Verfahrensgang
LG Rostock (Urteil vom 28.02.2011) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 28. Februar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts vom 19. Mai 2008 wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Das Landgericht hatte ferner die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung mit der Maßgabe angeordnet, dass zunächst die Unterbringung in der Entziehungsanstalt zu vollziehen sei. Auf die mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom 28. April 2009 im gesamten Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben, die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen und die weiter gehende Revision als unbegründet verworfen.
Rz. 2
Das Landgericht hat gegenüber dem Angeklagten nunmehr auf der Grundlage des in Rechtskraft erwachsenen Schuld- und Strafausspruchs die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten; er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Rz. 3
1. Nach den bindend gewordenen Feststellungen zu den Anlasstaten kamen der Angeklagte und der gesondert verfolgte Mittäter F. unmittelbar nach Verbüßung der Strafe aus dem Urteil vom 23. Januar 2002 im Februar 2007 überein, durch Überfälle auf Geschäfte Bargeld zu erlangen. In Ausführung dieses Tatentschlusses betrat der Angeklagte am 9. März 2007, einem Freitag, mit Sonnenbrille und Kapuze maskiert das Ladengeschäft der Geschädigten G., die dort u.a. eine Lottoannahmestelle betrieb, in deren Kasse die Täter an diesem Tag einen hohen Geldbetrag vermuteten. F. wartete währenddessen abfahrbereit in einem Fahrzeug in der Nähe. Da die Geschädigte die Forderung des Angeklagten nach Herausgabe des Geldes zunächst nicht ernst nahm, zog dieser eine ungeladene Schreckschusspistole hervor, richtete sie auf die Geschädigte und täuschte ein Durchladen vor. Die verängstigte Zeugin, die die Pistole für eine echte Schusswaffe hielt, begann zu schreien und schubste den Angeklagten mehrfach in Richtung des Ausgangs vor sich her, wobei sie sich bei einem der kraftvollen Stöße einen Finger brach. Der von der Gegenwehr überraschte Angeklagte floh ohne Beute und entfernte sich gemeinsam mit dem gesondert verfolgten F. in dem Fahrzeug vom Tatort. Kurze Zeit später fassten der Angeklagte und F. den Plan zum Überfall auf ein Bettengeschäft, da der Angeklagte von einer dort tätigen Auszubildenden erfahren hatte, dass an einem bestimmten Tag ein Kunde wahrscheinlich einen Bareinkauf in Höhe von 10.000 EUR tätigen würde. Während der gesondert verfolgte F. absprachegemäß in der Nähe in einem Pkw wartete, betrat der Angeklagte, der in seiner Kleidung erneut die ungeladene Schreckschusspistole mit sich führte, den Geschäftsraum und forderte von dem dort beschäftigten Zeugen B. die Herausgabe von Bargeld. Als dieser erwiderte, er habe nur wenig Geld in der Kasse, deutete der Angeklagte mit einer Handbewegung an, eine Waffe aus seiner Jacke hervorzuholen, und äußerte: „Machen Sie die Kasse auf, ich will das sehen, oder soll ich erst meine Pistole rausholen?” Der Zeuge B. sah lediglich, dass der Angeklagte einen Gegenstand in der Tasche mit sich führte, den er aber nicht identifizieren konnte. Eine weitere Zeugin sah den Griff der Pistole und hielt diese für echt. Nach Öffnung der Kassenschublade legte der Zeuge B. entsprechend der Aufforderung des Angeklagten alle Geldscheine auf einen Tresen. Der Angeklagte nahm das Geld, insgesamt etwa 1.150 EUR und entfernte sich.
Rz. 4
Das Landgericht hat Einzelstrafen von drei Jahren (Tat 1) und von vier Jahren sechs Monaten (Tat 2) verhängt.
