Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Beschluss vom 25.08.1998) |
AG Böblingen (Urteil vom 20.03.1998) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des 18. Zivilsenats – Familiensenat – des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 25. August 1998 aufgehoben.
Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Böblingen vom 20. März 1998 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Beschwerdewert: bis 25.000 DM
Tatbestand
I.
Durch das der Klägerin am 24. März 1998 zugestellte Urteil des Amtsgerichts wurde deren Klage auf rückständigen und laufenden nachehelichen Unterhalt teilweise abgewiesen. Daraufhin beantragte die Klägerin, der im ersten Rechtszug Prozeßkostenhilfe ohne Raten bewilligt worden war, mit am 23. April 1998 beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz, ihr auch für das Berufungsverfahren Prozeßkostenhilfe zu gewähren, und fügte diesem Gesuch den Entwurf einer Berufungsschrift nebst Berufungsbegründung bei.
Mit der Klägerin am 29. Juli 1998 zugestelltem Beschluß verweigerte ihr das Berufungsgericht die begehrte Prozeßkostenhilfe mit der Begründung, sie könne die Prozeßführung auch unter Berücksichtigung eines Schonbetrages von etwa 5.000 DM aus dem Betrag von 17.800 DM aufbringen, den der Beklagte inzwischen aufgrund des erstinstanzlichen Urteils an sie gezahlt habe.
Die Klägerin legte daraufhin am 12. August 1998 Berufung gegen dieses Urteil ein (die sie später rechtzeitig begründete) und beantragte zugleich, ihr gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Das Berufungsgericht sah die Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages (§ 234 Abs. 1 und 2 ZPO) als nicht gewahrt an, lehnte die Wiedereinsetzung ab und verwarf die Berufung durch Beschluß als unzulässig.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin.
Entscheidungsgründe
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Einer Partei ist nach Ablehnung ihres Prozeßkostenhilfegesuches Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer Rechtsmittelfrist zu gewähren, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozeßkostenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen mußte (vgl. Senatsbeschluß vom 7. Februar 1996 – XII ZB 157/95 – FamRZ 1996, 933 f. m.N.). Das ist hier der Fall.
1. Keinen Bedenken begegnet der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zunächst nicht in der Lage war, für die Kosten des Berufungsverfahrens aufzukommen, deshalb die Berufungsfrist unverschuldet versäumte und durch ihren innerhalb dieser Frist gestellten Antrag auf Prozeßkostenhilfe alles für eine spätere Wiedereinsetzung zunächst Erforderliche getan hat.
2. Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht indes, soweit es die Ansicht vertritt, die zweiwöchige Frist des § 234 ZPO zur Beantragung der Wiedereinsetzung habe nicht erst mit Zustellung des Prozeßkostenhilfe verweigernden Beschlusses, sondern bereits mit der Kenntnis der Klägerin von der am 7. Mai 1998 auf ihrem Konto eingegangenen Zahlung des Beklagten begonnen.
Hier durfte die Klägerin sich ungeachtet der Zahlung des Beklagten weiterhin für bedürftig halten und brauchte mit der Zurückweisung ihres Prozeßkostenhilfegesuchs wegen zwischenzeitlich entfallener Bedürftigkeit nicht zu rechnen. Sie war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nämlich nicht gehalten, den ihr zugeflossenen Betrag zur Bestreitung der Kosten des Berufungsverfahrens einzusetzen.
a) Es kann dahinstehen, ob dem Vorbringen der sofortigen Beschwerde zu folgen ist, eine zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem nur vorläufig vollstreckbaren Urteil erbrachte Zahlung des Schuldners gehöre noch nicht zum nach § 115 Abs. 2 ZPO einzusetzenden Vermögen des Gläubigers, da die Erfüllungswirkung der Zahlung bis zum Eintritt der Rechtskraft in der Schwebe bleibe (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB 57. Aufl. § 362 Rdn. 12 m.w.N.) und der Gläubiger bis zu diesem Zeitpunkt damit rechnen müsse, den erhaltenen Betrag zurückzahlen zu müssen, zumal der Beklagte hier bereits mit Schriftsatz vom 15. Juli 1998 angekündigt habe, für den Fall der Berufungseinlegung Anschlußberufung einzulegen.
