Leitsatz (amtlich)
a) Für welche Aufgabenkreise ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (im Anschluss an BGH v. 22.3.2017 - XII ZB 260/16, FamRZ 2017, 995; v. 6.7.2016 - XII ZB 131/16, FamRZ 2016, 1668).
b) An der Erforderlichkeit einer Betreuung kann es im Einzelfall fehlen, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine "Unbetreubarkeit" vorliegt. Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit ist allerdings Zurückhaltung geboten (im Anschluss an BGH v. 11.5.2016 - XII ZB 363/15, FamRZ 2016, 1350; v. 28.1.2015 - XII ZB 520/14, FamRZ 2015, 650).
c) § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB lässt die Erforderlichkeit der Betreuung nur bei Vorliegen von konkreten Alternativen entfallen. Die Möglichkeit einer Bevollmächtigung steht der Erforderlichkeit der Betreuung daher nur entgegen, wenn es tatsächlich mindestens eine Person gibt, welcher der Betroffene das für eine Vollmachterteilung erforderliche Vertrauen entgegen bringt und die zur Übernahme der anfallenden Aufgaben als Bevollmächtigter bereit und in der Lage ist (im Anschluss an BGH v. 23.9.2015 - XII ZB 225/15, FamRZ 2015, 2049).
Normenkette
BGB § 1896 Abs. 2; FamFG § 26
Verfahrensgang
LG Dresden (Beschluss vom 02.06.2017; Aktenzeichen 2 T 357/17) |
AG Pirna (Entscheidung vom 21.03.2017; Aktenzeichen XVII 493/15) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Dresden vom 2.6.2017 aufgehoben, soweit das LG die Beschwerde des Betroffenen gegen die Aufhebung der Betreuung für den Aufgabenkreis Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen aller Art und Entscheidung über Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post zurückgewiesen hat.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene wendet sich gegen die Aufhebung der für ihn eingerichteten Betreuung.
Rz. 2
Für den im Jahre 1990 geborenen Betroffenen wurde mit Beschluss des AG vom 22.3.2016 die Beteiligte zu 1), eine Berufsbetreuerin, zur Betreuerin für den Aufgabenkreis Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Versicherungen und Renten- und Sozialleistungsträgern, Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen aller Art sowie Entscheidung über Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post bestellt und eine Überprüfungsfrist von drei Jahren bestimmt.
Rz. 3
Nachdem es in der Betreuungsführung wiederholt zu Schwierigkeiten zwischen dem Betroffenen, dessen Mutter (der Beteiligten zu 3) und der Betreuerin kam, hat das AG die Betreuung aufgehoben, weil der Betroffene nicht betreuungsfähig sei. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das LG zurückgewiesen und die von der Mutter im eigenen Namen eingelegte Beschwerde verworfen.
Rz. 4
Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene weiterhin gegen die Aufhebung der Betreuung.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist nur für den Bereich der Wohnungsangelegenheiten unbegründet. Im Übrigen führt sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit mit diesem die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 6
1. Dieses hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Rz. 7
Für die Bestellung eines Betreuers sei kein Raum, wenn sie keinen Erfolg verspreche. Hiervon sei auszugehen, wenn der Betroffene trotz - oder gerade wegen - einer psychischen Erkrankung die Betreuung und den Kontakt zum Betreuer ablehne und die Betreuung infolgedessen keinerlei Änderung der Situation des Betroffenen herbeizuführen geeignet sei. So liege der Fall hier.
Rz. 8
Für den Bereich der Gesundheitssorge bestehe zwar Handlungsbedarf, weil durch weitere Diagnostik geklärt werden müsse, welche psychische Erkrankung vorliege. Der Betroffene verweigere jedoch die hierfür notwendige Mitwirkung. Für die Wohnungsangelegenheiten sei derzeit kein Betreuungsbedarf erkennbar. Der Betroffene wohne bei seiner Mutter und habe wie diese nicht den Wunsch nach einer Änderung geäußert. Auch für die Vermögenssorge sei kein Handlungsbedarf ersichtlich. Der Betroffene habe weder Verbindlichkeiten noch sonstige laufende Ausgaben, deren Erfüllung überwacht werden müsse. Allein daraus, dass er über weitere - bereits aufgelöste - Konten verfügt und eine Bareinzahlung getätigt habe, über die er der Betreuerin keine Auskunft erteilt habe, lasse sich ebenso wenig ein Handlungsbedarf herleiten wie aus der Tatsache, dass er nicht in der Lage sei, Kontoauszüge zu sammeln.
