Leitsatz (amtlich)
Wurde ein vom Scheidungsverbund abgetrenntes und zunächst ausgesetztes Verfahren zum Versorgungsausgleich erst nach Wirksamkeit des die Aussetzung aufhebenden Beschlusses des OLG ab dem 1.9.2009 fortgesetzt, ist auf die selbständige Familiensache (Art. 111 Abs. 4 FGG-RG) auch das seit dem 1.9.2009 geltende materielle Recht zum Versorgungsausgleich anwendbar (im Anschluss an den BGH v. 16.2.2011 - XII ZB 261/10, FamRZ 2011, 635).
Normenkette
VersAusglG § 48 Abs. 2 Nr. 1; FGG-RG Art. 111 Abs. 3-4
Verfahrensgang
Thüringer OLG (Beschluss vom 12.10.2010; Aktenzeichen 2 UF 236/10) |
AG Sondershausen (Beschluss vom 10.05.2010; Aktenzeichen 5 F 126/07) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des 2. Familiensenats des OLG Jena vom 12.10.2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 8.250 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der 1965 geborene Antragsteller und die 1967 geborene Antragsgegnerin hatten am 16.5.1987 die Ehe geschlossen. Auf den am 5.9.2007 zugestellten Scheidungsantrag hat das AG die Ehe der Parteien rechtskräftig geschieden und das Verfahren zum Versorgungsausgleich abgetrennt. Mit weiterem Beschluss vom 27.5.2009 hat es das Verfahren betreffend den Versorgungsausgleich "bis zum Vorliegen eines einheitlichen Rentenwertes für das gesamte Bundesgebiet ausgesetzt". Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) hat das OLG die Entscheidung mit Beschluss vom 27.8.2009, rechtskräftig seit dem 6.10.2009, aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das AG - FamG - zurückverwiesen.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 10.5.2010 hat das AG den Versorgungsausgleich auf der Grundlage des vor dem 1.9.2009 geltenden Rechts durchgeführt. Das OLG hat die Beschwerde der Beteiligten zu 1), die gegen die Anwendung des früheren Rechts zum Versorgungsausgleich gerichtet war, zurückgewiesen. Mit ihrer vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Beteiligte zu 1) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und eine Zurückverweisung des Verfahrens an das OLG zur Durchführung des Versorgungsausgleichs nach neuem Recht.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 70 Abs. 1 FamFG statthaft. An die Zulassung durch das OLG ist der Senat gebunden (§ 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG).
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das OLG.
Rz. 5
1. Das OLG hat die Durchführung des Versorgungsausgleichs auf der Grundlage des vor dem 1.9.2009 geltenden Verfahrensrechts und materiellen Rechts gebilligt. Zwar sei das Verfahren zum Versorgungsausgleich am 1.9.2009 vom Scheidungsverbundverfahren abgetrennt gewesen, so dass nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG das neue Recht zum Versorgungsausgleich anwendbar sei. Gesetzgebungsgeschichte, Wille des Gesetzgebers, systematische Auslegung sowie Sinn und Zweck der Übergangsvorschrift sprächen hingegen für eine fortdauernde Anwendbarkeit des früheren Rechts, weil das Verfahren auf der Grundlage des Beschlusses des OLG vom 27.8.2009 schon vor dem 1.9.2009 fortgesetzt worden sei. Nach den weiteren - aus einem Beschluss des OLG Oldenburg (FamRZ 2010, 983) übernommenen - Gründen ist die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Nr. 1 VersAusglG teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass sie auf abgetrennte Verfahren zum Versorgungsausgleich, die vor dem 1.9.2009 wieder aufgenommen und erstinstanzlich entschieden worden seien, nicht anwendbar sei. Vorliegend sei das Verfahren zwar vor dem 1.9.2009 ausgesetzt gewesen. Dieser Beschluss sei aber durch den Beschluss des OLG vom 27.8.2009 aufgehoben worden, so dass das Verfahren so zu behandeln sei, als sei es nicht ausgesetzt gewesen. An der Anwendbarkeit des vor dem 1.9.2009 geltenden Rechts ändere sich auch dadurch nichts, dass das AG erst nach dem 1.9.2009 über den Versorgungsausgleich entschieden habe.
Rz. 6
2. Diese Erwägungen können die Anwendung des vor dem 1.9.2009 geltenden Rechts durch das Beschwerdegericht nicht rechtfertigen. Das abgetrennte Verfahren zum Versorgungsausgleich war nach der Wiederaufnahme vielmehr auf der Grundlage des ab dem 1.9.2009 geltenden Rechts durchzuführen.
