Verfahrensgang
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Nötigung in fünfhundert tateinheitlich begangenen Fällen zu Jugendstrafen von sechs beziehungsweise acht Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten geben Anlaß zu folgender Anmerkung:
1. Die Angeklagten haben gemeinsam mit anderen gleichgesinnten Personen die A 8 (Anschlußstelle Heimsheim) blockiert. Bevor sie sich an der Blockade beteiligten, waren drei Kraftfahrer nebeneinander auf der Autobahn gefahren und hatten ihre Fahrzeuge langsam an dem für die Demonstration ausgewählten Ort zum Stillstand gebracht. Nachfolgende Kraftfahrer wurden so zum Anhalten gezwungen. Versuche, an den haltenden Personenkraftwagen vorbeizufahren, waren durch Drohungen mit Eisenstangen u.ä., auch durch Beschädigung von Personenkraftwagen, verhindert worden.
Die Angeklagten sind - einem Aufruf von (auch verbotenen) Kurdenorganisationen folgend - zu der ins Auge gefaßten Demonstrationsstelle gefahren. Sodann haben sie dazu beigetragen, die bereits angehaltene Fahrzeugkolonne am Weiterfahren zu hindern, indem sie sich - Fahnen und Transparente haltend - mit den anderen Personen in dichter Menge auf die Fahrbahn stellten. In beiden Fahrtrichtungen wurde ein Stau von drei beziehungsweise vier Kilometern Länge verursacht.
Den Angeklagten konnten die Gewalttätigkeiten nicht zugerechnet werden. Nötigung entfällt deshalb nicht, aber auch nicht deswegen, weil ein Teil der am Fortkommen gehinderten Kraftfahrer beim Eintreffen der Angeklagten bereits stand. Die Angeklagten haben nämlich die bereits durch ihre Mitdemonstranten aufgebaute Barriere aus Kraftfahrzeugen benutzt, um die nachfolgenden Kraftfahrer etwa weitere dreißig Minuten am Weiterfahren zu hindern.
Der Annahme von Nötigung steht nicht entgegen, daß sie keinen wesentlichen Kraftaufwand entfaltet haben, um die erstrebte Wirkung zu erzielen. Der Senat ist der Auffassung, daß auch geringer körperlicher Aufwand - dazu gehören das Sich-Hinsetzen oder das Sich-auf-die-Fahrbahn-Begeben - den Anforderungen an den Gewaltbegriff genügen kann, wenn seine Auswirkungen den Bereich des rein Psychischen verlassen und (auch) physisch wirkend sich als körperlicher Zwang darstellen (vgl. hierzu die Senatsentscheidung vom 20. Juli 1995 - 1 StR 126/95, zum Abdruck in BGHSt vorgesehen; ähnlich auch Krey JR 1995, 265, 270).
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 1995 (NStZ 1995, 275) steht nicht entgegen, sie betrifft den vorliegenden Fall nicht. Nach dieser Entscheidung, die sich mit der Gewaltanwendung im Rahmen von Sitzblockaden befaßt, ist von der notwendigen Bestimmtheit des Gesetzes und einer zulässigen Auslegung von Verfassungs wegen nicht mehr gedeckt "der Bereich, in dem die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist" (BVerfG aaO. S. 276). Diese Entscheidung betraf den Fall von fünf Demonstranten, die auf der Straße sitzend die Durchfahrt eines Fahrzeugs verhinderten. Die dadurch erfolgte Einwirkung auf den Führer des Kraftfahrzeugs wurde vom Bundesverfassungsgericht als "nur psychisch" beurteilt. Ein Fall nur psychischer Zwangswirkung liegt hier jedoch nicht vor. Die Angeklagten haben sich zwar auch "nur" auf die Straße gestellt, sie haben jedoch bereits errichtete Barrieren aus Personenkraftwagen weiterbenutzt und somit körperlich wirkenden Zwang ausgeübt und dadurch die im Stau befindlichen Wagen weiterhin am Fortkommen gehindert.
Im Hinblick auf diese physischen Hindernisse muß hier nicht entschieden werden, ob die Wirkung, die von einer auf der Fahrbahn stehenden oder sitzenden Mehrheit von Personen ausgeht, von dem Kraftfahrer wirklich nur als seelischer Zwang (so Bundesverfassungsgericht aaO.) und nicht vielmehr auch als physisches Hindernis, als Barriere, und damit als körperlicher Zwang empfunden wird (so BGHSt 37, 350, 353; BVerfG aaO., abweichende Meinung dreier Richter NStZ 1995, 281; Krey aaO. S. 271).
2. Das Landgericht hat wegen der "Schwere der Schuld" (§ 17 Abs. 2 Satz 2 JGG) Jugendstrafe verhängt. Ob zur Ahndung der Nötigung in einem besonders schweren Fall eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre, ist zunächst Sache des Tatrichters. Die Überprüfung des Urteils ergibt, daß insoweit die Umstände umfassend gewürdigt und die wesentlichen Milderungsgründe beachtet wurden. Ein Rechtsfehler ist nicht erkennbar. Das Revisionsgericht kann die rechtsfehlerfreie Abwägung des Tatrichters nicht durch eine eigene Bewertung ersetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 2993351 |
NJW 1995, 2862 |
NVwZ 1995, 1246 |
NStZ 1995, 592 |