Leitsatz (amtlich)
Auch wenn die Satzung des Versorgungsträgers einer betrieblichen Altersversogung die Realteilung nicht vorsieht, kann die Realteilung durchgeführt werden, wenn der Versorgungsträger ihr im Einzelfall zustimmt. Einer Zustimmung des Versorgungsberechtigten bedarf es nicht.
Normenkette
VAHRG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 31.01.1995) |
AG Gütersloh |
Tenor
Die weitere Beschwerde gegen den Beschluß des 1. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 31. Januar 1995 wird auf Kosten der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Beschwerdewert: bis 25.000 DM.
Tatbestand
I.
Die 1956 geschlossene Ehe der Beteiligten zu 3 mit Eugen S. wurde durch Urteil vom 13. Februar 1987 geschieden. In der Folgesache Versorgungsausgleich wurden (bezogen auf den 31. Dezember 1985) Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 228,05 DM von dem Versicherungskonto des Ehemannes auf das Versicherungskonto der Ehefrau bei der BfA übertragen. Der Ehemann war bei der Beteiligten zu 4 als leitender Angestellter beschäftigt. Die betriebliche Altersversorgung wurde erst nach der Scheidung – im Jahre 1988 – unverfallbar; der Ausgleich der Versorgungsanwartschaften aus der betrieblichen Altersversorgung blieb deshalb dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich vorbehalten.
Kurz nach der Scheidung heiratete Eugen S. die heute 38 Jahre alte Beteiligte zu 1. Aus dieser Ehe ist eine im Juni 1987 geborene Tochter hervorgegangen, die bei der Beteiligten zu 1 lebt. Die heute 62 Jahre alte Beteiligte zu 3 heiratete ebenfalls wieder.
Am 19. August 1992 starb Eugen S.. Als Trägerin seiner betrieblichen Altersversorgung erstrebt die Beteiligte zu 4 in dem vorliegenden, auf § 10 a VAHRG gestützten Abänderungsverfahren auf Anregung der geschiedenen Ehefrau – der Beteiligten zu 3 – die Abänderung des Scheidungsverbundurteils vom 13. Februar 1987 zum Versorgungsausgleich. Sie will erreichen, daß im Wege der Realteilung nach § 1 Abs. 2 VAHRG zu Lasten der für Eugen S. bei der Beteiligten zu 4 bestehenden Betriebsrentenanwartschaft für die Beteiligte zu 3 eine Betriebsrentenanwartschaft begründet wird.
Die betriebliche Versorgungsregelung der Beteiligten zu 4 sieht eine Realteilung nicht vor. Die Beteiligte zu 4 hat jedoch mitgeteilt, sie habe sich entschlossen, im vorliegenden Fall – wie bei anderen leitenden Angestellten des Unternehmens – die Realteilung der betrieblichen Altersversorgung zuzulassen.
Das Amtsgericht hat die Regelung des Versorgungsausgleichs im Verbundurteil dahin abgeändert, daß im Wege des Rentensplitting – aufgrund neuer Auskünfte – in der gesetzlichen Rentenversicherung Rentenanwartschaften von monatlich 238,60 DM (statt: 228,05 DM) zu übertragen seien. Außerdem hat es im Wege der Realteilung für die geschiedene Ehefrau bei der Beteiligten zu 4 eine Betriebsrentenanwartschaft in Höhe von monatlich 1.910,20 DM begründet (monatlicher Gesamtrentenbetrag, bezogen auf das Ende der Ehezeit am 31. Dezember 1985: 5.850 DM; in die Ehezeit fallende Betriebszugehörigkeit: 96 Monate; Gesamtzeit der Betriebszugehörigkeit: 147 Monate).
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen diesen Beschluß hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen weiteren Beschwerde will sie erreichen, daß es bei der in dem Verbundurteil getroffenen Regelung des Versorgungsausgleichs verbleibt.
Entscheidungsgründe
II.
