäftigten der Deponie anfährt, von seiner Haftung gemäß §§ 637, 636 RVO freigestellt wäre.

 

Normenkette

RVO §§ 636, 637 Abs. 1

 

Tenor

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. Oktober 1985 - 1 U 184/84 - wird nicht angenommen.
  2. Die Beklagten tragen die Kosten des Revisionsverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).
  3. Streitwert: 56.208,00 DM.
 

Gründe

Die Revision wirft keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf (§ 554 b ZPO). Sie hat auch im Endergebnis keine Aussicht auf Erfolg (BVerfGE 54, 277).

Zu Recht hat das Berufungsgericht eine Haftungsfreistellung der Beklagten nach §§ 636, 637 Abs. 1 RVO verneint, weil weder der Kläger in das Unternehmen der beklagten Stadt noch der Müllfahrer der beklagten Stadt in den Betrieb der Mülldeponie im Sinne dieser Vorschriften eingegliedert war.

Die Anwendbarkeit der §§ 636, 637 RVO setzt voraus, daß Schädiger und Verletzter für denselben Betrieb ähnlich wie ein Arbeitnehmer tätig geworden sind; nur wenn dies der Fall ist, nimmt der Verletzte aufgrund seiner Tätigkeit an dem für die Angehörigen des Unfallbetriebes geschaffenen Versicherungsschutz teil, wie es §§ 636, 637 RVO voraussetzen. Die Entscheidung, ob der Schädiger oder der Verletzte in derartigen Fällen für den Unfallbetrieb oder seinen Stammbetrieb tätig geworden ist, richtet sich danach, welchem Aufgabenbereich - dem des Unfallbetriebes oder dem des Stammbetriebes - die Tätigkeit zuzuordnen ist, bei der der Verletzte den Unfall erlitten hat; nur dann, wenn sie dem Unfallbetrieb zuzuordnen ist, kommt eine Haftungsfreistellung des Schädigers in Betracht. Haben Schädiger und Verletzter Aufgaben wahrgenommen, die in den Aufgabenbereich ihrer Stammbetriebe fallen, so spricht zunächst alles dafür, daß sie allein für diesen Betrieb tätig geworden sind; erst wenn sich ihre Tätigkeit nicht mehr als Wahrnehmung einer Aufgabe ihres Stammbetriebes darstellt, stellt sich die Frage nach ihrer "Eingliederung" in den fremden Unfallbetrieb. Ist der Verletzte von den Gefahren des Unfallbetriebes bei der Verrichtung von Arbeiten für seinen Stammbetrieb nur deshalb betroffen worden, weil seine Arbeitsstelle im Gefahrenbereich des Unfallbetriebes lag, dann fehlt der unmittelbare Zusammenhang zu diesem, selbst wenn sein Tätigwerden (auch) als Teilnahme an Arbeitsvorgängen des Unfallunternehmens erscheint (BGH Urteil vom 8. April 1986 - VI ZR 61/85 - VersR 1986, 868).

1.

Der Kläger hat im Auftrag des Betreibers der Mülldeponie, bei dem er angestellt war, dem Fahrer der beklagten Stadt den Platz angewiesen, an dem dieser den angelieferten Müll abladen sollte. Damit nahm er eine Befugnis des Deponiebetreibers gegenüber der den Abfall befördernden beklagten Stadt wahr. Die Ausführung dieser Tätigkeit gliederte ihn nicht einem Arbeitnehmer ähnlich in dieses Unternehmen ein. Der Betrieb dieses Unternehmens umfaßte im Rahmen der Abfallbeseitigung nur das Einsammeln der Abfälle und ihre Beförderung zur Stätte der Ablagerung. Das eigentliche Ablagern war Sache des Deponiebetreibers. Die Anweisungen, wo angelieferte Sachen abzuladen seien, gliedern Angehörige eines Empfängerunternehmens nicht in das Unternehmen des Anlieferers ein.

Der Kläger hat sich auch tatsächlich durch seine Mitwirkung bei der Anlieferung des Abfalls nicht in einen am Fahrmanöver des zunächst mitverklagten Müllfahrers ausgerichteten "fremdbestimmten" Arbeitsvorgang eingeordnet (vgl. BGH Urteil vom 6. Dezember 1977 - VI ZR 79/76 = VersR 1978, 150). Im übrigen hatte er sich im Augenblick des Unfalls bereits wieder anderen Fahrzeugen zugewandt, die ebenfalls Abfall auf der Deponie ablieferten.

2.

Umgekehrt hatte auch der Fahrer der beklagten Stadt sich nicht in den Betrieb der Mülldeponie eingeordnet. Die Pflichten der beklagten Stadt als Abfallbeförderer endeten nicht am Eingang der Deponie. Nach dem Vertrag über den Betrieb der Deponie hatte sie den Abfall auch auf dem Deponiegrundstück bis zu der vom Betreiber der Deponie bestimmten Stelle zu befördern. Das setzte allerdings voraus, daß dem jeweiligen Fahrer diese Stelle von dem Deponiebetreiber oder einer von ihm damit beauftragten Person bezeichnet wurde. Damit wurde aber der Fahrer nicht dem Direktionsrecht des Deponiebetreibers "wie ein Arbeitnehmer" unterworfen.

 

Unterschriften

Krohn

Boujong

Engelhardt

Werp

Rinne

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1456498

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