Verfahrensgang
LG Hechingen (Urteil vom 14.04.2003) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 14. April 2003 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Feststellungen zum äußeren Ablauf des Tatgeschehens und zur subjektiven Tatseite bleiben bestehen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Angeklagte hatte 1998 bei einem schweren Verkehrsunfall ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. In der Folge trat eine hirnorganische Wesensveränderung ein, die sich in allgemein schlecht gesteuertem Verhalten, erhöhter Reizbarkeit und impulsiver Reaktionsbereitschaft äußert. Er neigt zu emotionalen anstatt rationalen Reaktionen. Affekte klingen bei ihm nur langsam ab. Zudem liegt eine schwere Persönlichkeitsstörung mit sowohl depressiven als auch paranoiden Elementen vor. „Wegen Eigen- und Fremdgefährdung” war er nach dem Tatgeschehen vom 18. Oktober 2000 im Anschluß an eine stationäre Behandlung im Krankenhaus Albstadt-Ebingen am 20. Oktober 2000 in die Klinik für Psychiatrie Rottenmünster verlegt worden, wo er sich bis 23. Oktober 2000 aufhielt. Derzeit befindet er sich im Zentrum für Psychiatrie in Bad Schussenried.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen, wegen des zugrundeliegenden Tatgeschehens jedoch seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Zudem hat es ihn wegen Beleidigung, Bedrohung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruchs in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 25 EUR verurteilt. Mit seiner Revision erstrebt der Angeklagte in erster Linie die Aufhebung der verhängten Maßregel, insoweit hat die Revision mit der Sachbeschwerde Erfolg. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Der näheren Erörterung bedarf nur der Maßregelausspruch nebst dem zugrundeliegenden Tatgeschehen:
I.
Nach den dazu getroffenen Feststellungen zog die Ehefrau des Angeklagten nach einem heftigen Streit am 15. Oktober 2000 aus der gemeinsamen Wohnung aus. Sie beabsichtigte, den ihr gehörigen aber gemeinsam genutzten Pkw Fiat Punto mitzunehmen, was der Angeklagte, der im Besitz eines Fahrzeugschlüssels war, verhinderte. An den darauffolgenden Tagen unternommene Versuche, das Fahrzeug abzuholen, mißlangen, weil der Angeklagte sich weigerte, den in der Garage befindlichen Pkw herauszugeben. Am 18. Oktober 2000 beschlossen deshalb … G. jun. und … B., beides Verwandte der Ehefrau des Angeklagten, das Fahrzeug auch gegen seinen von ihnen erwarteten Widerstand abzuholen. Zu diesem Zweck lauerten sie ihm auf, als er gegen 21.15 Uhr mit dem Fahrzeug nach Hause kam. Als er sich nach seiner im Fußraum vor dem Beifahrersitz befindlichen Trainingstasche bückte, trat B. plötzlich an die geöffnete Fahrertür heran, umklammerte den Angeklagten mit beiden Händen, nahm ihn „in den Schwitzkasten” und versuchte, ihm den Fahrzeugschlüssel zu entwinden. G. unterstützte B. von der Beifahrerseite aus. Der Angeklagte wehrte sich heftig und fügte B. mit dem Schlüssel zwei stark blutende Verletzungen im Gesicht zu. B. seinerseits drückte ihm den Finger ins Auge. Der Angeklagte trug eine Prellung des rechten Auges, Hämatome und eine Jochbogenfraktur davon. Infolge der Persönlichkeitsstörung und der hirnorganischen Wesensveränderung hatte er die Vorstellung, B. und G. wollten ihn umbringen. Tatsächlich ging es diesen nur um die Beschaffung des Schlüssels, nicht aber darum, dem Angeklagten eine körperliche Abreibung zu verpassen oder gar ihn zu töten.
Nachdem im Verlauf der einige Minuten dauernden Auseinandersetzung der Fahrzeugschlüssel abgebrochen war, ließen B. und G. von dem Angeklagten ab, weil sie erkannten, daß ein weiteres Ringen um den Besitz des Schlüssels sinnlos geworden war. G. ging nunmehr zum Heck des Fahrzeuges und begann damit, das Kennzeichen zu entfernen, um das Fahrzeug bei der Kfz-Zulassungsstelle abzumelden, damit der Angeklagte es nicht mehr nutzen konnte. Obwohl B. und G. „ersichtlich keine Anstalten mehr machten, gegen den Angeklagten tätlich zu werden, befand er sich aufgrund der vorangegangenen Auseinandersetzung noch immer in höchster Erregung und glaubte weiter, er befinde sich in Lebensgefahr und müsse sich deshalb zur Wehr setzen”. Er holte deshalb ein Beil und versuchte damit auf G. einzuschlagen, der in gebückter Haltung mit der Entfernung des Kennzeichens beschäftigt war. Dieser bemerkte jedoch den Angeklagten, richtete sich auf und floh in Richtung Garagentor. Der Angeklagte setzte nach und schlug ihm mit der stumpfen Seite des Beils wuchtig auf den Kopf. Dabei nahm er die Möglichkeit tödlicher Verletzungsfolgen billigend in Kauf. G. erlitt eine sofort stark blutende Kopfwunde und eine Schädelfraktur. Gemeinsam mit B. gelang ihm die Flucht, bevor der Angeklagte ihnen nachzusetzen vermochte. Die Verletzungen G.s waren potentiell lebensgefährlich, konkrete Lebensgefahr bestand für ihn aber nicht.
