Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristenüberwachung. Organisationsverschulden
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Rechtssache, die von dem Büropersonal auf Grund einer Vorfristenanordnung vorgelegt wird, muss nicht sofort bearbeitet werden und auch die vom Büropersonal notierte Frist muss nicht sofort überprüft werden.
2. Zur Berechnung der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO.
Normenkette
ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2, § 234 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Dresden (Beschluss vom 30.05.2005; Aktenzeichen 7 S 717/04) |
AG Dippoldiswalde (Urteil vom 12.11.2004) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Dresden v. 30.5.2005 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 2.000 EUR.
Gründe
I.
Die Kläger haben von den Beklagten die Beseitigung von Anpflanzungen in der Nähe der Grundstücksgrenze verlangt. Die Klage ist mit Urteil des AG v. 12.11.2004 abgewiesen worden. Das Urteil ist der Prozessbevollmächtigten der Kläger nach dem von ihrer Anwältin unterzeichneten Empfangsbekenntnis am 19.11.2004 zugestellt worden. Die Berufungsschrift gegen das Urteil ist am 13.12.2004, die Berufungsbegründung jedoch erst am 24.1.2005 bei dem LG eingegangen. Nach richterlichem Hinweis auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist in einer am 21.3.2005 zugestellten Verfügung haben die Kläger mit dem am 4.4.2005 bei dem LG eingegangenen Schriftsatz die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Zur Begründung haben die Kläger ausgeführt, dass das Urteil am Nachmittag des 19.11.2004, einem Freitag, zugestellt worden sei. Die bisher stets zuverlässig die Fristen notierende Angestellte Z. habe entgegen der Weisung, sogleich nach Anbringung des Eingangsstempels die Berufungsfrist und die Frist zur Begründung der Berufung zu notieren, die Eintragungen im Fristenkalender erst am kommenden Montag, dem 22.11.2004, vorgenommen und von diesem Tag ausgehend die Fristen berechnet. Die Prozessbevollmächtigte habe bei der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses am 23.11.2004 zwar die Notierung der Fristen, jedoch nicht deren Berechnung geprüft. Sie habe die Berufungsbegründung auch nicht sofort nach Vorlage der Akten nach Ablauf der auf den 18.1.2005 notierten Vorfrist, sondern erst am fehlerhaft notierten Tage des Ablaufes der Begründungsfrist, am Montag, dem 24.1.2005, gefertigt und bei Gericht eingereicht.
Das LG hat den Wiedereinsetzungsantrag der Kläger zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehren und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgen.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 S. 4, 238 Abs. 2 S. 1 ZPO) und auch zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Beschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
a) Die Zulassung ist aus dem Grunde der Divergenz geboten. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der mit der Anfertigung einer Berufungsbegründung beauftragte Rechtsanwalt die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung der Frist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO (dazu: BGH, Beschl. v. 19.2.1991 - VI ZB 2/91, BRAK 1991, 174 = MDR 1991, 907 = NJW-RR 1991, 827 [828]; v. 14.1.1997 - VI ZB 24/96, BRAK 1997, 136 = MDR 1997, 396 = NJW 1997, 1311; v. 5.11.2002 - VI ZB 40/02, MDR 2003, 299 = BGHReport 2003, 252 = NJW 2003, 437) bereits am Tage der Vorlegung nach dem Ablauf einer Vorfrist vorzunehmen habe. Damit ist es von der Rechtsprechung des BGH abgewichen. Danach muss eine Sache, die auf Grund einer Vorfristenanordnung vorgelegt wird, nicht sofort bearbeitet und auch die vom Büropersonal notierte Frist nicht sofort überprüft werden (BGH, Beschl. v. 27.5.1997 - VI ZB 10/97, BRAK 1997, 224 = NJW 1997, 2825 [2826]; v. 9.3.1999 - VI ZB 3/99, MDR 1999, 767 = NJW 1999, 2048 [2049]).
Die Versäumung der Begründungsfrist kann daher nicht deshalb als verschuldet angesehen werden, weil die Prozessbevollmächtigte der Kläger nicht bereits beim Ablauf der Vorfrist am 18.1.2005 den von der Angestellten Z. fälschlicherweise auf den 24.1.2005 datierten Ablauf der Berufungsbegründungsfrist geprüft hat und so die am 19.1.2005 endende Frist für die Berufungsbegründung noch hätte wahren können. Die Entscheidung beruht auch auf der abweichenden Beantwortung der Rechtsfrage und nicht auf einer rechtsfehlerhaften Würdigung der Umstände im Einzelfall, zu denen das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat.
b) Die Rechtsbeschwerde ist wegen der aufgezeigten Divergenz zulässig, auch wenn sie - wie sogleich ausgeführt - wegen Nichteinhaltung der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO keinen Erfolg haben kann. Die Rechtsbeschwerde ist ein Rechtsmittel, das zur Sachentscheidung führt. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels hängt nicht davon ab, ob es begründet ist oder nicht (BGH, Beschl. v. 23.10.2003 - V ZB 28/03, BGHReport 2004, 266 = MDR 2004, 408 = NJW 2004, 367 [368]).
2. Die Rechtsbeschwerde ist indes schon deshalb unbegründet, weil die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO nicht gewahrt worden ist. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist daher im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen worden.
Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt nach § 234 Abs. 2 ZPO an dem Tage, an dem das Hindernis behoben ist. Das ist bereits dann der Fall, wenn die Versäumung der Frist hätte erkannt werden müssen, also der Irrtum darüber nicht mehr unverschuldet war (BGH, Beschl. v. 12.10.1989 - I ZB 3/89, MDR 1990, 413 = NJW-RR 1990, 379 [380]; v. 7.2.1996 - XII ZB 107/94, FamRZ 1996, 934 [935]). Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hätte hier nicht erst mit Zustellung des richterlichen Hinweises v. 16.3.2005, am 21.3.2005, sondern spätestens am 24.1.2005 der Prozessbevollmächtigten der Kläger bekannt werden müssen. Die Anwältin hatte bei der Anfertigung der Begründungsschrift selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob die von ihrer Angestellten Z. eingetragene Frist richtig berechnet worden war (BGH, Beschl. v. 19.2.1991 - VI ZB 2/91, BRAK 1991, 174 = MDR 1991, 907 = NJW-RR 1991, 827 [828]; v. 14.1.1997 - VI ZB 24/96, BRAK 1997, 136 = MDR 1997, 396 = NJW 1997, 1311; v. 5.11.2002 - VI ZB 40/02, MDR 2003, 299 = BGHReport 2003, 252 = NJW 2003, 437; st.Rspr. des BGH). Hätte sie dies getan, so wäre ihr auch aufgefallen, dass die Frist für die Berufungsbegründung bereits am 19.1.2005 abgelaufen war. Damit begann auch die Frist für die Wiedereinsetzung nach § 234 Abs. 2 ZPO zu laufen (BGH, Beschl. v. 7.2.1996 - XII ZB 107/94, FamRZ 1996, 934 [935]), die somit am 7.2.2005 ablief.
Das Wiedereinsetzungsgesuch v. 4.4.2005 war daher verspätet und schon aus diesem Grunde als unzulässig zu verwerfen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; die Festsetzung des Beschwerdewerts aus § 3 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1456750 |
BGHR 2006, 255 |
BRAK-Mitt. 2006, 24 |