Rz. 5
2. Zur Vorbelastung des mehrfach und auch einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getretenen Angeklagten hat die Strafkammer u.a. folgendes festgestellt:
Rz. 6
2001 wurde der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Nach den damaligen Feststellungen hatte er zum Jahreswechsel 1999/2000 mit einem fünfzig Zentimeter langen und zwei Zentimeter dicken Bambusstab aus nichtigem Anlass auf sein Opfer eingeschlagen, ihm CS-Gas ins Gesicht gesprüht und es mit einem einer Machete ähnlichen Messer bedroht. Ferner hatte er zwei Bekannte aufgefordert, sich mit Stahlkappen versehene Schuhe anzuziehen und auf das Opfer einzutreten, was diese auch getan hatten. Wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen wurde der Angeklagte am 23. Januar 2002 unter Einbeziehung der zuvor erwähnten Bewährungsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Um sein Opfer zur Hergabe von Geld als Rückzahlung angeblicher Schulden zu veranlassen, hatte er gemeinsam mit Mittätern u.a. zunächst mehrfach mit einem metallenen Baseballschläger, dann mit einem solchen aus Holz, auf die Arme seines Opfers eingeschlagen. Als das Geräusch brechender Knochen zu hören gewesen war, hatte er dem Geschädigten nach entsprechender Ankündigung weitere kräftige Schläge auf dessen Beine versetzt. Sodann hatte er den Kopf seines knienden Opfers hochgerissen und diesem mit einem mitgebrachten Messer unvermittelt in eine Wange und die Stirn geschnitten. Nachdem der Geschädigte noch längere Zeit der Einwirkung des Angeklagten ausgesetzt gewesen war, war es ihm gelungen, von seiner Freundin 250 EUR zu erhalten, die er an den Angeklagten weitergegeben hatte, der daraufhin von ihm abgelassen hatte. Das Langgericht verhängte in diesem Tatkomplex eine Einsatzstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten.
Rz. 7
3. Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB bejaht und, insoweit durch einen Psychiater und einen Psychologen sachverständig beraten, auch die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung als erfüllt angesehen. Von dem Angeklagten seien weiterhin schwerwiegende Straftaten zu erwarten. Soziale Kompetenzen seien bei ihm nicht ansatzweise ausgeprägt, weshalb er aggressive und wenig durchdachte Konfliktlösungen bevorzuge, was auch die zahlreichen Disziplinarverstöße in der Strafhaft belegten. Mangels Fähigkeit zur Empathie bagatellisiere er die Folgen seiner Taten für die Opfer. Nicht zuletzt wegen seiner Bereitschaft zur Gewalt habe er im Straftätermilieu Anerkennung erfahren und ein Selbstverständnis als Krimineller entwickelt, weshalb er sich in einem sozial akzeptierten Leben nicht bestätigt sehe. Ferner besitze er ein übertriebenes Selbstwertgefühl, seine Persönlichkeit weise narzisstische Züge auf, die jedoch noch nicht die Schwere einer antisozialen bzw. dissozialen Störung angenommen hätten. Er nutze zwischenmenschliche Beziehungen zur Erlangung eigener Vorteile und gehe dabei hochmanipulativ vor. Die Anlasstaten seien symptomatisch für seine verbrecherische Neigung, die Delinquenzentwicklung des Angeklagten sei gleichermaßen durch eine hohe Tatfrequenz und eine hohe Rückfallgeschwindigkeit gekennzeichnet. Es sei daher von einem eingeschliffenen Verhaltensmuster auszugehen.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 8
Die Begründung, mit der das Landgericht einen Hang zu erheblichen Straftaten bejaht hat, hält unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a.; NJW 2011, 1931) rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 9
1. Gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hangs zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder durch die schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung”, wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. Die Anordnung wird danach „in der Regel” nur verhältnismäßig sein, wenn „eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 aaO, Tz. 172). Die darin liegende Einschränkung im Vergleich zu den nach bisherigem Recht geltenden Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft die Straftatenkataloge und die konkrete Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle „erheblichen Straftaten”, durch welche die Opfer „seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch „schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten” im Sinne der Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, Tz. 12). Ob die vom Bundesverfassungsgericht geforderte besonders strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit dazu führt, hinsichtlich der Taten, deren künftige Begehung durch den Täter als möglich erscheint, bestimmte Deliktsgruppen oder Begehungsweisen ohne Hinzutreten besonderer Umstände generell als nicht ausreichend für die Anordnung der Maßregel anzusehen (dies bejahend BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 – 2 StR 184/11, Tz. 14, für Verstöße gegen das BtMG ohne konkrete Gefährdung von Leib oder Leben Dritter; verneinend BGH, Beschluss vom 4. August 2011 – 3 StR 235/11, Tz. 6, für schwere räuberische Erpressungen im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB), kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hier schon deshalb keinen Bestand haben, weil sich das Landgericht bei der Beurteilung der Erheblichkeit der zu erwartenden Straftaten den Blick für die Besonderheiten des Falles verstellt hat. Daher kann auch dahinstehen, ob hinsichtlich des zweiten Elements der Gefährlichkeit, also der Wahrscheinlichkeit der Begehung einer erheblichen Straftat, ebenfalls ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, Tz. 18; Beschluss vom 4. August 2011 – 3 StR 235/11, Tz. 5).
