Tenor
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 16. August 2000 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten bestehen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Beschuldigte das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel ist zulässig erhoben. Entgegen der vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vertretenen Ansicht entspricht die Revisionsbegründungsschrift den Erfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO. Es besteht kein Zweifel, daß der Verteidiger die vorbehaltslose Verantwortung für deren Inhalt übernommen hat; der vor der Unterschrift des Verteidigers – überflüssigerweise – eingefügte Zusatz „Für Herrn I.” steht dem nicht entgegen.
Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Maßregelausspruchs.
Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht die von dem Beschuldigten im Jahre 1998 begangenen Taten auf der Grundlage rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen zutreffend jeweils als sexuellen Mißbrauch eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB), in einem Fall tateinheitlich begangen mit sexueller Nötigung (§ 178 Abs. 1 StGB a.F.), gewertet: Der Angeklagte hatte jeweils ein damals 12jähriges Mädchen oberhalb der Kleidung an der Brust berührt, ihm in zwei Fällen die Oberschenkel gestreichelt und ihm einmal über der Hose an das Geschlechtsteil gegriffen, was das Kind als schmerzhaft empfand; bei dem ersten Übergriff hatte er die Abwehrbemühungen des Mädchens dadurch unterbunden, daß er es am Gesäß anfaßte und an sich zog (UA 4).
Auch begegnet das Urteil keinen rechtlichen Bedenken, soweit die sachverständig beratene Strafkammer davon ausgegangen ist, daß der zur Tatzeit 75 Jahre alte Beschuldigte dabei ohne Schuld gehandelt hat, da bei ihm „ein hirnorganisches Psychosyndrom im Sinne einer organischen Wesensänderung mit kognitiv-mnestischen Beeinträchtigungen im Sinne einer krankhaften seelischen Störung nach § 20 StGB vorliegt, durch die es dem Beschuldigten nicht möglich ist, das Unrecht seiner Handlungsweisen kritisch zu überprüfen und einzusehen” (UA 10).
Der Maßregelausspruch kann gleichwohl nicht bestehen bleiben, weil das Vorliegen der in § 63 StGB vorausgesetzten Gefährlichkeitsprognose zweifelhaft ist. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes künftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde.
Davon ist das Landgericht zwar ausgegangen. Es stützt sich insoweit auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, denen zufolge wegen des beim Beschuldigten vorliegenden hirnorganischen Psychosyndroms, das eine Dauerstörung mit progredientem Verlauf darstelle, das Risiko hoch erscheine, daß „zumindest ähnliche, wie die ihm zur Last gelegten Taten wieder begangen werden können, wenn sich vergleichbare Situationen ergeben” (UA 12).
Dies reicht zur Rechtfertigung der Unterbringung hier nicht aus. Die Frage nach der Erheblichkeit künftig zu erwartender rechtswidriger Taten kann nicht allein nach den verletzten gesetzlichen Straftatbeständen beantwortet werden. Zwar gehört der sexuelle Mißbrauch eines Kindes grundsätzlich zu den gewichtigeren Straftaten, jedoch ist auch hierbei – gerade in Anbetracht der breiten Skala tatbestandsmäßiger Handlungsweisen des § 176 StGB – die Art der zu erwartenden Tatbestandsverwirklichung zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1995, 228; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 25). Dabei ist auf den Einzelfall abzustellen (BGH bei Holtz MDR 1994, 433).
Zu werten war hier, daß die Anlaßtaten von ihrem strafrechtlichen Gewicht nicht allzu schwerwiegend erscheinen, da es jeweils nur zu Berührungen des Kindes oberhalb der Kleidung gekommen ist und der Beschuldigte lediglich einmal das Mädchen an sich gedrückt hat. Weiterhin hätte das Landgericht in seine Überlegungen einbeziehen müssen, daß sich die Anlaßtaten in ihrer Intensität deutlich von der den Gegenstand der einschlägigen Vorverurteilung bildenden Tat aus dem Jahre 1984 (UA 3) unterscheiden. Vor allem aber ist die Prognoseentscheidung deswegen rechtlich zu beanstanden, weil das Landgericht die weitere Entwicklung des auf freiem Fuß befindlichen, nunmehr 78 Jahre alten Beschuldigten seit der letzten verfahrensgegenständlichen Tat (Juli 1998) dabei nicht erkennbar berücksichtigt hat. Sollte der Beschuldigte seither trotz bestehender und sogar fortschreitender Erkrankung keine weiteren Straftaten begangen haben, könnte dies ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten sein (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27).
Die Frage der Notwendigkeit einer Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher neuer Prüfung. Die zu den rechtswidrigen Taten des Beschuldigten getroffenen Feststellungen werden von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 600082 |
StV 2002, 477 |