Rz. 9
Für den Bereich der Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern und die Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen aller Art bestehe zwar ein erheblicher Regelungsbedarf. Das Verhalten des Betroffenen mache es der Betreuerin jedoch unmöglich, ihre Aufgaben wirksam wahrzunehmen. Der Betroffene verweigere eine Kontaktaufnahme, von der Betreuerin erbetene Unterlagen schicke er ihr nicht zu, außerdem erteile er seiner Mutter parallel Vollmachten, ihn in einzelnen, in den Aufgabenkreis der Betreuerin fallenden Angelegenheiten zu vertreten. Ob das Verhalten des Betroffenen (ausschließlich) krankheitsbedingte Ursachen habe, habe aufgrund seiner Verweigerung einer weiteren Diagnostik nicht geklärt werden können. Nach dem bisherigen Verlauf der Betreuung sei davon auszugehen, dass auch ein anderer Betreuer an der Fehlvorstellung des Betroffenen von der Tätigkeit eines Betreuers und der fehlenden Kooperation scheitern werde.
Rz. 10
Darüber hinaus sei die Mutter in einzelnen Angelegenheiten tätig geworden. Der Betroffene habe ihr am 24.3.2017 eine auf ein Jahr beschränkte Vollmacht erteilt, wozu er in der Lage sei. Somit sei davon auszugehen, dass derzeit ausreichende Hilfen zur Verfügung stünden.
Rz. 11
2. Das hält mit Ausnahme der Aufhebung der Betreuung für den Bereich der Wohnungsangelegenheiten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 12
a) Nach § 1908d BGB ist die Betreuung aufzuheben, sobald die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers entfallen. Hierfür genügt es, wenn eines der die Betreuung begründenden Tatbestandsmerkmale des § 1896 BGB weggefallen ist (vgl. BGH v. 18.11.2015 - XII ZB 16/15, FamRZ 2016, 291 Rz. 8 m.w.N.). Bei seiner Prüfung, ob dies hinsichtlich der für den Betroffenen angeordneten Betreuung zu bejahen ist, geht das LG im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass eine Betreuung für den angeordneten Aufgabenkreis gem. § 1896 Abs. 2 BGB erforderlich sein muss. Für welche Aufgabenkreise ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (BGH v. 22.3.2017 - XII ZB 260/16, FamRZ 2017, 995 Rz. 7; v. 6.7.2016 - XII ZB 131/16, FamRZ 2016, 1668 Rz. 14 m.w.N.).
Rz. 13
Trotz bestehenden Handlungsbedarfs kann es an der Erforderlichkeit der Betreuung etwa dann fehlen, wenn die Betreuung - aus welchem Grund auch immer - keinerlei Änderung der Situation des Betroffenen herbeizuführen geeignet ist. Daher kommt die Aufhebung der Betreuung nach der Senatsrechtsprechung dann in Betracht, wenn sich herausstellt, dass der mit der Bestellung des Betreuers erstrebte Erfolg nicht zu erreichen ist, weil der Betreuer seine Aufgaben nicht wirksam wahrnehmen und zum Wohl des Betroffenen nichts bewirken kann. Davon kann im Einzelfall ausgegangen werden, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine "Unbetreubarkeit" vorliegt. Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit ist allerdings Zurückhaltung geboten, zumal die fehlende Bereitschaft, vertrauensvoll mit dem Betreuer zusammenzuarbeiten, Ausdruck der Erkrankung des Betroffenen sein kann. Gerade in diesem Fall kommt die Aufhebung einer Betreuung nur dann in Betracht, wenn es gegenüber den sich für den Betroffenen aus der Krankheit oder Behinderung ergebenden Nachteilen unverhältnismäßig erscheint, die Betreuung aufrechtzuerhalten. Besteht objektiv ein Betreuungsbedarf, ist daher bei fehlender Kooperationsbereitschaft des Betroffenen entscheidend, ob durch die Betreuung eine Verbesserung der Situation des Betroffenen erreicht werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit ein Betreuer durch rechtliche Entscheidungen einen für den Betroffenen positiven Einfluss nehmen könnte (BGH v. 11.5.2016 - XII ZB 363/15, FamRZ 2016, 1350 Rz. 19 m.w.N.; v. 28.1.2015 - XII ZB 520/14, FamRZ 2015, 650 Rz. 11 ff. m.w.N.).
Rz. 14
Es ist die Aufgabe des Betreuungsgerichts, auch bei schwierigen Betroffenenpersönlichkeiten durch den die Betreuung anordnenden Beschluss geeignete Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche rechtliche Betreuung zu schaffen. Deshalb muss das Betreuungsgericht bei der Betreuerauswahl Bedacht darauf nehmen, dass für Betroffene mit schwieriger Persönlichkeit ein Betreuer bestellt wird, der dieser Herausforderung mit Sachkunde und Erfahrung begegnen kann. Gegebenenfalls ist auch ein Betreuerwechsel erforderlich, um eine Person zu bestellen, die Zugang zum Betroffenen findet (BGH, Beschl. v. 28.1.2015 - XII ZB 520/14, FamRZ 2015, 650 Rz. 15).
Rz. 15
b) Bei Anlegung dieser Maßstäbe hat das LG das Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen einer Betreuerbestellung für den Betroffenen im Wesentlichen zu Unrecht verneint.