Rz. 10
2. Nach den getroffenen Feststellungen ließ sich der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe durch verhältnismäßig geringe Gegenwehr der Geschädigten G. von der weiteren Tatausführung abhalten. Nachdem diese zu schreien begonnen und den Angeklagten durch mehrere kraftvolle Stöße in Richtung Ausgangstür geschubst hatte, setzte er die Tatausführung nicht etwa durch Anwendung von Gewalt fort, sondern entfernte sich ohne Beute sofort vom Tatort und ergriff mit seinem Mittäter die Flucht. Im Fall III. 2 der Urteilsgründe beließ es der Angeklagte zunächst bei drohenden Worten, um die Herausgabe von Bargeld zu erreichen, und sodann bei einer angedeuteten Handbewegung, die darauf schließen ließ, dass er in seiner Jacke eine Waffe mit sich führte. Lediglich die hinzutretende Zeugin W. sah den Griff der in der Jacke steckenden Waffe und hielt sie für echt. Die Strafkammer hat sich in ihrer Beurteilung des Hangs des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten den Sachverständigen angeschlossen, die u.a. maßgeblich darauf abgestellt haben, diesen kennzeichne – neben einer Reihe von Persönlichkeitsdefiziten wie der mangelnden Fähigkeit zur Empathie und einer hohen Rückfallgeschwindigkeit – die Bereitschaft zu aggressiven Konfliktlösungen sowie zu körperlicher Gewalt, mit der er im Straftätermilieu zu imponieren versuche und auch tatsächlich Anerkennung erfahre, weshalb er sich in einem sozial akzeptierten Leben nicht bestätigt sehe. Diese Erwägung nimmt nicht ausreichend in den Blick, dass die Tatausführung in den beiden abgeurteilten Fällen der schweren räuberischen Erpressung nicht durch die Anwendung von Gewalt gegen die Opfer gekennzeichnet war. Auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Vorverurteilung, die eine räuberische Erpressung mit Ausübung erheblicher Gewalt gegenüber dem Tatopfer betrifft, erweist sich die Annahme der Strafkammer, beim Angeklagten bestehe die Gefahr weiterer schwerer Gewalttaten im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts, als nicht tragfähig. Der Tatrichter hat das Vorliegen des Hangs unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgeblichen Umstände darzulegen (Senatsbeschluss vom 27. September 1994 – 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Daher hätten die Unterschiede in der jeweiligen Tatausführung hier besonderer Erörterung bedurft.
III.
Rz. 11
Der Senat kann nicht ausschließen, dass der neue Tatrichter, der die Gesamtwürdigung – mit sachverständiger Hilfe – unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erneut vornehmen muss, Tatsachen feststellt, die auch bei Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen können.
Unterschriften
Ernemann, Roggenbuck, Franke, Bender, Quentin
Fundstellen
Haufe-Index 2827159 |
NStZ-RR 2012, 109 |