Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 15.03.2013) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 15. März 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags sowie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Rz. 2
Das Landgericht hat folgendes festgestellt: Der an einer schweren depressiven Erkrankung leidende Angeklagte wollte sich selbst töten. Da er jedoch aufgrund vorangegangener gescheiterter Suizidversuche zweifelte, ob ihm dies gelingen würde, fasste er den Plan, Polizeibeamte zu seinem Büro zu locken und sodann mit Nägeln aus einem Druckluftnagler zu beschießen. Diese sollten ihn daraufhin zum Eigenschutz gezielt mit ihren Dienstwaffen beschießen und töten. Bei einem Druckluftnagler handelt es sich um ein pneumatisches Werkzeug, mit dem Nägel verschossen und in verschiedene Materialien getrieben werden können. Bei einer Schussentfernung von einem Meter dringt der Nagel ca. 7 cm tief in menschliches Weichteilgewebe ein. Beim Auftreffen im Augen- oder Schläfenbereich kann ein aus dieser Entfernung verschossener Nagel schwere und unter Umständen tödliche Verletzungen hervorrufen. Grundsätzlich gilt das auch für eine Entfernung von drei bis vier Metern, wenn der Nagel – was jedoch nicht sicher ist – mit der Spitze voraus auftrifft. Die Wirkungsweise des Druckluftnaglers war dem Angeklagten bewusst.
Rz. 3
Nachdem er seine von ihm getrennt lebende Ehefrau unter einem Vorwand zu seinem Büro gelockt hatte, begab er sich zum geöffneten Fenster, hielt sich den Druckluftnagler an den Kopf und brüllte: „Schaut her, wie ich mich umbringe”. Die daraufhin von Dritten verständigten Polizeibeamten konnten bei ihrem Eintreffen die Lage nicht überblicken, da der Angeklagte zwischenzeitlich die Rollläden heruntergelassen hatte. Als die Zeugen PK M. und POK P. den Rollladen eines der Außenfenster zum Büro ca. 1 Meter hochschoben, schoss der Angeklagte aus einer Entfernung von maximal 2 Metern gezielt einen Nagel in Richtung Oberkörper des Zeugen M.. Dabei hoffte er entsprechend seinem Plan, dieser werde aufgrund der vermeintlich unklaren Lage zum Eigenschutz sofort Gebrauch von seiner Dienstwaffe machen. Allerdings prallte der Nagel an der Scheibe ab, ohne sie zu durchschlagen. Der Zeuge M. ließ den Rollladen dadurch erschrocken zunächst fallen, schob ihn nach kurzer Zeit jedoch wieder hoch. Der Angeklagte schoss nunmehr aus einer Entfernung von maximal 1,2 Metern mehrere Nägel gezielt in Richtung des Zeugen. Er nahm dabei „zumindest billigend in Kauf, dass aufgrund der geringeren Entfernung die Nägel die Fensterscheibe durchdringen und Verletzungen bei dem Zeugen M. verursachen könnten” (UA S. 12). Auch diese Nägel durchschlugen jedoch die Glasscheibe nicht, sondern führten lediglich zu Rissen im Glas. Der Angeklagte hielt sich nunmehr unter den Blicken der Polizeibeamten M. und D. die Nagelpistole an die rechte Schläfe und drückte ab, worauf er zusammensackte und hinter dem Schreibtisch zu Boden fiel.
Rz. 4
Der Polizeibeamte D. zerstörte daraufhin die Gitterverglasung an der Eingangstür und erlangte so Zutritt zum Gebäude. PK M. schlug seinerseits die Fensterscheibe zum Büroraum ein, um dem Angeklagten erste Hilfe zu leisten. Als die Scheibe großflächig eingeschlagen war, richtete sich der Angeklagte plötzlich wieder auf und schoss jetzt aus einer Entfernung von maximal 1,2 Metern auf den nunmehr nicht mehr durch die Fensterscheibe geschützten Zeugen M., wobei er einen tödlichen Ausgang zumindest billigend in Kauf nahm. Er verfehlte den Zeugen jedoch knapp. Daraufhin zog der Zeuge M. seine Dienstwaffe und zielte auf den Angeklagten, steckte die Waffe jedoch wieder zurück, da der Angeklagte sich nunmehr dem von der anderen Seite nähernden Beamten P. zuwandte und auf ihn aus einer Entfernung von etwa 1,2 Metern gezielt schoss, ihn jedoch ebenfalls verfehlte. PK M. setzte nun Pfefferspray gegen den Angeklagten ein, der sich daraufhin in die hintere Ecke des Büros zurückzog. Nachdem ballistische Schutzdecken zum Einsatzort gebracht worden waren, stellte sich die PK'in B. mit einer Schutzdecke vor PK M.. Der Angeklagte schoss gezielt auf PK M. und PK'in B., die die Schutzdecke hielt, an der die Nägel abprallten. Gleichzeitig begaben sich die Beamten P. und D., gleichfalls von einer Schutzdecke abgeschirmt, durch die Eingangstür in das Büro. Der Angeklagte schoss auch auf sie. Als keine Nägel mehr im Magazin waren, wurde der Angeklagte von den Beamten überwältigt.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte sich der versuchten gefährlichen Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 22, 23 StGB) schuldig gemacht habe, indem er bei noch geschlossenem Fenster mit dem Druckluftnagler auf den Polizeibeamten M. schoss. Den Tatbestand der versuchten Tötung (§§ 212, 22, 23 StGB) habe er erfüllt, als er durch die mittlerweile zerstörte Scheibe des Fensters gezielt auf den Oberkörper des Zeugen schoss, diesen jedoch verfehlte.