Rz. 7
a) Nach § 48 Abs. 1 VersAusglG ist in Verfahren über den Versorgungsausgleich, die vor dem 1.9.2009 eingeleitet worden sind, das bis dahin geltende materielle Recht und Verfahrensrecht weiterhin anzuwenden. Die Regelung entspricht insoweit Art. 111 Abs. 1 FGG-RG, der ebenfalls von einer grundsätzlichen Fortgeltung des vor dem 1.9.2009 geltenden Verfahrensrechts für die bis dahin eingeleiteten Verfahren ausgeht. Abweichend von diesem Grundsatz ist nach § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG und Art. 111 Abs. 3 und 4 FGG-RG das ab dem 1.9.2009 geltende neue materielle Recht und Verfahrensrecht anzuwenden, wenn das Verfahren zum Versorgungsausgleich am 1.9.2009 abgetrennt oder ausgesetzt oder das Ruhen angeordnet war.
Rz. 8
Der Senat hat bereits entschieden, dass in Übergangsfällen, in denen über einen vor dem 1.9.2009 eingeleiteten Scheidungsantrag noch nach früherem Recht entschieden wurde, die vom Scheidungsverbund abgetrennte Folgesache über den Versorgungsausgleich gem. Art. 111 Abs. 4 FGG-RG als selbständige Familiensache nach neuem Recht fortzuführen ist, wenn das Verfahren zum Versorgungsausgleich erst nach dem 1.9.2009 wieder aufgenommen worden ist (BGH v. 16.2.2011 - XII ZB 261/10, FamRZ 2011, 635 Rz. 15 ff.). Gleiches gilt wegen des gebotenen Gleichlaufs auch für das materielle Recht zum Versorgungsausgleich (vgl. BT-Drucks. 16/10144, 86 und BT-Drucks. 16/11903, 57). War das Verfahren zum Versorgungsausgleich vor dem 1.9.2009 vom Scheidungsverbund abgetrennt und wurde es erst nach diesem Zeitpunkt fortgesetzt, richtet sich das wieder aufgenommene Verfahren zum Versorgungsausgleich gem. § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG nach neuem materiellem Recht.
Rz. 9
b) Soweit das OLG im vorliegenden Fall über eine teleologische Reduktion des § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG zu einer Anwendbarkeit des vor dem 1.9.2009 geltenden Rechts gelangen will, geht es dabei von unzutreffenden Voraussetzungen aus.
Rz. 10
Im Einklang mit der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung hat das OLG angenommen, dass in Fällen, in denen ein zuvor abgetrenntes Verfahren zum Versorgungsausgleich schon vor dem 1.9.2009 fortgesetzt worden ist, weiterhin das frühere materielle Recht und Verfahrensrecht anwendbar ist (so auch OLG Oldenburg FamRZ 2010, 983; OLG Naumburg FamRZ 2010, 1444; OLG Naumburg FuR 2010, 415; OLG Stuttgart FamRZ 2010, 1671; a.A. Schürmann FamRZ 2010, 1800, 1801 und Borth FamRZ 2010, 1965 [1966]). Ob dem zu folgen ist, kann dahinstehen. Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Rz. 11
Das AG hatte das Verfahren zum Versorgungsausgleich mit Urteil vom 1.9.2008 vom Scheidungsverbund abgetrennt und zunächst nicht weiter betrieben. Mit Beschluss vom 27.5.2009 hat es das Verfahren zum Versorgungsausgleich schließlich ausgesetzt. Diese Entscheidung wurde zwar durch Beschluss des OLG vom 27.8.2009 aufgehoben. Die Entscheidung ist allerdings erst nach dem 31.8.2009 wirksam geworden, weil sie den Beteiligten erst danach zugestellt wurde (§ 16 FGG). Erst danach wurde das zuvor abgetrennte und später ausgesetzte Verfahren wieder aufgenommen.
Rz. 12
Einer teleologischen Reduktion des § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG fehlt damit die Grundlage. Deshalb ist auf die nach Art. 111 Abs. 4 FGG-RG fortzuführende selbständige Familiensache auch das seit dem 1.9.2009 geltende materielle Recht zum Versorgungsausgleich anwendbar.
Rz. 13
c) Das OLG wird deswegen in der jetzt selbständigen Familiensache über den Versorgungsausgleich (vgl. BGH vom 16.2.2011 - XII ZB 261/10, FamRZ 2011, 635 Rz. 15 ff.) auf der Grundlage des seit dem 1.9.2009 geltenden materiellen Rechts neue Auskünfte der Versorgungsträger einzuholen und den Versorgungsausgleich nach diesem Recht neu zu regeln haben.
Fundstellen
Haufe-Index 2857576 |
NJW 2012, 391 |
EBE/BGH 2011 |
FuR 2012, 3 |
MDR 2012, 162 |
FamFR 2012, 12 |
FamRB 2012, 39 |