b) Die Klägerin war jedenfalls angesichts der Umstände des vorliegenden Falles nicht verpflichtet, den erhaltenen Betrag vorrangig zur Bestreitung der Kosten des Berufungsverfahrens einzusetzen, statt ihn, wie sie innerhalb der ihr nachgelassenen Frist zur Stellungnahme vorgetragen hat, zur Rückführung des Darlehens zu verwenden, das ihre Mutter ihr zur Überbrückung der Zeit ausbleibender Unterhaltszahlungen gewährt hatte.
aa) Die Klägerin hat die als Zufluß zu ihrem Kapitalvermögen anzusehende Zahlung des Beklagten (vgl. Stein/Jonas/Bork, ZPO 21. Aufl. § 115 Rdn. 9 und 87) dazu verwandt, ihre Darlehensschuld teilweise zu tilgen, so daß ihr dieser Betrag zur Bestreitung der Prozeßkosten nicht mehr zur Verfügung stand (vgl. OLG Bamberg FamRZ 1986, 484).
Als fiktives Vermögen hätte sie sich diesen Betrag nur dann weiterhin zurechnen lassen müssen, wenn sie ihre Leistungsunfähigkeit böswillig herbeigeführt hätte, beispielsweise durch Tilgung einer Verbindlichkeit, deren Begründung angesichts der zu erwartenden Belastung durch die beabsichtigte Rechtsverfolgung unangemessen war (vgl. Stein/Jonas/ Bork aaO Rdn. 88), oder auch durch Tilgung einer Verbindlichkeit weit vor deren Fälligkeit. Davon kann hier indes nicht ausgegangen werden. Denn die Aufnahme des Darlehens war angesichts ausbleibender Unterhaltszahlungen zur Deckung des laufenden Unterhalts erforderlich. Die Vereinbarung im Darlehensvertrag vom 31. Mai 1996, daß das Geld „je nach Bedarf … ausgezahlt” werde und bis „spätestens” 31. Dezember 1999 zurückzuzahlen sei, ist angesichts der Bestimmung des Darlehens zur Überbrückung einer finanziellen Notlage dahin auszulegen, daß es schon vor dem „spätesten” Fälligkeitstermin zurückzuzahlen war, falls sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin – hier durch die Zahlung des Beklagten – verbesserten (vgl. Palandt/Putzo, BGB 57. Aufl. § 609 Rdn. 8).
bb) Etwas anderes ergibt sich auch dann nicht, wenn man die in der Quittung vom 23. Juli 1998 enthaltene Erklärung der Darlehensgeberin, 17.800 DM zurückerhalten zu haben, dahin versteht, daß die Rückzahlung erst an diesem Tage erfolgte. Denn der Umstand, daß die Klägerin dann in der Zeit vom Eingang der Zahlung am 7. Mai 1998 bis zur Darlehenstilgung am 23. Juli 1998 über den Betrag von 17.800 DM verfügen konnte, führte nicht zu einer vorübergehenden, die Frist des § 234 ZPO in Lauf setzenden Leistungsfähigkeit der Klägerin, weil dem eingegangenen Geldbetrag die nunmehr fällige Darlehensverbindlichkeit gegenüberstand und bei der Beurteilung ihrer Vermögenslage im Wege der Saldierung zu berücksichtigen war.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Gerber, Sprick, Weber-Monecke
Fundstellen
Haufe-Index 1383885 |
FamRZ 1999, 644 |
NJWE-FER 1999, 65 |
SGb 1999, 466 |
VersR 1999, 1435 |