Leitsatz (amtlich)
›Weicht ein Prozeßbevollmächtigter von einer bestehenden Kanzleiorganisation ab und erteilt einer zuverlässigen Kanzleikraft eine auf einen konkreten Fall bezogene Einzelweisung, bei deren Befolgung die Berufungsfrist gewahrt worden wäre, trifft ihn kein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden, wenn seine Weisung versehentlich nicht befolgt wird und deshalb die Frist verstreicht.‹
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG |
LG Kiel |
Gründe
1. Der Kläger begehrt die Feststellung, daß der Beklagten gegen ihn kein über 8.783,20 DM hinausgehender Zahlungsanspruch zusteht.
Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 23. November 1994 abgewiesen. Gegen dieses am 13. Januar 1995 zugestellte Urteil hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers am 28. Februar 1995 Berufung eingelegt und gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Das Wiedereinsetzungsgesuch hat er unter Glaubhaftmachung wie folgt begründet:
Nachdem bei ihm der Rechtsmittelauftrag am 9. Februar 1995 eingegangen sei, habe er noch am selben Tage gegen Mittag die vorbereitete Berufungsschrift unterzeichnet und einer Angestellten, die sich bei der Bearbeitung von Fristsachen als zuverlässig erwiesen habe, die Anweisung gegeben, die Berufungsschrift in die Ausgangsmappe für die OLG-Post zu legen und für die Berufungsbegründung Vorfrist und Hauptfrist zu notieren. Die Angestellte habe die Berufungsschrift versehentlich in der Handakte abgelegt, statt sie in die Postausgangsmappe zu legen.
Das Oberlandesgericht hat dem Kläger durch Beschluß vom 18. Mai 1995 die Wiedereinsetzung versagt und gleichzeitig seine Berufung als unzulässig verworfen. Es ist der Ansicht, den Prozeßbevollmächtigten, der sich bei Neueingängen Anordnungen über die Eintragung von Fristen in den Fristenkalender vorbehalten hat, treffe an der Versäumung der Berufungsfrist ein Verschulden, weil er nicht die Eintragung des Ablaufs dieser Frist in den Fristenkalender angeordnet habe, so daß die Nichtabsendung der Berufungsschrift bei einer sonst erforderlichen Fristlöschung nicht auffallen konnte.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers.
2. Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.
Zwar muß - wie das Oberlandesgericht zutreffend sieht - ein Prozeßbevollmächtigter dafür Sorge tragen, daß ein fristwahrender Schriftsatz nicht nur rechtzeitig hergestellt wird, sondern auch fristgerecht bei dem zuständigen Gericht eingeht. Deshalb hat er grundsätzlich durch geeignete organisatorische Maßnahmen eine hinreichend sichere Ausgangskontrolle derartiger Schriftsätze zu gewährleisten (st.Rspr., vgl. BGH, Beschluß vom 22. November 1990 - VII ZB 11/90 - NJW-RR 1991, 511; Beschluß vom 17. Oktober 1990 - XII ZB 84/90 - BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 1; Beschluß vom 26. Mai 1994 - III ZB 16/93 - BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 3; Beschluß vom 18. Oktober 1993 - II ZB 7/93 - NJW 1993, 333; Beschluß vom 8. Dezember 1993 - XII ZB 155/93 - BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 30), durch die zuverlässig verhindert wird, daß solche Schriftsätze über den Fristablauf hinaus in der Kanzlei liegenbleiben (Senatsbeschluß vom 20. Dezember 1988 - XI ZB 4/88). Eine auf Fehlern in dieser Kanzleiorganisation beruhende Fristversäumnis ist von dem Prozeßbevollmächtigten verschuldet und hindert eine Wiedereinsetzung.
Eine andere Beurteilung ist dann geboten, wenn der Prozeßbevollmächtigte einer zuverlässigen Angestellten für einen konkreten Fall genaue Einzelanweisungen erteilt, die eine Fristwahrung gewährleisten (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 3. Juli 1991 - XII ZB 39/91 - BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 19 und Senatsbeschluß vom 20. Dezember 1988, jeweils m.w.Nachw.). Im vorliegenden Fall ist der Prozeßbevollmächtigte von einer bestehenden ausreichenden Organisation wegen des kurz bevorstehenden Ablaufs der Berufungsfrist abgewichen, hat aus eben diesem Grunde die Eintragung der Frist nicht angeordnet und stattdessen einer zuverlässigen Kanzleikraft die konkrete, nur für diese Berufungsschrift geltende Einzelweisung erteilt, den fertiggestellten Schriftsatz in die Ausgangsmappe für die OLG-Post zu legen. Die Befolgung dieser Weisung hätte die Wahrung der Berufungsfrist hinreichend sichergestellt, da der Schriftsatz zusammen mit der übrigen OLG-Post spätestens am nächsten Tag, also noch innerhalb der Frist, zum Oberlandesgericht gelangt wäre. Dafür, daß die Angestellte die Anweisung versehentlich nicht ausgeführt hat, hat der Kläger nicht einzustehen.
Fundstellen
Haufe-Index 2993356 |
BB 1996, 293 |
NJW 1996, 130 |
BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45 |
JR 1996, 204 |
MDR 1996, 195 |
VersR 1996, 348 |