Leitsatz (amtlich)
Macht der Besitzer eines Grundstücks, gegen den aus dem Zuschlagsbeschluss die Zwangsvollstreckung auf Räumung und Herausgabe betrieben wird, ein durch den Zuschlag nicht erloschenes Recht (§ 93 Abs. 1 S. 2 ZVG) geltend, hat er dem Vollstreckungsgericht zumindest Anhaltspunkte darzutun, die ein Besitzrecht zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung nahe legen.
Normenkette
ZVG §§ 57, 93 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Beschluss vom 28.08.2003) |
AG Waren (Müritz) (Beschluss vom 03.06.2003) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin werden der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Neubrandenburg v. 28.8.2003 und der Beschluss des AG Waren/Müritz v. 3.6.2003 aufgehoben:
Der Rechtspfleger darf der Gläubigerin die zu dem Zuschlagsbeschluss v. 21.2.2003 beantragte Vollstreckungsklausel nicht aus den Gründen der aufgehobenen Beschlüsse versagen.
Die Schuldner tragen die Kosten des gesamten Klauselverfahrens.
Wert: bis 5.000 EUR
Gründe
I. Die Gläubigerin betrieb die Zwangsvollstreckung in den vorstehend näher bezeichneten Grundbesitz, dessen Miteigentümer zu jeweils 1/2 die Schuldner waren. Im Zwangsversteigerungsverfahren wurde der Gläubigerin mit Beschl. v. 21.2.2003 der Zuschlag erteilt. Nach den Vollstreckungsbedingungen blieben keine Rechte bestehen, auch nicht der für die Schuldner als Gesamtberechtigte eingetragene Nießbrauch. Am 9.4.2003 beantragte die Gläubigerin, ihr die Vollstreckungsklausel gegen die Schuldner als Besitzer des Grundstücks zu erteilen. Diese beriefen sich darauf, mit der Zwangsverwalterin noch vor Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens am 18.3.2003 einen Mietvertrag über das Grundstück abgeschlossen zu haben. Der von ihnen vorgelegte Mietvertrag trägt das Datum v. 15.3.2003 und sieht einen Mietbeginn rückwirkend zum 15.8.2002 vor.
Das AG hat den Antrag der Gläubigerin zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich die Gläubigerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II. Das gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2, § 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel ist begründet.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Zuschlagsbeschlusses stehe - in entsprechender Anwendung des § 93 Abs. 1 S. 2 ZVG - ein Besitzrecht der Schuldner entgegen, das sich aus dem Mietvertrag ableite. Der Streit über die von der Gläubigerin bezweifelte Wirksamkeit des Mietvertrages gehöre nicht in das Klauselerteilungsverfahren. Unabhängig davon sei die Zwangsverwalterin trotz des Zuschlagsbeschlusses v. 21.2.2003 berechtigt gewesen, den Mietvertrag mit den Schuldnern abzuschließen. Denn sie habe bis zur Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens die bisherige Verwaltung innerhalb des ihr nach §§ 152, 153 ZVG zugewiesenen Wirkungskreises fortzusetzen; aus ihren Rechtshandlungen werde der Ersteher unmittelbar verpflichtet. Der Gläubigerin könne nicht darin gefolgt werden, die Schuldner, denen der Zuschlagsbeschluss erst am 18.3.2003 zugestellt worden sei, hätten sich den Mietvertrag in Kenntnis des Ergebnisses der Zwangsversteigerung erschlichen; ohnehin sei der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung im streng formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren nicht zu prüfen.
Die Rechtsbeschwerde hält dem entgegen, nach Zuschlagserteilung dürfe die Zwangsverwalterin nur solche Rechtsgeschäfte abschließen, die im Interesse des durch den Zuschlagsbeschluss bereits Eigentümer gewordenen Erstehers lägen. Dieser könne nicht nachträglich durch einen Mietvertrag gebunden werden. Vielmehr müsse er bereits bei Zuschlagserteilung wissen, ob und unter welchen Voraussetzungen er eine Räumung des Grundstücks erreichen könne.
