Entscheidungsstichwort (Thema)
schwerer sexueller Mißbrauch eines Kindes
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 2. Februar 2000 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, daß die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs eines Schutzbefohlenen entfällt.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, die im übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO ist, führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs. Die Feststellungen tragen die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Schutzbefohlenen nicht. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift ausgeführt:
„Voraussetzung für ein Obhutsverhältnis im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist, daß ein Verhältnis besteht, kraft dessen einer Person das Recht und die Pflicht obliegen, die Lebensführung des Minderjährigen und damit dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten (BGHR StGB § 174 Abs. 1 Nr. 1 Obhutsverhältnis 1 = NStZ 1989, 21). Ob ein solches Obhutsverhältnis, das auch im Verhältnis zwischen Großeltern und Enkel bestehen kann (BGHR StGB § 174 Abs. 1 Nr. 1 Obhutsverhältnis 10), vorliegt, ist nach den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen (BGHSt 19, 163; 33, 340, 344; 41, 137, 139). Dabei braucht das Verhältnis nicht von längerer Dauer zu sein (BGHSt 17, 191; BGH NJW 1955, 1934).
Im vorliegenden Fall bestand keine häusliche Gemeinschaft zwischen der sechsjährigen N. R. und dem Angeklagten, ihrem Großvater. N. R. wohnte vielmehr im Goldenen Kinderdorf in W.. Sie besuchte nur gelegentlich zusammen mit ihrer Mutter, der Zeugin S. R., den Angeklagten. Da S. R. am 11. Juni 1998 bis in die Nacht arbeiten mußte, kam sie mit ihren Eltern überein, daß diese ihre Enkelin N. am 11. Juni bis in den Morgen des 12. Juni 1998 versorgen sollten (UA S. 6/7). Ob die Großeltern damit nur die Funktion eines Ersatz-Babysitters wahrnehmen sollten (vgl. dazu BGHR StGB § 174 Abs. 1 Nr. 1 Obhutsverhältnis 2), mag dahinstehen. Jedenfalls kann auf der Grundlage der Urteilsgründe nicht davon ausgegangen werden, daß dem Angeklagten mit der eintägigen Überlassung des Kindes die Verantwortung für das geistig-sittliche Wohl und eine Einflußnahme auf die Persönlichkeitsbildung des Kindes übertragen werden sollte. Denn der Angeklagte hatte sich seit langem vom eigentlichen Familienleben abgekapselt und sich im Wesentlichen in sein Wohnzimmer zurückgezogen (UA S. 45). Insbesondere hatte er kein herzliches Verhältnis zu den Enkelkindern entwickelt und nie einen richtigen Bezug zu ihnen gefunden (UA S. 44). Bei diesem Persönlichkeitsbild des Angeklagten liegt es fern, daß nach dem Willen der Mutter der N. R. ein Obhutsverhältnis im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB gegenüber dem Angeklagten begründet werden sollte. Der Schuldspruch wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen kann demnach keinen Bestand haben.”
Dem tritt der Senat bei.
Der Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB läßt den Strafausspruch unberührt. Der Senat schließt aus, daß der Tatrichter aufgrund des geänderten Schuldspruchs eine geringere Strafe verhängt haben würde. Zwar hat der Tatrichter bei der Strafzumessung berücksichtigt, daß der Angeklagte zwei Straftatbestände verwirklicht hat. Er hat aber zugleich hervorgehoben, daß § 176 a Abs. 1 StGB ein Verbrechenstatbestand ist, und die Strafe diesem Strafrahmen entnommen (UA S. 52). Die Tat bleibt in ihrem Unwertgehalt weiter auch dadurch gekennzeichnet, daß die Tatbegehung durch den Großvater des mißbrauchten Kindes während eines – wenn auch nur besuchsweisen – eintägigen Aufenthaltes bei den Großeltern sich als gravierender Vertrauensbruch darstellt. Überdies ist die Schwere der Tat durch die Ausführung des Oralverkehrs mit Samenerguß in den Mund des erst sechsjährigen Kindes und erhebliche Folgen für das Opfer geprägt. Angesichts dieser Umstände und im Blick auf das vom Angeklagten in verjährter Zeit gegenüber seinen Töchtern gezeigte einschlägige Verhalten (vgl. UA S. 42 ff.; siehe zu dessen Berücksichtigungsfähigkeit bei der Strafbemessung BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 11) erweist sich die ausgesprochene Strafe als solchermaßen milde, daß eine geringere Strafe auch nach der Schuldspruchänderung nicht vorstellbar erscheint.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen, weil sich die Schuldspruchänderung nicht als Teilerfolg der Revision erweist (§ 473 Abs. 1 StPO; vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 473 Rdn. 25).
Unterschriften
Schäfer, Granderath, Nack, Wahl, Schluckebier
Fundstellen