Leitsatz (amtlich)
Die Beschwerdefrist für den Betroffenen in einer Betreuungssache wird nur durch Bekanntgabe der Entscheidung an ihn selbst in Lauf gesetzt. Eine Zustellung nur an den Betreuer bleibt für den Beginn der Beschwerdefrist des Betroffenen auch dann ohne Einfluss, wenn der Betreuer für den Aufgabenkreis "Entgegennahme und Öffnen der Post" bestellt ist (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 4.5.2011 - XII ZB 632/10, FamRZ 2011, 1049).
Normenkette
FamFG §§ 63, 275
Verfahrensgang
LG Ansbach (Beschluss vom 15.01.2019; Aktenzeichen 4 T 1303/18) |
AG Weißenburg i.Bay (Beschluss vom 03.12.2018; Aktenzeichen XVII 457/17) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Ansbach vom 15.1.2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die 82-jährige Betroffene leidet an einer senilen Demenz, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Am 17.1.2018 und am 10.11.2018 unterzeichnete sie jeweils eine auf ihren Sohn, den Beteiligten zu 3), lautende Vorsorgevollmacht. Nach den getroffenen Feststellungen war sie hierbei jeweils geschäftsunfähig.
Rz. 2
Das AG hat eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Vertretung in einem näher bezeichneten Nachlassverfahren sowie Entgegennahme und Öffnen der Post im Rahmen des übertragenen Aufgabenkreises eingerichtet und den Beteiligten zu 1) als Berufsbetreuer bestimmt.
Rz. 3
Gegen die der Betroffenen nicht zugestellte Entscheidung hat diese durch eine von ihrem Sohn gefertigte, nicht unterschriebene Eingabe vom 12.12.2018 Beschwerde eingelegt, die das LG verworfen hat. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen. Während des laufenden Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Betroffene durch eine beim AG am 17.5.2019 eingegangene, wortlautidentische und nunmehr unterschriebene Eingabe erneut Beschwerde eingelegt.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 5
1. Das LG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Beschwerde der Betroffenen sei unzulässig. Eine wirksame Vertretung der Betroffenen durch ihren Sohn liege nicht vor, da die Betroffene weder am 17.1.2018 noch später in der Lage gewesen sei, diesen wirksam zu bevollmächtigen. Eine Umdeutung des Beschwerdeschreibens in eine Beschwerde des Sohns komme nicht in Betracht, da sowohl das Schreiben selbst als auch der Briefumschlag eindeutig die Betroffene als Absenderin ausweise.
Rz. 6
Im Übrigen sei das Beschwerdeschreiben weder von der Betroffenen noch von ihrem Sohn unterschrieben und auch aus diesem Grunde unzulässig.
Rz. 7
2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 8
a) Zutreffend ist das LG allerdings davon ausgegangen, dass durch die nicht unterschriebene Eingabe vom 12.12.2018 keine wirksame Beschwerde eingelegt worden ist, da es an der - nach § 64 Abs. 2 Satz 4 FamFG bei schriftlicher Einlegung der Beschwerde notwendigen - Unterzeichnung der Beschwerdeschrift fehlt. Das gesetzliche Erfordernis der Unterschrift soll nämlich die Identifizierung des Urhebers einer Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen unautorisierten Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (BGH, Beschl. v. 18.3.2015 - XII ZB 424/14, FamRZ 2015, 919 Rz. 7 m.w.N.).
Rz. 9
b) Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das LG die Beschwerde verworfen hat, ohne der Betroffenen binnen noch laufender Beschwerdefrist durch einen Hinweis Gelegenheit zur Heilung des in der fehlenden Unterschrift liegenden Formmangels zu geben.
Rz. 10
aa) Zwar sieht § 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG für den Fall einer Verwerfung eines unzulässigen Rechtsmittels eine Anhörung der Verfahrensbeteiligten nicht ausdrücklich vor. Die Pflicht zur Anhörung des Rechtsmittelführers folgt indessen unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG. Dieses Verfahrensgrundrecht gibt dem Verfahrensbeteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, dass er Gelegenheit erhält, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern (vgl. BGH, Beschl. v. 6.12.2017 - XII ZB 107/17, FamRZ 2018, 449 Rz. 7 m.w.N.; vgl. auch BSG Beschl. v. 20.3.2019 - B 1 KR 7/18 B - juris Rz. 10).
Rz. 11
Hätte das LG der Betroffenen einen entsprechenden Hinweis erteilt, so hätte sie - wie inzwischen mit der am 17.5.2019 eingegangenen Eingabe geschehen - die Unterschrift unter die Beschwerdeschrift nachgeholt und den Formmangel dadurch geheilt.