Die weitere Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
1. Das Beschwerdegericht führt aus, die Voraussetzungen für eine Abänderung der rechtskräftigen Entscheidung zum Versorgungsausgleich in dem Scheidungsverbundurteil vom 13. Februar 1987 seien gegeben. Nach § 10 a Abs. 1 VAHRG sei eine Abänderungsentscheidung u.a. zulässig, wenn ein in der abzuändernden Entscheidung als verfallbar behandeltes Anrecht nachträglich unverfallbar geworden sei oder wenn ein dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich überlassenes Anrecht nunmehr durch die Begründung von Anrechten ausgeglichen werden könne, weil die maßgebliche Versorgungsregelung dies jetzt vorsehe. Im vorliegenden Fall sei aus beiden Gründen eine Abänderungsmöglichkeit eröffnet. Die betriebliche Altersversorgung sei nach Erlaß des Scheidungsverbundurteils unverfallbar geworden. Außerdem sehe die Versorgungsregelung der Beteiligten zu 4 eine Realteilung nicht vor und die Beteiligte zu 4 habe erst nach Erlaß des Scheidungsverbundurteils ihre Zustimmung zu der Realteilung gegeben und damit die Möglichkeit geschaffen, den Ausgleich durch die Begründung von Anwartschaften herzustellen.
Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 VAHRG sei die Realteilung zwar nur zulässig, wenn die für das Anrecht des Verpflichteten „maßgebende Regelung” einen Ausgleich in dieser Form vorsehe. Es sei jedoch auch ausreichend, wenn der Versorgungsträger – wie im vorliegenden Fall – einer solchen Regelung im Einzelfall zustimme. Eine Zustimmung des ausgleichspflichtigen Ehegatten sei nicht erforderlich. Daß die Realteilung erst nach dem Tode des Versorgungsberechtigten zulässig geworden sei, stehe nicht entgegen. § 10 a VAHRG sehe ausdrücklich vor, daß eine Abänderungsentscheidung auch nach dem Tode des Versorgungsberechtigten ergehen könne.
Eine Abänderung sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt grober Unbilligkeit nach § 10 a Abs. 3 VAHRG zu versagen oder zu mindern. Ein Fall grober Unbilligkeit liege nicht vor. Auch nach Durchführung des vollen Ausgleichs bleibe die Beteiligte zu 1 mit einer Witwenversorgung von insgesamt ca. 2.760 DM ausreichend versorgt. Außerdem sei sie in einem Alter, das es ihr ermögliche, in einigen Jahren, wenn das von ihr versorgte Kind etwas älter geworden sei, in ihrem Beruf als Diplom-Bauingenieurin zusätzliche Einnahmen zu erzielen und ihre Altersversorgung zu verbessern. Dagegen könne die heute 62 Jahre alte Beteiligte zu 3 keine Berufstätigkeit mehr aufnehmen und habe, wenn die Realteilung nicht durchgeführt werde, so gut wie keine eigene Altersversorgung, obwohl sie ca. 30 Jahre lang mit einem gutverdienenden Mann verheiratet gewesen sei. Unter diesen Umständen könne die Durchführung der Realteilung auch dann nicht als grob unbillig bewertet werden, wenn – wie die Beteiligte zu 1 geltend macht – der zweite Ehemann der Beteiligten zu 3 vermögend sein sollte.
Diese Ausführungen des Beschwerdegerichts sind rechtlich nicht zu beanstanden.