2. Die Rechtsfragen, die dem Beschwerdegericht Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde gegeben haben, sind nicht klärungsbedürftig. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Zwangsverwalterin (im Anschluss an BGH BGHZ 39, 235 [237]) am 15.3.2003 wirksam einen Mietvertrag mit den Schuldnern abschließen konnte. Einen solchen Mietvertrag unterstellt, kommt es auf die Voraussetzungen des § 57 ZVG an, die vorliegend nicht gegeben sind. Eine entsprechende Anwendung des § 93 Abs. 1 S. 2 ZVG auf Rechtsgeschäfte, die nach Erteilung des Zuschlages zustande gekommen sind, scheidet damit von vornherein aus.
a) Nach § 93 Abs. 1 S. 2 ZVG darf der Ersteher aus dem Beschluss, durch welchen ihm der Zuschlag erteilt worden ist, die Zwangsvollstreckung gegen den Besitzer auf Räumung und Herausgabe des Grundstücks nicht betreiben, wenn dieser auf Grund eines Rechts besitzt, das durch den Zuschlag nicht erloschen ist. Ein solches Recht kann dem Mieter nach Maßgabe des § 57 ZVG zustehen (Stöber, ZVG, 17. Aufl., § 93 Rz. 3.2; Böttcher, ZVG, 3. Aufl., § 93 Rz. 6). Ist ihm das Grundstück überlassen, findet die Vorschrift des § 566 BGB i. V. m. § 578 Abs. 1 BGB Anwendung. Dies setzt allerdings voraus, dass es noch vor der Versteigerung zur Überlassung des Grundstücks durch den Vermieter in Erfüllung seiner Pflichten aus § 535 Abs. 1 BGB gekommen ist; die Besitzeinräumung muss gerade im Hinblick auf das Mietverhältnis erfolgt sein (vgl. BGH BGHZ 65, 137 [139]; Urt. v. 30.6.1964 - V ZR 7/63, MDR 1964, 996; Urt. v. 19.10.1983 - VIII ZR 159/82, MDR 1984, 575 = WM 1983, 1364; Stöber, ZVG, 17. Aufl., § 57 Rz. 3.3; Böttcher, ZVG, 3. Aufl., § 57 Rz. 3; Steiner/Teufel, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 9. Aufl., § 57 ZVG Rz. 5; Dassler/Schiffhauer/Gerhardt, ZVG, 11. Aufl., § 57 Anm. 2; Klawikowski, Rpfleger 1997, 418). Denn § 57 ZVG will allein den zum Zeitpunkt des Zuschlags bereits besitzenden Mieter vor einer nachfolgenden Räumung schützen. Wird der Mietvertrag vor Erteilung des Zuschlags abgeschlossen, der Besitz an der Mietsache aber erst danach erlangt, oder findet ein bei Zuschlagserteilung bereits ausgeübter Besitz seine Grundlage nicht in einem Mietverhältnis, kann der Besitzer sich auf die Bestimmung nicht berufen.
b) Ein i. S. d. § 57 ZVG beachtliches Besitzrecht der Schuldner ist hier nicht ersichtlich.