Der Angeklagte war zur Tatzeit fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen; seine Steuerungsfähigkeit war indessen erheblich vermindert (§ 21 StGB).
Entscheidungsgründe
II.
Die Strafkammer hat in dem rechtsfehlerfrei festgestellten Geschehen im Ergebnis zutreffend eine rechtswidrige Anlaßtat im Sinne von § 63 StGB gesehen.
1. Sie hat das Vorliegen einer Notwehrlage sowie ein Überschreiten derselben gemäß § 33 StGB verneint, jedoch einen krankheitsbedingt unvermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 StGB angenommen, weshalb der Angeklagte schuldlos gehandelt habe.
2. Die Annahme der Strafkammer, es habe für den Angeklagten keine Notwehrlage im Sinne des § 32 StGB mehr bestanden, als er mit dem Beil zuschlug, trägt nicht.
Die Angriffe B.s und G.s auf die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten im Fahrzeug waren rechtswidrig. Sie dauerten so lange an, wie er eine Wiederholung unmittelbar befürchten mußte (vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 3). Nachdem der Fahrzeugschlüssel abgebrochen war, ließen B. und G. zwar von ihm ab. Unbeschadet des Umstandes, daß der Angeklagte das Ziel ihres Angriffs krankheitsbedingt falsch einschätzte, liegt aber bereits nahe, daß diese erneut zum körperlichen Angriff übergegangen wären, wenn er nunmehr versucht hätte, sie am Entfernen der Kfz-Kennzeichen zu hindern. Dies gilt um so mehr, als sie ihm – zahlenmäßig überlegen – aufgelauert und ihn ohne Vorwarnung und Aufforderung, den Schlüssel herauszugeben, in der Dunkelheit angegriffen hatten. Darauf, ob dieser Angriff auf die körperliche Unversehrtheit im Zeitpunkt der „Verteidigung” mit dem Beil beendet war, wie die Kammer annimmt, kommt es aber nicht entscheidend an. Denn jedenfalls der Angriff auf den Besitz am Fahrzeug dauerte fort. Das Notwehrrecht des Angeklagten gegen diesen Angriff war nicht deshalb eingeschränkt, weil er sich seinerseits gegen den Willen seiner Ehefrau als Mitbesitzerin den Alleinbesitz verschafft hatte. Denn die von G. und B. beabsichtigte völlige Einziehung seines Besitzes, brauchte er schon deshalb nicht zu dulden, weil diese über die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes – Mitbesitz der Ehegatten nach § 866 BGB – hinausging und damit gleichfalls rechtswidrig war. Auf die Streitfrage, ob sich die in ihrem Mitbesitz an dem Pkw gestörte Ehefrau des Angeklagten auf die Vorschriften über den Besitzschutz berufen konnte, oder diese durch die Spezialregelung des § 1361a BGB verdrängt werden (vgl. Palandt-Bassenge, BGB 62. Aufl. § 861 Rdn. 3; OLG Karlsruhe NJW-RR 2001, 939; OLG Köln FamRZ 1997, 1276; zur Zugehörigkeit eines Pkw zum Hausrat: vgl. Palandt-Brudermüller, BGB 62. Aufl. § 1361a Rdn. 5 m.Nachw.), kommt es danach nicht an.
3. Die Verneinung einer Notwehrlage durch die Strafkammer gefährdet die Annahme einer Anlaßtat im Sinne des § 63 StGB indessen nicht, weil die Tat zum Nachteil G.s aus anderen Gründen rechtswidrig war. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Verteidigung durch einen Schlag mit dem Beil auch nicht erforderlich war. Die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung ist nach der jeweiligen Kampfeslage zu beurteilen (BGH, Beschluß vom 24. Juli 2001 – 4 StR 256/01, BGH StV 1999, 145, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 2; Erforderlichkeit 13). Selbst wenn der Angeklagte für den Fall, daß er Widerstand geleistet hätte, mit erneuten körperlichen Attacken rechnen mußte, hatte der Angriff nach der Auseinandersetzung im Fahrzeug an Intensität jedenfalls erkennbar nachgelassen und galt nunmehr in erster Linie seinem Besitz. Unter diesen Umständen war der lebensgefährliche und mit bedingtem Tötungsvorsatz geführte sofortige Schlag mit dem Beil – jedenfalls ohne vorherige Drohung – nicht mehr zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2003 – 3 StR 458/02; BGH, Beschluß vom 24. Juli 2001 – 4 StR 256/01), zumal G., nachdem der Angeklagte ihn zunächst verfehlt hatte, bereits die Flucht ergriff.