2. Die weitere Beschwerde macht in erster Linie geltend, die von dem Versorgungsträger – der Beteiligten zu 4 – für den Einzelfall erteilte Zustimmung zur Realteilung reiche nicht aus. § 1 Abs. 2 VAHRG stelle darauf ab, ob die „maßgebende Regelung” eine Realteilung vorsehe. Mit „maßgebender Regelung” sei die in einer Satzung oder auf ähnliche Weise niedergelegte Versorgungsregelung des Versorgungsträgers gemeint. Sehe diese Versorgungsregelung eine Realteilung nicht vor, so könne ein Ausgleich im Wege der Realteilung nur dann vorgenommen werden, wenn nicht nur der Versorgungsträger, sondern auch der Versorgungsberechtigte (bzw. seine Erben) zustimmten. Die Versorgungsvereinbarung zwischen dem Versorgungsträger und dem Versorgungsberechtigten könne nicht durch eine einseitige Erklärung des Versorgungsträgers verändert werden.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
a) Die weitere Beschwerde geht allerdings zu Recht davon aus, daß im vorliegenden Fall lediglich eine Zustimmung des Versorgungsträgers für den Einzelfall (sogenannte ad-hoc-Zustimmung) vorliegt. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeerwiderung ist den Erklärungen der Beteiligten zu 4 nicht zu entnehmen, daß sie den vorliegenden Fall zum Anlaß genommen hat, die Realteilung – zumindest für den Bereich der leitenden Angestellten – generell vorzusehen. Sie hat mitgeteilt, sie habe sich entschlossen, bei leitenden Angestellten (nicht: bei Tarifmitarbeitern) „eine derartige Zustimmung zu einer Realteilung auch in ähnlich gelagerten und begründeten Ausnahmefällen zu erteilen”. Damit behält sich die Beteiligte zu 4 vor, auch in Zukunft in jedem Einzelfall zu prüfen, ob ihrer Ansicht nach ein begründeter Ausnahmefall vorliegt und ob sie deshalb die Zustimmung zur Realteilung erteilen will oder nicht.
b) Die für den Einzelfall erteilte Zustimmung des Versorgungsträgers ist jedoch ausreichend. Einer Zustimmung des Versorgungsberechtigten bzw. seiner Erben bedarf es nicht.
Vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich war eine entsprechende Realteilung im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen. Der Senat hat bereits zur damaligen Rechtslage entschieden, § 1587 b Abs. 4 BGB ermögliche es, ein an sich der Regelung des § 1587 b Abs. 3 BGB unterfallendes Versorgungsanrecht durch Realteilung auszugleichen, sofern der Versorgungsträger damit einverstanden sei (Senatsbeschluß vom 14. Juli 1982 – IV b ZB 709/81 – FamRZ 1982, 998 f). Schon in dieser Entscheidung hat der Senat eine Einzelfallzustimmung des Versorgungsträgers ausreichen lassen.
Für das nun geltende Recht gilt nichts anderes. § 1 VAHRG sieht die Realteilung ausdrücklich vor, und zwar mit Vorrang vor dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich. Die Einführung des § 1 VAHRG ist kein Anlaß, eine Einzelzustimmung des Versorgungsträgers nun nicht mehr ausreichen zu lassen (im Ergebnis wie hier: MünchKomm-BGB/Gräper, 3. Aufl. § 1 VAHRG Rdn. 31; Johannsen/Henrich/Hahne, Eherecht 2. Aufl. § 10 a VAHRG Rdn. 36; RGRK-BGB/Wick, 12. Aufl. § 1 VAHRG Rdn. 18).
c) Aus dem Umstand, daß § 1 Abs. 2 VAHRG die Realteilung nur vorschreibt, wenn die Versorgungsregelung sie vorsieht, kann nicht geschlossen werden, daß nach dem Willen des Gesetzgebers eine Einzelzustimmung des Versorgungsträgers nicht genügen soll. Mit dieser Einschränkung wird nur sichergestellt, daß die Realteilung, die für den Versorgungsträger mit erheblichem Aufwand und mit erheblichen Risiken verbunden ist, nicht gegen seinen Willen durchgeführt werden kann. Diesem Gesichtspunkt ist in gleicher Weise Rechnung getragen, wenn der Versorgungsträger die Realteilung nur im Einzelfall akzeptiert. Daß auch eine Einzelzustimmung des Versorgungsträgers zur Zulässigkeit der Realteilung führen kann, ist deshalb – soweit ersichtlich – in der Literatur unbestritten.