Rz. 16
aa) Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das LG keinen ausreichenden Handlungsbedarf für den Bereich der Wohnungsangelegenheiten gesehen hat. Dass ein solcher auftreten kann, ist nach den getroffenen Feststellungen nicht absehbar und wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht dargelegt.
Rz. 17
Nicht tragfähig ist hingegen die Begründung des LG, weshalb es auch für den Bereich der Vermögenssorge an einem Handlungsbedarf fehlen soll. Im Zusammenhang mit dem Bereich der Geltendmachung von Ansprüchen aller Art geht auch das LG von einem erheblichen Regelungsbedarf aus. Die Einkommenssituation des Betroffenen ist ungeklärt, nach erfolgreicher Geltendmachung von Ansprüchen wird die Verwendung der eingehenden Gelder zu regeln sein. Mithin kann sich ein Handlungsbedarf insoweit jederzeit ergeben. Dass der Betroffene sich nicht zu verschulden droht, kann gegen die Notwendigkeit eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 BGB sprechen, beseitigt aber nicht einen rechtlichen Regelungsbedarf für die Vermögenssorge im Übrigen.
Rz. 18
Soweit es die weiteren bislang von der Betreuung umfassten Bereiche anbelangt, hat das LG einen Handlungsbedarf ausdrücklich und rechtlich zutreffend bejaht.
Rz. 19
bb) Mit Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde dagegen, dass das LG von einer "Unbetreubarkeit" des Betroffenen ausgegangen ist. Bei seiner entsprechenden Annahme hat das LG den Verfahrensstoff nicht ausgeschöpft und dadurch gegen seine aus dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 26 FamFG folgende Pflicht verstoßen.
Rz. 20
Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend darlegt, hatte das AG im Zuge seiner Prüfung, ob die Betreuung aufzuheben sei, eine andere Berufsbetreuerin um Stellungnahme gebeten, ob sie zur Übernahme der Betreuung bereit sei. Diese hatte nach einem persönlichen Gespräch mit dem Betroffenen ausgeführt, der Betroffene wisse sehr genau, welche Hilfen er von einem Betreuer erwarten könne und welche nicht. Alle vom Betroffenen geschilderten Probleme könnten besprochen und geregelt werden. Obwohl diese Berufsbetreuerin ersichtlich ohne Probleme in Kontakt mit dem Betroffenen treten und ein ausführliches Gespräch führen konnte, hat das LG ohne Erwähnung dieses Umstandes die Sinnhaftigkeit eines Betreuerwechsels verneint. Das war rechtsfehlerhaft.
Rz. 21
cc) Anders als das LG meint, steht der Betreuung auch nicht § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB entgegen. Diese Norm lässt die Erforderlichkeit der Betreuung nur bei Vorliegen von konkreten Alternativen entfallen. Daher sind das Vorliegen der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen und die damit einhergehende rechtliche Möglichkeit der Bevollmächtigung nicht ausreichend. Vielmehr muss es auch tatsächlich mindestens eine Person geben, welcher der Betroffene das für eine Vollmachterteilung erforderliche Vertrauen entgegen bringt und die zur Übernahme der anfallenden Aufgaben als Bevollmächtigter bereit und in der Lage ist (BGH, Beschl. v. 23.9.2015 - XII ZB 225/15 - FamRZ 2015, 2049 Rz. 13). Wie die Rechtsbeschwerde mit Recht geltend macht, ist das bei der Mutter des Betroffenen nicht der Fall.
Rz. 22
Eine Vollmacht, die die Mutter zu einem rechtlichen Tätigwerden in dem Umfang ermächtigen würde, in dem es einer Betreuung bedürfte, hat der Betroffene bislang nicht erteilt. Die vom LG angesprochene Vollmacht vom 24.3.2017 bezieht sich allein auf die "Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Organisation der Betreuung" und soll die Mutter ersichtlich lediglich legitimieren, für den Betroffenen gegenüber der Betreuerin und dem Betreuungsgericht tätig zu werden. Die Mutter des Betroffenen hat zudem ausdrücklich gegenüber der Betreuungsbehörde abgelehnt, sich bevollmächtigen zu lassen, und ihrerseits nicht zuletzt durch die (verworfene) Beschwerde gegen die Aufhebung der Betreuung darauf gedrungen, dass ein familienfremder Berufsbetreuer für den Betroffenen tätig wird.
Rz. 23
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen
Haufe-Index 11348974 |
FamRZ 2018, 54 |
FuR 2018, 51 |
NJW-RR 2017, 1474 |
FGPrax 2018, 28 |
BtPrax 2018, 35 |
JZ 2018, 80 |
Rpfleger 2018, 81 |
FF 2018, 42 |
FK 2018, 38 |
NZFam 2017, 1166 |
SR-aktuell 2018, 57 |