Rz. 12
bb) Durch die Nachholung der Unterschrift konnte der Formmangel auch rechtzeitig geheilt werden, da die Frist zur Einlegung der Beschwerde noch nicht abgelaufen war.
Rz. 13
(1) Gemäß § 63 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde binnen einer Frist von einem Monat einzulegen. Die Frist beginnt gem. § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten. Eine Bekanntgabe an die Betroffene ist indessen nicht erfolgt.
Rz. 14
Zwar hat der Richter am AG am 3.12.2018 verfügt, dass eine beglaubigte Abschrift des an dem Tag ergangenen Beschlusses an die Betroffene per Postzustellungsauftrag zuzustellen sei. Die Zustellung ist dann aber ausweislich der Zustellungsurkunde vom 6.12.2018 nicht an die Betroffene persönlich, sondern an den Beteiligten zu 1) als ihren Betreuer erfolgt, denn die Zustellungsurkunde ist - womöglich wegen eines vom Betreuer aufgrund seines Aufgabenkreises (u.a. Entgegennahme und Öffnen der Post) veranlassten Nachsendeauftrags - dahin "berichtigt" worden, dass an ihn zuzustellen ist.
Rz. 15
Die Zustellung an den Betreuer wirkt indessen nicht gegen die Betroffene. § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG verweist zwar hinsichtlich der Bekanntgabe durch Zustellung auf die §§ 166 bis 195 ZPO. Die Vorschrift des § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO, nach dem bei nicht prozessfähigen Personen an deren gesetzlichen Vertreter zuzustellen ist, findet auf den Betroffenen im Betreuungsverfahren aber keine Anwendung. Nach § 275 FamFG ist der Betroffene vielmehr in Betreuungssachen ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig. Durch diese Vorschrift soll sichergestellt werden, dass Betroffene in allen mit der Betreuung zusammenhängenden Verfahren alle Angriffs- und Verteidigungsmittel selbst vorbringen und von Rechtsmitteln Gebrauch machen können. Dadurch soll die Rechtsposition der Betroffenen im Verfahrensrecht entscheidend verbessert werden (BT-Drucks. 11/4528, 170). Da ein Betroffener somit seine Rechte im Betreuungsverfahren aufgrund von § 275 FamFG selbst wahrnehmen kann, muss die Zustellung abweichend von § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO an ihn selbst erfolgen. Das gilt auch dann, wenn der Betreuer für den Aufgabenbereich "Entgegennahme und Öffnen der Post" bestellt ist. In seinem Aufgabenkreis vertritt der Betreuer den Betreuten zwar gerichtlich und außergerichtlich (§ 1902 BGB). Eine Zustellung nach § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO an den gesetzlichen Vertreter des Betroffenen scheidet im Betreuungsverfahren nach dem Vorstehenden aber gerade aus (BGH, Beschl. v. 4.5.2011 - XII ZB 632/10, FamRZ 2011, 1049 Rz. 10 m.w.N.).
Rz. 16
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der danach vorliegende Zustellungsmangel gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 189 ZPO geheilt worden ist, da keine Feststellungen darüber getroffen sind, dass der Beschluss der Betroffenen formlos zugegangen ist. Aus dem vom Sohn gefertigten und nicht unterzeichneten Beschwerdeschreiben vom 12.12.2018 lässt sich für sich genommen nicht herleiten, dass der Betroffenen das zuzustellende Schriftstück tatsächlich ausgehändigt worden ist. Diese Voraussetzung müsste aber erfüllt sein, damit die formgerechte Zustellung fingiert werden kann (BGH, Beschl. v. 4.5.2011 - XII ZB 632/10, FamRZ 2011, 1049 Rz. 11 m.w.N.).
Rz. 17
(2) Kann die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden, beginnt die Frist spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses (§ 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG). Maßgeblich für den Lauf der Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist der Umstand, dass die schriftliche Bekanntgabe des Beschlusses unterblieben ist. Warum die Bekanntgabe nicht erfolgt ist, ist ohne Belang (BGH, Beschl. v. 11.3.2015 - XII ZB 571/13, FamRZ 2015, 839 Rz. 26 m.w.N.).
Rz. 18
Die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den am 3.12.2018 ergangenen Beschluss begann daher mit Ablauf des 3.5.2019, endete mit Ablauf des 3.6.2019 und ist durch die am 17.5.2019 eingegangene Beschwerdeschrift gewahrt.
Rz. 19
3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen
Haufe-Index 13291475 |
NJW 2019, 8 |
FamRZ 2019, 1636 |
FuR 2019, 669 |
NJW-RR 2019, 1025 |
BtPrax 2019, 210 |
JZ 2019, 621 |
MDR 2019, 1077 |
Rpfleger 2019, 641 |
FF 2019, 379 |
FamRB 2019, 8 |
NZFam 2019, 842 |