Verfahrensgang
LG Münster (Urteil vom 09.12.2002) |
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 9. Dezember 2002
- im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte im Fall 3 der Urteilsgründe des (vollendeten) sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen schuldig ist,
mit den Feststellungen aufgehoben,
- soweit der Angeklagte in den Fällen 14 bis 25 der Urteilsgründe wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen verurteilt worden ist,
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in 24 Fällen und wegen versuchten sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben, soweit er in den Fällen 1 bis 13 der Urteilsgründe verurteilt worden ist. Insbesondere belegen die Urteilsgründe, daß der Angeklagte, der zu den Tatzeiten Konrektor an der Schule des Tatopfers und gleichzeitig ihr Klassenlehrer war, die Taten – wie in § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB gefordert – im Rahmen eines Obhutsverhältnisses und unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs- und Betreuungsverhältnis verbundenen Abhängigkeit der Schutzbefohlenen begangen hat. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts Bezug genommen werden. Allerdings hat das Landgericht im Fall 3 der Urteilsgründe, in welchem es zwar nicht zu dem vom Angeklagten angestrebten Geschlechtsverkehr mit dem Tatopfer, wohl aber zu anderen sexuellen Handlungen an diesem kam, zu Unrecht („versehentlich”, vgl. UA 11) lediglich eine Versuchstat angenommen. Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend ab. Die insoweit verhängte Einzelstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe kann jedoch bestehen bleiben, da ausgeschlossen werden kann, daß das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung als vollendete Tat auf eine geringere Strafe erkannt hätte.
2. Keinen Bestand kann hingegen die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 14 bis 25 der Urteilsgründe haben.
Nach den insoweit getroffenen Feststellungen kam es in den Monaten Mai bis August 2001 in weiteren zwölf Fällen zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer zum Geschlechtsverkehr. Die einzelnen Tattage konnten nicht näher konkretisiert werden. Der letzte Geschlechtsverkehr fand in den Sommerferien 2001, die vom 5. Juli bis 18. August 2001 dauerten, „vor der Urlaubsreise des Angeklagten” statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Geschädigte die Schule, an der der Angeklagte tätig war, bereits verlassen, um an einer anderen Schule ihre Schulausbildung fortzusetzen.
Mit Ausscheiden des Tatopfers aus der Schule des Angeklagten und mit der damit verbundenen Beendigung des bis dahin bestehenden Lehrer-Schüler-Verhältnisses ist bereits das Vorhandensein eines Obhutsverhältnisses im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht belegt. Zwar war der Angeklagte, worauf das Landgericht ergänzend ebenfalls abgestellt hat, auch Tennistrainer der Geschädigten. Voraussetzung für das Vorliegen eines Obhutsverhältnisses ist jedoch, daß ein Verhältnis besteht, kraft dessen einer Person das Recht und die Pflicht obliegen, die Lebensführung des Jugendlichen und damit dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten (std. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 1 und 2). Dies versteht sich bei einer Tätigkeit als Tennistrainer nicht von selbst (zum Fußballtrainer vgl. BGHSt 17, 191, 192/193), sondern hätte vielmehr näherer Darlegung bedurft. Gleiches gilt für die vom Angeklagten weiterhin wahrgenommene Tätigkeit als Nachhilfelehrer, zumal den Urteilsfeststellungen nicht entnommen werden kann, ob der Angeklagte der Geschädigten auch nach ihrem Ausscheiden aus der Schule, an der er unterrichtete, noch Nachhilfeunterricht erteilt hat.
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Urteils in den Fällen 14 bis 25, da die Urteilsgründe weder den genauen Zeitpunkt des Ausscheidens der Geschädigten aus der Schule mitteilen noch mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen lassen, welche der der Verurteilung zugrunde liegenden einzelnen sexuellen Handlungen davor oder danach begangen worden sind. Bei Anwendung des Zweifelssatzes kann daher auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen letztlich nicht ausgeschlossen werden, daß die für den Tatzeitraum „Mai bis August 2001” ausgeurteilten Taten zu einem Zeitpunkt begangen worden sind, in welchem die Geschädigte die Schule des Angeklagten schon verlassen hatte und das aufgrund des Lehrer-Schüler-Verhältnisses bestehende Obhutsverhältnis bereits beendet war. Die Sache bedarf daher insoweit der erneuten Verhandlung und Entscheidung.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Athing, Ernemann, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2559031 |
NStZ 2003, 661 |