Leitsatz (amtlich)

Zum Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflicht und zur Warnpflicht bei einem unbefestigten Bankett.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 839

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 21.01.2004; Aktenzeichen 1 U 84/03)

LG Wiesbaden

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Frankfurt v. 21.1.2004 - 1 U 84/03, wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Beschwerdewert: 35.000 EUR

 

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt vom beklagten Land im Wege der Teilklage Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Sie befuhr am 27.12.2000 gegen 11.30 Uhr mit ihrem Pkw die Landesstraße L 3011 und kam in einem Streckenabschnitt, in dem zur damaligen Zeit häufig Verkehrsunfälle geschahen, aus ungeklärter Ursache von der Straße ab und prallte gegen einen an der Straßenböschung stehenden Baum. Die Klägerin hat infolge der unfallbedingten Verletzungen keine Erinnerungen an das Unfallgeschehen. Sie vermutet, dass sie in einer Rechtskurve der etwa 5,5m breiten Landesstraße auf das Bankett geriet, das in diesem Abschnitt zum Teil abgebrochen ist und ca. 5 bis 8 cm tiefer als die Fahrbahn liegt. Sie führt den Unfall auf den nach ihrer Auffassung nicht ordnungsgemäßen Zustand der Straße bzw. des Banketts zurück. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg.

II.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

1. Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflicht für Straßenbankette sind in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich geklärt. Auszugehen ist von der Regelung in § 2 Abs. 1 StVO, wonach dem Fahrzeugverkehr lediglich die Fahrbahn und nicht auch die anderen Teile des Straßenkörpers zur Verfügung stehen. Insbesondere sind nach § 2 Abs. 1 S. 2 StVO Seitenstreifen nicht Bestandteil der Fahrbahn. Damit ist den Fahrzeugen jedoch nicht schlechthin jedes Verlassen der Fahrbahn verboten; vielmehr ist es immer - aber auch nur dann - erlaubt, wenn die Verkehrslage dies als eine sachgerechte und vernünftige Maßnahme erscheinen lässt. Ein Verlassen der Fahrbahn muss jedoch den jeweils gegebenen Verhältnissen entsprechend vorsichtig geschehen. Der Straßenbenutzer hat sich grundsätzlich den gegebenen Straßenverhältnissen anzupassen und die Straße so hinzunehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Er hat deswegen keinen Anspruch darauf, dass Seitenstreifen so befestigt werden, dass sie ein Befahren im Rahmen von Überhol- und Ausweichmanövern mit unverminderter Geschwindigkeit erlauben würden (BGH, Urt. v. 6.7.1959 - III ZR 67/58, VersR 1959, 830 [831 f.]). Der Senat hat verschiedentlich ausgesprochen, dass auf Banketten nur mit einer der Verkehrssituation angepassten Geschwindigkeit gefahren werden darf, was die Annahme ausschließt, ein Bankett müsse so eingerichtet sein, dass es mit der allgemein zulässigen Geschwindigkeit gefahrlos befahren werden könne (BGH, Urt. v. 2.4.1962 - III ZR 14/61, VersR 1962, 574 [576]; v. 20.2.1964 - III ZR 181/62, VersR 1964, 617 [618]).

Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich angesehene Frage, ob das Straßenbankett geeignet sein müsse, auch Fahrzeugen mit relativ hoher Geschwindigkeit ein sicheres Wiederauffahren auf die Fahrbahn zu ermöglichen, stellt sich in dieser Allgemeinheit nicht und ist für ein erkennbar unbefestigtes Bankett, wie es hier vorliegt, auf der Grundlage der angeführten Rechtsprechung des Senats zu verneinen. Soweit in jüngeren Entscheidungen geäußert worden ist, im Hinblick auf den verkehrstechnischen Zweck, abirrende Fahrzeuge zu sichern, gehöre es auch zur Funktion des Banketts, mit verhältnismäßig hoher Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommenen Fahrzeugen ein möglichst sicheres Wiederauffahren auf die Fahrbahn zu ermöglichen, dies jedenfalls nicht unnötigerweise zu erschweren (in diesem Sinn etwa OLG Schleswig v. 21.12.1994 - 9 U 37/94, NZV 1995, 153; OLG Jena DAR 1999, 71 [72]; Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearb. 1999, § 823 Rz. E 165), vermag der Senat dem - was den Aspekt der Geschwindigkeit angeht - für ein erkennbar unbefestigtes Bankett nicht zu folgen. Denn es liegt auf der Hand, dass ein unbefestigtes Bankett in unterschiedlicher Höhe Abbruchkanten zur Fahrbahn aufweisen wird, die es schon für sich betrachtet erschweren, ein von der Fahrbahn mit den Außenrädern abgekommenes Fahrzeug wieder ohne weiteres auf die Fahrbahn zurückzulenken. Stellt sich die Situation daher nicht so dar, dass der Seitenstreifen ebenso wie die Fahrbahn befestigt erscheint, kann sich der Fahrzeugführer nicht darauf einstellen, diesen ebenso leicht und mit der zulässigen Geschwindigkeit befahren zu können. Wollte man unter diesen Umständen aus der Sicherungsfunktion des Banketts ableiten, das Fahrzeug müsse ohne jede Schwierigkeit auf den nächsten Metern wieder auf die Fahrbahn zurückgesteuert werden können, dürfte man unbefestigte Bankette praktisch nicht mehr zulassen. Eine solche Forderung wäre jedoch nicht nur aus finanziellen, sondern in vielen Fällen auch aus topographischen Gründen nicht erfüllbar.

