Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 29. Januar 2001 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen Vergewaltigung in acht Fällen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision wird aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
Zur Rüge der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes (§§ 338 Nr. 6 StPO, 169 Satz 1 GVG) bemerkt der Senat ergänzend:
Der Rüge liegt folgendes zugrunde: In der Hauptverhandlung hatte die Strafkammer beschlossen, nach § 171b GVG die Öffentlichkeit zum Schutz der Privatsphäre der Nebenklägerin während deren Vernehmung auszuschließen. Während des Öffentlichkeitsausschlusses wurde sodann nicht nur diese Zeugin vernommen; vielmehr erfolgte zudem ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls
- die Verfügung des Vorsitzenden, daß vier Zeugen umgeladen werden,
- die Mitteilung des Vorsitzenden, wann diese Zeugen während der mehrtägigen Hauptverhandlung zur Vernehmung erscheinen werden und
- die Feststellung des Vorsitzenden, seit wann sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befindet.
Dies stellt keinen durchgreifenden Verstoß gegen § 169 Satz 1 GVG dar.
Zwar darf der Ausschluß der Öffentlichkeit nur erfolgen, soweit er erforderlich ist; er ist mithin in der Regel auf bestimmte Verfahrensabschnitte (etwa die Vernehmung eines bestimmten Zeugen) zu beschränken. Die Erörterung nicht mit dem fraglichen Verfahrensabschnitt zusammenhängender Fragen ist dann während des Öffentlichkeitsausschlusses in der Regel unzulässig (K. Schäfer/Wickern in LR 24. Aufl. § 172 GVG Rdn. 40 f.; vgl. auch BGH GA 1982, 275 und BGH NStZ 1996, 49). Hier war der Ausschluß zwar nicht ausdrücklich aber eindeutig erkennbar auf die Vernehmung der Nebenklägerin begrenzt. Um mit dieser Vernehmung eng zusammenhängende Fragen (vgl. BGH NStZ 1994, 354) handelte es sich bei der fraglichen Verfügung sowie bei den Mitteilungen des Vorsitzenden nicht.
Allerdings erweist sich nicht jede von den Verfahrensbeteiligten während des Öffentlichkeitsausschlusses entfaltete Aktivität, die nicht vom Ausschließungsbeschluß umfaßt wird, als Verletzung des § 169 Satz 1 GVG. Nach dieser Vorschrift ist „die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse” grundsätzlich öffentlich. Damit zusammenhängend greift der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO ein, wenn das Urteil auf Grund einer „mündlichen Verhandlung” ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind. Unter „mündlicher Verhandlung” ist die Hauptverhandlung zu verstehen (BGHSt 4, 279, 283; vgl. Eb. Schmidt, StPO § 338 Rdn. 29: „die Hauptverhandlung mit all ihren Bestandteilen und während ihrer ganzen Dauer”). Die Öffentlichkeit des Verfahrens soll u.a. der Kontrolle des Verfahrensganges und damit der staatlichen Rechtspflege dienen und das Vertrauen des Volkes zu der Rechtsprechung seiner Gerichte fördern (BGH aaO; Schoreit/Diemer in KK 4. Aufl., § 169 GVG Rdn. 2). In diesem Zusammenhang ist allerdings zu beachten, daß etwa Verhandlungen über Ablehnungsanträge, Fragen der Untersuchungshaft und über den Ausschluß des Verteidigers nicht öffentlich erfolgen müssen (Pfeiffer, StPO 3. Aufl. § 169 GVG Rdn. 2). Die Kontrolle der Justiz durch die Öffentlichkeit und das Informationsinteresse des Publikums können in diesen Bereichen dann zurückstehen. Dann aber ist es folgerichtig, wenn die Vornahme solcher Handlungen, die außerhalb der Hauptverhandlung vorgenommen werden dürfen, bereits im Rahmen der Hauptverhandlung während des Ausschlusses der Öffentlichkeit erledigt werden können.
