Normenkette
StGB §§ 22-24, 211-212
Verfahrensgang
LG Hanau (Entscheidung vom 11.06.2021; Aktenzeichen 1 Ks 3355 Js 2327/20) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 11. Juni 2021 - mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung - mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sieben Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für deren Neuerteilung angeordnet; ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen fasste der Angeklagte nach einer vorangegangenen verbalen Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger aus Wut über dessen von ihm als ehrverletzend empfundenen Verhalten den Entschluss, ihn mit seinem Kraftfahrzeug zu überfahren. Aus einer Entfernung von etwa neun Metern fuhr er mit maximaler Beschleunigung auf den mitten auf der Fahrbahn stehenden Nebenkläger zu, wobei er dessen Tod billigend in Kauf nahm. Mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h erfasste er ihn mit der Mitte des Fahrzeugs im Bereich des linken Knies und der Unterschenkel. Der Nebenkläger prallte mit dem Oberkörper auf die Motorhaube und wurde über das Dach auf die Fahrbahn geschleudert. Der Angeklagte bremste ab, verließ sein Fahrzeug und ging auf den Nebenkläger zu, der ca. zwei Meter hinter dem Heck des Fahrzeugs schwer verletzt auf dem Boden lag. Als dieser ihn als „Wichser“ bezeichnete, holte der Angeklagte mit seinem rechten Bein aus und versetzte dem Nebenkläger mit voller Wucht einen Tritt gegen Kopf oder Oberkörper, wobei ihm dessen Zustand gleichgültig war. In diesem Moment rief ein Zeuge, der das Geschehen von der gegenüberliegenden Straßenseite aus beobachtet hatte, in Richtung des Angeklagten, der daraufhin aus Angst vor Entdeckung vom Tatort flüchtete.
Rz. 3
Einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Totschlag hat das Landgericht mit der Begründung verneint, dem Angeklagten seien die Folgen seines Tuns gleichgültig gewesen, wie der heftige Tritt gegen den Kopf oder Oberkörper des bereits erkennbar verletzt am Boden liegenden Nebenklägers gezeigt habe. Er habe erst von ihm abgelassen, nachdem er den Ruf des Zeugen vernommen hatte und daher mit seiner Entdeckung rechnen musste.
Rz. 4
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht die Annahme eines Rücktritts mit rechtsfehlerhafter Begründung verneint hat.
Rz. 5
a) Ein Rücktritt vom Versuch scheidet aus, wenn der tatbestandsmäßige Erfolg nach dem Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr herbeigeführt werden kann und der Täter dies erkennt oder er subjektiv eine Herbeiführung des Erfolgs nicht mehr für möglich hält; in diesen Fällen liegt ein sog. Fehlschlag vor (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2019 - 4 StR 464/18, NStZ 2019, 399 Rn. 6 mwN). Ist der Versuch nicht in diesem Sinne fehlgeschlagen, kommt es nach § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB auf die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2015 - 2 StR 383/14, StV 2015, 687 mwN). Ein unbeendeter Versuch, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt führt, liegt vor, wenn der Täter nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Taterfolgs erforderlich ist. Ein beendeter Versuch, bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Eintritt des Taterfolgs durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich zumindest freiwillig und ernsthaft darum bemühen muss (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB), ist hingegen anzunehmen, wenn er zu diesem Zeitpunkt den Erfolgseintritt bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2019 - 4 StR 464/18, aaO, Rn. 7).
Rz. 6
Allen Fällen ist gemein, dass es maßgeblich auf das Vorstellungsbild des Täters im Zeitpunkt unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt. In engen zeitlichen Grenzen ist auch eine Korrektur dieses Rücktrittshorizonts möglich: So ist der Versuch eines Tötungsdelikts nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber „nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums“ von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2018 - 4 StR 397/18 Rn. 8). Lässt sich das maßgebliche Vorstellungsbild den Feststellungen nicht in ausreichender Weise entnehmen, hält das Urteil sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2022 - 4 StR 223/21 Rn. 24; Beschluss vom 26. Februar 2019 - 4 StR 464/18, aaO; Urteil vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, NStZ 2013, 273, jeweils mwN). Will der Tatrichter die Annahme eines beendeten Versuchs darauf stützen, dass sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bisherigen Verhaltens gemacht hat, muss auch diese gedankliche Indifferenz gegenüber dem bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Eintritt des Taterfolgs als innere Tatsache positiv festgestellt sein. Diese positive Feststellung darf nicht mit dem Fall gleichgesetzt werden, dass zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten keine Feststellungen getroffen werden können, da es dann noch Raum für die Anwendung des Zweifelssatzes gibt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2021 - 1 StR 58/21, NStZ-RR 2021, 272, 273; Beschluss vom 27. Januar 2014 - 4 StR 565/13, NStZ-RR 2014, 202, 203; Beschluss vom 18. Dezember 2013 - 4 StR 469/13, NStZ 2014, 143, jeweils mwN).
Rz. 7
b) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des Landgerichts zum Rücktritt vom Totschlagsversuch nicht gerecht. Die Urteilsgründe ergeben nicht mit hinreichender Klarheit, welches Vorstellungsbild der Angeklagte in Bezug auf den Eintritt des Todeserfolgs nach der letzten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Tathandlung hatte. Nach den Feststellungen handelte er lediglich bei dem Anfahren des Nebenklägers mit dem Pkw, nicht aber dem späteren Tritt gegen dessen Kopf oder Oberkörper mit bedingtem Tötungsvorsatz. Ob er nach der Kollision mit dem Nebenkläger dessen Versterben für möglich hielt oder ihm dies gleichgültig war, ist den Ausführungen des Landgerichts auch in ihrem Gesamtzusammenhang nicht zuverlässig zu entnehmen. Soweit die Strafkammer in dem heftigen Tritt zum Nachteil des bereits erkennbar schwer verletzt am Boden liegenden Nebenklägers ein Indiz für eine Gleichgültigkeit des Angeklagten im Hinblick auf „die Folgen seines Tuns“ sehen will, wird der erforderliche Bezug zu dessen innerer Haltung nach der letzten Ausführungshandlung - dem Anfahren des Nebenklägers - nicht hergestellt. Dies wäre aber unter den hier gegebenen Umständen erforderlich gewesen, um die positive Feststellung einer gedanklichen Indifferenz des Angeklagten gegenüber dem bis dahin in Kauf genommenen Tod des Nebenklägers zu belegen.
Rz. 8
3. Die Aufhebung erfasst auch die tateinheitlich erfolgte - an sich rechtsfehlerfreie - Verurteilung wegen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB und vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1a) StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juni 2021 - 4 StR 312/20, NStZ 2022, 101, Rn. 10).
Rz. 9
4. Die Adhäsionsentscheidung wird durch die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten nicht berührt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 - 4 StR 356/21 Rn. 14 mwN).
Quentin |
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Bartel |
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Fundstellen
Haufe-Index 15669230 |
StV 2023, 320 |