2. Eine andere Frage ist, welche Toleranzen bei einem unbefestigten Bankett bestehen dürfen, ohne dass der Verkehrssicherungspflichtige zu einer Warnung der Verkehrsteilnehmer verpflichtet ist. Insoweit hat der Senat ausgesprochen, der Übergang von der Fahrbahn zum Bankett dürfe keine gefährlichen Höhenunterschiede aufweisen, an denen ein Fahrzeug hängenbleiben oder durch die es aus der Fahrbahn gerissen werden könne (BGH, Urt. v. 16.2.1959 - III ZR 216/57, VersR 1959, 435 [436]; v. 6.7.1959 - III ZR 67/58, VersR 1959, 830 [832]). Der Senat hat in diesem Zusammenhang zum einen den Grundsatz betont, eine Warnung vor einem erkennbar unbefestigten Bankett sei nicht erforderlich (BGH, Urt. v. 15.12.1988 - III ZR 112/87, MDR 1989, 798 = VersR 1989, 847 [848]), andererseits ausgesprochen, da Höhenunterschiede zwischen Fahrbahn und Seitenstreifen bis zu 15 cm auch dem vorsichtigen Kraftfahrer, der bei einwandfreier Fahrweise den Seitenstreifen - sei es zum Überholen oder zum Ausweichen oder aus sonstigen diese Fahrweise rechtfertigenden Gründen - benutze, durch Hängenbleiben der Räder gefährlich werden könnten, dürfe eine Bundesstraße bei ordnungsmäßigem Zustand derartige Höhenunterschiede zwischen Fahrbahn und Bankett nicht aufweisen, ohne dass der Verkehrsteilnehmer hiervor ausreichend gewarnt werde. Demgegenüber verlange die Verkehrssicherungspflicht nicht, auf einen Höhenunterschied von 6,8 cm hinzuweisen (BGH, Urt. v. 6.7.1959 - III ZR 67/58, VersR 1959, 830 [832]). Nach Auffassung des Senats veranlasst auch eine Absatzkante, die sich nach den Feststellungen des LG auf 5 bis 8 cm belaufen hat, eine Warnung unter den hier gegebenen örtlichen Verhältnissen nicht. Ein Kraftfahrer, der - wie hier die Klägerin - eine Straße benutzt, die nur über einen minimalen Seitenstreifen verfügt, der erkennbar abgesenkt ist, muss seine Fahrweise so einrichten, dass er, falls er aus verkehrsbedingten Gründen das Bankett befahren muss, es nach Herabsetzung der Geschwindigkeit mit der gebotenen Vorsicht wieder verlässt. Steuert er - aus Schreck, Panik oder mangelnder Erfahrung - bei unverminderter Geschwindigkeit zu stark zurück, kann ihm auch schon ein geringer Höhenunterschied zum Verhängnis werden. Die für die Straßenverkehrssicherungspflicht Verantwortlichen wären überfordert, wenn sie dieses Risiko vollkommen ausschließen müssten.

3. Auf dieser Grundlage waren die Vorinstanzen nicht gehalten, dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über den genaueren Verursachungsbeitrag des Banketts für den Unfall zu entsprechen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1325000

BauR 2005, 1303

EBE/BGH 2005, 75

NVwZ-RR 2005, 362

JurBüro 2005, 387

ZAP 2005, 544

MDR 2005, 809

VRS 2005, 345

BayVBl. 2006, 314

GV/RP 2006, 164

NJW-Spezial 2005, 256

UPR 2005, 263

FSt 2005, 758

FuBW 2005, 939

FuHe 2006, 138

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