Dementsprechend hat der Senat bereits entschieden, daß etwa der Schutz des Vertrauens in Terminankündigungen nicht vom Öffentlichkeitsgrundsatz umfaßt wird (BGH NStZ 1984, 134, 135) und es sich auch bei der während des Ausschlusses der Öffentlichkeit erfolgten Mitteilung des Vorsitzenden, daß bestimmte Vernehmungsprotokolle eingegangen seien, von denen er den Verteidigern Abschriften übergab, nicht um einen eigenständigen Verfahrensabschnitt handelt, für den die Öffentlichkeit wiederhergestellt werden muß (BGH NStZ 1999, 371).
Der 3. Strafsenat (BGH NStZ 1996, 398) hat hinsichtlich eines nach Ausschluß der Öffentlichkeit entgegengenommenen und erörterten Ablehnungsgesuchs vergleichbar entschieden: Das Ablehnungsverfahren sei materiell gesehen nicht Teil der vom Öffentlichkeitsprinzip bestimmten Hauptverhandlung, sondern ein selbständiges, eigenen Regeln unterliegendes Verfahren, für das Öffentlichkeit gesetzlich nicht vorgeschrieben sei. Die nach den Vorschriften über die richterliche Ablehnung gegebene Möglichkeit der Anbringung des Ablehnungsgesuchs in der Hauptverhandlung rechtfertige nicht die Annahme, daß das Ablehnungsgesuch damit notwendig allen zwingenden Regeln über die Hauptverhandlung unterliege. Daß die Richterablehnung in der Hauptverhandlung geschieht, habe vielmehr für die Hauptverhandlung nur eine zufällige, unwesentliche (akzidentielle) Bedeutung. Die materielle Abschichtung des Ablehnungsgesuchs von der Hauptverhandlung und seine Zugehörigkeit zum eigenständigen, vom Öffentlichkeitsprinzip befreiten Ablehnungsverfahren finde nicht zuletzt darin ihren Ausdruck, daß das Ablehnungsgesuch zur Wahrung des Unverzüglichkeitsgebots in § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO bei längeren Hauptverhandlungsunterbrechungen außerhalb der Hauptverhandlung und damit unabhängig von ihr gestellt werden müsse.
Diesen Ausnahmen ist gemeinsam, daß sie den Schuld- und Strafausspruch nicht unmittelbar betreffen, die Maßnahmen auch außerhalb der Hauptverhandlung hätten vorgenommen werden können und ihre Einführung in die Hauptverhandlung nicht vorgeschrieben ist. Dies trifft vorliegend auch auf die rein organisatorischen Maßnahmen des Vorsitzenden hinsichtlich der Umladung der Zeugen zu.
Anders verhält es sich bei der Feststellung des Kammervorsitzenden zur Dauer der Untersuchungshaft des Angeklagten. Die Dauer der Untersuchungshaft kann für die Strafzumessung von Bedeutung sein (vgl. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 433 f., 587). Hier hat die Kammer im Urteil ausdrücklich – „wenn auch im geringen Umfang – berücksichtigt”, daß sich der Angeklagte seit dem 13. Januar 2000 in Untersuchungshaft befindet und diese ihn auch psychisch belaste.
Der Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit ist jedoch jedenfalls dann ausgeräumt, wenn der Mangel durch Wiederholung der Prozeßhandlung geheilt worden ist oder sich diese Maßnahme – wie hier – aus besonderen Gründen als überflüssig erweist (BGHSt 33, 99; Kuckein in KK 4. Aufl. § 338 Rdn. 90). Hinsichtlich der Untersuchungshaft wurde an einem späteren Hauptverhandlungstag in öffentlicher Verhandlung die Aufhebung des gegen den Angeklagten („vorgeführt aus der JVA Traunstein”) vollzogenen Haftbefehls beantragt, erörtert und abgelehnt.
Der Antrag der Nebenklägerin auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Revisionsverfahren ist aufgrund der fortwirkenden Beistandsbestellung durch das Landgericht gegenstandslos (vgl. Senatsentscheidungen vom 31. August 1999 – 1 StR 367/99 – und vom 8. März 2001 – 1 StR 73/01).
Unterschriften
Schäfer, Nack, Wahl, Schluckebier, Kolz
Fundstellen
Haufe-Index 651605 |
NStZ 2002, 106 |