Verfahrensgang
LG Gera (Entscheidung vom 19.12.2022; Aktenzeichen 9 KLs 460 Js 8810/20 jug) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 19. Dezember 2022 im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Es kann dahinstehen, ob die Rüge, die Darstellung der Angaben der Geschädigten anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung in den Urteilsgründen widerspräche der von der gerichtlichen Sachverständigen verschrifteten Transkription, schon zulässig erhoben ist, weil die Revision nicht die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene Bild-Ton-Aufzeichnung, sondern lediglich die (unvollständige) Transkription vorlegt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2024 - 6 StR 498/23, juris mwN). Denn die Revisionsrüge zielt in der Sache auf eine abweichende tatsächliche Wertung zur Beweiswürdigung, die vorzunehmen nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2003 - 1 StR 64/03, BGHSt 48, 268, 273).
Rz. 3
2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Der Strafausspruch hält hingegen revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 4
a) Die Strafkammer hat in beiden Fällen einen minder schweren Fall im Sinne des § 176a Abs. 4 StGB (in der jeweils geltenden Fassung vom 27. Dezember 2003 bzw. vom 21. Januar 2015) verneint, weil „hiergegen […] insbesondere die volle Schuldfähigkeit des Angeklagten, der große Altersunterschied zwischen Täter und Opfer, die fehlende Einvernehmlichkeit der sexuellen Handlungen und die Intensität der Übergriffe“ spreche.
Rz. 5
b) Diese Erwägungen sind in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.
Rz. 6
aa) Soweit die Strafkammer minder schwere Fälle mit dem Hinweis auf den großen Altersunterschied verneint, stellt diese Erwägung - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend dargelegt hat - einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB dar. Das Bestehen eines Altersgefälles zwischen Täter und Opfer als solches ist in dem Schutzzweck des Tatbestandes des sexuellen Missbrauchs eines Kindes und der Schutzaltersgrenze von 14 Jahren angelegt; allenfalls in einer - hier nicht gegebenen - geringen Altersdifferenz zwischen einem (jugendlichen oder heranwachsenden) Täter und einem kindlichen Opfer kann ein strafzumessungsrechtlicher Sonderfall liegen, dem indes strafmildernde Wirkung zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2021 - 2 StR 207/21, juris Rn. 4 mwN).
Rz. 7
bb) Die Strafkammer hat zudem zum Nachteil des Angeklagten dessen „volle Schuldfähigkeit“ eingestellt, die der Annahme eines minder schweren Falles entgegenstehe. Das ist ebenfalls rechtsfehlerhaft. Das Fehlen des besonderen Strafmilderungsgrundes der verminderten Schuldfähigkeit (vgl. §§ 21, 49 Abs. 1 StGB) kann nicht zu Lasten des Angeklagten die Verneinung eines minder schweren Falles begründen.
Rz. 8
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass bereits die Strafrahmenwahl in den genannten Fällen auf diesen Rechtsfehlern beruht. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
Rz. 9
Der Strafausspruch bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Die zugrunde liegenden Feststellungen können bestehen bleiben, weil sie von den Rechtsfehlern nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO); ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
Menges |
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Eschelbach |
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Zeng |
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Meyberg |
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Zimmermann |
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Fundstellen
Haufe-Index 16310923 |
NStZ-RR 2024, 206 |