Die Vorschrift des § 93 Abs. 1 S. 1 ZVG soll es dem Gläubiger ermöglichen, aus dem Zuschlagsbeschluss selbst gegen den Besitzer des Grundstücks vorzugehen. Durch das vereinfachte Klauselerteilungsverfahren darf allerdings dann nicht in ein bestehendes Recht zum Besitz eingegriffen werden, wenn es nach § 57 ZVG schützenswert ist. Wird ein solches Recht angemeldet, ist nach § 93 Abs. 1 S. 2 ZVG zu prüfen, ob es einer Klauselerteilung entgegensteht. Auch wenn der Besitzer - vorliegend die Schuldner - nicht den vollen (materiellen) Beweis für sein Besitzrecht erbringen muss, genügt es nicht (entgegen OLG Hamburg v. 24.5.1996 - 4 U 60/95, WuM 1996, 41), dass er sich lediglich auf ein solches Recht beruft (zutreffend OLG Frankfurt v. 31.7.1987 - 20 W 251/87, Rpfleger 1989, 209; Meyer-Stolte, Rpfleger 1987, 259). Es müssen - von ihm im Einzelnen darzulegende - Anhaltspunkte gegeben sein, die sein Besitzrecht zumindest nahe legen (vgl. OLG Hamm v. 6.12.1988 - 15 W 545/88, Rpfleger 1989, 165; OLG Frankfurt v. 31.7.1987 - 20 W 251/87, Rpfleger 1989, 209; LG Detmold, Beschl. v. 6.1.1987 - 2 T 4/87, Rpfleger 1987, 323; Beschl. v. 24.3.1987 - 2 T 4/87, Rpfleger 1987, 323; LG Darmstadt DGVZ 1966, 72; enger Böttcher, ZVG, 3. Aufl., § 93 Rz. 11: Besitzrecht muss "äußerst wahrscheinlich" sein). Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass der Missbrauch der Schutzvorschriften des Zwangsversteigerungsgesetzes - insbesondere des § 57 ZVG - zum Nachteil des Gläubigers gefördert und das vereinfachte Klauselerteilungsverfahren dadurch entwertet würde.
Solche Anhaltspunkte sind hier zu verneinen. Der von den Schuldnern vorgelegten Urkunde ist nicht zu entnehmen, dass sich ihr Besitz schon vor Erteilung des Zuschlags am 21.2.2003 auf ein Gebrauchsrecht zurückführen ließ, das auf dem behaupteten - entgeltlichen - Mietvertrag beruhte und nicht auf der Ausübung des gemeinschaftlichen - unentgeltlichen - Nießbrauchs. Der Mietvertrag datiert v. 15.3.2003; er ist nach Erteilung des Zuschlags abgeschlossen worden. Dass der Beginn des Mietverhältnisses nachträglich auf den 15.8.2002 festgelegt worden ist, vermag an der rechtlichen Bewertung nichts zu ändern. Die Art der Besitzausübung bestimmt sich nach den jeweiligen Umständen im Moment des Zuschlags. Diese lassen einen mietvertraglichen Besitz der Schuldner nicht erkennen; eine später vereinbarte Rückbeziehung der Folgen des Mietvertrages kann sich nicht auch auf die - rein tatsächlich zu beurteilenden - Besitzverhältnisse erstrecken.
c) Die Einwände der Schuldner können somit nur gem. § 93 Abs. 1 S. 3 ZVG zum Gegenstand einer Klage nach § 771 ZPO gemacht werden. Dort ist auch zu klären, ob der Mietvertrag wirksam zustande gekommen ist und sich die Schuldner - wie die Gläubigerin geltend macht - den Mietvertrag von der Zwangsverwalterin in Kenntnis des Umstandes, dass ihr Nießbrauch durch Zuschlagserteilung erlöschen würde, erschlichen haben. Hierher gehört zudem die Prüfung, ob die Schuldner, wie sie pauschal behaupten, schon im Oktober 2002 - unbeschadet ihres unentgeltlichen Nießbrauchsrechts - mit der Zwangsverwalterin einen mündlichen Mietvertrag abgeschlossen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1127086 |
BGHR 2004, 851 |
EBE/BGH 2004, 1 |
NZM 2004, 478 |
WM 2004, 754 |
WuB 2004, 547 |
ZfIR 2004, 561 |
InVo 2004, 294 |
Rpfleger 2004, 368 |
WuM 2004, 297 |
GuT 2004, 102 |
ProzRB 2004, 212 |