Die Überschreitung der erforderlichen Verteidigungshandlung beruhte auf Furcht, Verwirrung und Schrecken des Angeklagten (§ 33 StGB). Er wähnte sich in Lebensgefahr, weil er meinte, G. und B. wollten ihn töten. Er hatte Todesangst. Damit liegen die Voraussetzungen des § 33 StGB vor. Eine Strafbefreiung nach § 33 StGB ist auch dann noch möglich, wenn die Intensität des Angriffs bereits nachgelassen hat (BGHR StGB § 33 Nothilfe 1). Das schließt die Unterbringung des Angeklagten aber nicht aus, weil seine Furcht gerade Folge seines seelischen Zustandes im Sinne der §§ 20, 21 StGB war (vgl. BGH NStZ 1991, 528; Hanack in LK 11. Aufl. § 63 Rdn. 32). Ein geistesgesunder Täter an Stelle des Angeklagten hätte erkannt, daß die Verteidigung durch einen potentiell tödlichen Schlag mit dem Beil die Grenzen des Erforderlichen überschritt, nachdem die Intensität des Angriffs nachgelassen und sich die Kampfeslage geändert hatte. Die falsche Einschätzung durch den Angeklagten hatte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ihre Ursache in der zur Tatzeit bestehenden hirnorganischen Wesensveränderung und der Persönlichkeitsstörung.
III.
Die andere rechtliche Bewertung der Anlaßtat zieht hier die Aufhebung des Maßregelausspruchs nach sich.
Eine Änderung der rechtlichen Bewertung der Anlaßtat durch das Revisionsgericht führt zwar dann nicht zur Aufhebung einer Unterbringungsanordnung, wenn trotzdem noch eine Tat vorliegt, die in ihrer konkreten Ausgestaltung ohne weiteres Grundlage einer Unterbringung sein kann (vgl. BGH, Beschluß vom 10. September 2002 – 1 StR 337/02 m.Nachw.). Der Senat kann unter den hier gegebenen Umständen aber nicht sicher ausschließen, daß die Strafkammer zu einer anderen Beurteilung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit gelangt wäre, wenn sie von einer fortbestehenden Notwehrlage ausgegangen wäre. Eine unter den Voraussetzungen des § 33 StGB begangene Tat ist grundsätzlich nicht symptomatisch für eine krankheitsbedingte Gefährlichkeit (vgl. BGH NStZ 1991, 528). Dem entspricht die Einschätzung des Sachverständigen, eine solch schwere Tat wie gegenüber G. lasse sich nur mit der besonderen Fallkonstellation erklären und sei deshalb in der Zukunft eher unwahrscheinlich. Davon abgesehen bestehen aber durchaus gewichtige Anhaltspunkte, die auf eine Gefährlichkeit des Angeklagten auch für die Allgemeinheit schließen lassen und die Anordnung der Unterbringung auch durch den neuen Tatrichter rechtfertigen können. Die übrigen abgeurteilten Taten waren zwar durchweg nicht schwerwiegend. Da der Angeklagte aufgrund seines Krankheitszustandes aber schnell in Erregungszustände gerät, die er nicht mehr beherrschen kann und auch bei geringfügigen Anlässen stark impulsiv reagiert, liegt die Annahme nicht fern, daß eine belanglose Konfliktsituation im Alltag eskalieren und es infolgedessen zu gewaltsamen Übergriffen durch den Angeklagten kommen kann.
Dies abschließend zu bewerten, bleibt dem neuen Tatrichter vorbehalten. Dieser wird auch Gelegenheit haben, die Gründe sowohl für die Entlassung des Angeklagten aus der psychiatrischen Behandlung am 23. Oktober 2000 als auch für seinen derzeitigen Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus näher aufzuklären und dabei gewonnene Erkenntnisse in seine Entscheidung über die Unterbringung nach § 63 StGB einzubeziehen. Auch die bislang unterbliebene Erörterung des § 67b StGB wird nachzuholen sein.
Im Hinblick auf das Verbot der Schlechterstellung bedarf eine etwaige Strafbarkeit des Angeklagten wegen des Geschehens vom 18. Oktober 2000 bei hier nur eingeschränkter Schuldfähigkeit unter dem Gesichtspunkt des § 33 StGB in der neuen Hauptverhandlung keiner Erörterung mehr (vgl. BGH, Beschluß vom 24. Juli 2001 – 4 StR 268/01).
Unterschriften
Nack, Wahl, Boetticher, Kolz, Hebenstreit
Fundstellen
Haufe-Index 2554591 |
NStZ-RR 2004, 10 |