d) Allerdings wird – ohne nähere Begründung – die Meinung vertreten, wenn der Versorgungsträger nur eine Einzelfallzustimmung erteilt habe, sei in der Regel auch die Zustimmung des ausgleichspflichtigen Ehegatten als Anrechtsinhaber erforderlich (Rolland/Wagenitz, FamR § 1 VAHRG Rdn. 24; wohl auch Soergel/Zimmermann, 12. Aufl. § 1 VAHRG Rdn. 21). Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Dieser Ansicht liegt wohl die Vorstellung zugrunde, wenn die Versorgungsregelung die Realteilung nicht vorsehe, müsse sie durch eine Novation des zwischen dem Versorgungsträger und dem ausgleichspflichtigen Ehegatten abgeschlossenen Versorgungsvertrages eingeführt werden (§ 305 BGB). Eine Änderung des Versorgungsvertrages ist aber ebensowenig notwendig wie eine Zustimmung des ausgleichspflichtigen Ehegatten zur Realteilung. Der ausgleichspflichtige Ehegatte muß die Realteilung nicht hinnehmen, weil er ihr in irgendeiner Form zugestimmt hat, er muß sie vielmehr hinnehmen, weil er kraft Gesetzes zum Ausgleich seiner betrieblichen Altersversorgung verpflichtet ist und weil das Gesetz vorrangig die Realteilung vorsieht. Auch in anderen Fällen – z.B. beim analogen Quasi-Splitting nach § 1 Abs. 3 VAHRG – greift der Gesetzgeber nach einer Scheidung in ähnlicher Weise in durch privatrechtliche Verträge begründete Versorgungsanrechte ein, ohne daß es der Zustimmung des Versorgungsberechtigten bedarf. Die Versorgungsanwartschaften eines Verheirateten stehen, auch wenn sie vertraglich begründet sind und wenn der Vertrag dies nicht ausdrücklich vorsieht, von vornherein ohne weiteres unter dem Vorbehalt, daß sie im Falle einer Scheidung nach den gesetzlichen Regeln ausgeglichen werden müssen.
Gibt der Versorgungsträger im Einzelfall seine Zustimmung zur Realteilung und sind auch im übrigen die Voraussetzungen für eine Realteilung gegeben, so ist die Realteilung durchzuführen. Es braucht in diesem Zusammenhang nicht untersucht zu werden, ob im Innenverhältnis der Versorgungsträger nach dem zugrundeliegenden Versorgungsvertrag berechtigt war, die Zustimmung zu erteilen. Ebensowenig kommt es darauf an, welche Auswirkungen der Umstand, daß der Versorgungsträger einseitig die Zustimmung zur Realteilung erteilt hat, möglicherweise auf den Versorgungsvertrag und seine Abwicklung haben kann (vgl. auch Senatsbeschluß vom 1. Juli 1992 – XII ZB 36/91 – FamRZ 1993, 173, 174 f.).
3. Außerdem bittet die weitere Beschwerde, die Ausführungen des Beschwerdegerichts zu überprüfen, die Abänderung sei nicht wegen grober Unbilligkeit nach § 10 a Abs. 3 VAHRG zu versagen oder zu vermindern. Die Feststellung der groben Unbilligkeit ist in erster Linie Sache des Tatrichters. Das hat der Senat für den insoweit vergleichbaren Fall des § 1587 c BGB (zur Vergleichbarkeit vgl. RGRK-Wick a.a.O. § 10 a VAHRG Rdn. 55 m.N.) bereits entschieden (Senatsbeschluß vom 12. November 1986 – IV b ZB 67/85 – BGHR ZPO § 621 e Abs. 2 Satz 3 Ermessensentscheidung 1). Das Beschwerdegericht hat alle in Betracht kommenden Umstände – auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten zu 1 und zu 3 – in seine Betrachtung einbezogen. Die weitere Beschwerde zeigt nicht auf, daß ihm dabei Ermessensfehler unterlaufen sind und solche Ermessensfehler sind auch nicht ersichtlich.
4. Auch im übrigen hat das Beschwerdegericht mit zutreffender Begründung angenommen, daß die Voraussetzungen für eine Abänderung der rechtskräftigen Entscheidung zum Versorgungsausgleich in dem Scheidungsverbundurteil vorliegen, daß nachträglich wegen der betrieblichen Altersversorgung nach § 1 Abs. 2 VAHRG eine Realteilung durchzuführen ist und daß dies Anlaß für eine umfassende Neuentscheidung des gesamten Versorgungsausgleichs ist. Insofern zieht die weitere Beschwerde die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung auch nicht in Zweifel. Auch rein rechnerisch ist der Neuausgleich zutreffend durchgeführt.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Gerber, Sprick, Weber-Monecke
Fundstellen
Haufe-Index 1683293 |
Nachschlagewerk BGH |