III.
Rz. 6
Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 7
1. Die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte sich – auch – einer versuchten gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht hat, unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach den Feststellungen erfolgten die Schüsse des Angeklagten auf PK M. in Verfolgung des Entschlusses des Angeklagten, die Beamten zum – nach der Vorstellung des Angeklagten tödlichen – Einsatz ihrer Dienstwaffen gegen ihn zu veranlassen. Insofern lag die Annahme nahe, dass die Angriffe auf PK M. ein einheitliches Geschehen im Sinne natürlicher Handlungseinheit darstellen. In diesem Fall wäre die abgeurteilte versuchte gefährliche Körperverletzung zu seinem Nachteil lediglich als Durchgangsstadium zu dem vom Landgericht angenommenen versuchten Totschlag (dazu noch anschließend 2.) zu werten und träte gegenüber diesem als subsidiär zurück.
Rz. 8
2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe einen versuchten Totschlag zum Nachteil des Zeugen M. begangen, ist ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern. Zwar unterliegt es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht bei seinen gezielten Schüssen aus maximal 1,2 Metern Entfernung auf den nicht mehr durch die Fensterscheibe geschützten Zeugen einen bedingten Tötungsvorsatz angenommen hat. Das Landgericht hat sich jedoch rechtsfehlerhaft nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Angeklagte vom Versuch der Tötung des Zeugen strafbefreiend zurückgetreten ist. Dazu bestand aber nach den Feststellungen Anlass. Denn der Angeklagte schoss nicht weiter auf den Zeugen, obwohl er erkannt hatte, dass er ihn nicht getroffen hatte. Den Feststellungen ist insoweit nicht zu entnehmen, dass es dem Angeklagten in dieser Situation nach seiner Einschätzung nicht mehr möglich gewesen sein soll, noch weitere Schüsse auf PK M. abzugeben. Es liegt auch fern, dass der Angeklagte davon ausgegangen sein könnte, die Tat mit den bereits eingesetzten Mitteln nicht mehr vollenden zu können, der Versuch aus seiner Sicht mithin fehlgeschlagen war. Wie das weitere Geschehen zeigt, standen ihm zu diesem Zeitpunkt noch eine Vielzahl von Nägeln im Magazin zur Verfügung, die er verschießen konnte. Dass PK M. zwischenzeitlich die Waffe auf ihn gerichtet hatte, spricht hier ebenfalls nicht für einen Fehlschlag des Versuchs, da es gerade das Ziel des Angeklagten war, mit seinen Attacken den Einsatz der Dienstwaffe zu provozieren. Auch ist nicht festgestellt – und liegt auch nicht nahe –, dass der Angeklagte bei seinen später abgegebenen Schüssen auf den nunmehr mit einer Schutzdecke geschützten Beamten davon ausging, diesen möglicherweise tödlich zu verletzen, und dass er dies billigend in Kauf nahm.
Rz. 9
Zwar hat der Angeklagte nach den Feststellungen aus kurzer Entfernung auch gezielt auf den – zu diesem Zeitpunkt nicht geschützten – Polizeibeamten P. geschossen, wobei es nahe liegt, dass er auch hierbei einen tödlichen Ausgang billigend in Kauf nahm. Allerdings hat das Landgericht einen versuchten Totschlag zum Nachteil des Zeugen P. nicht in Erwägung gezogen. Die Beurteilung des Gesamtgeschehens unter konkurrenzrechtlichen Gesichtspunkten erweist sich daher insgesamt als rechtsfehlerhaft.
Rz. 10
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte die Strafkammer zu dem Ergebnis gelangen, dass der Angeklagte vom Tötungsversuch zum Nachteil des Zeugen PK M. strafbefreiend zurückgetreten ist, wäre insoweit eine versuchte gefährliche Körperverletzung in Betracht zu ziehen. Hinsichtlich einer denkbaren Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags zum Nachteil des Zeugen P. wäre die Frage zu prüfen, ob der Angeklagte (auch) hiervon strafbefreiend zurückgetreten ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass PK M. unmittelbar nach diesem Angriff Pfefferspray gegen den Angeklagten eingesetzt hat, woraufhin dieser sich in die hintere Ecke des Büros zurückzog.
Unterschriften
Fischer, Schmitt, Krehl, Ott, Zeng
Fundstellen
Haufe-Index 5646339 |
NStZ 2013, 705 |