Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 07.04.2016; Aktenzeichen 1 U 883/15) |
LG Trier (Entscheidung vom 04.08.2015; Aktenzeichen 11 O 316/13) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Koblenz vom 7.4.2016 zugelassen, soweit darin die Berufung der Klägerin gegen ihre auf die Widerklage erfolgte Verurteilung zur Räumung und Herausgabe sowie zur Zahlung von mehr als 9.971,91 EUR nebst Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 5.271,70 EUR seit dem 5.7.2014 und aus einem Betrag von 4.700,21 EUR seit dem 5.6.2014 zurückgewiesen worden ist.
Auf die Revision der Klägerin wird das vorgenannte Urteil im Kostenpunkt und im Umfang der Zulassung aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.
Wert: 92.558 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin schloss im März 2009 mit der Streithelferin des Beklagten einen gewerblichen Mietvertrag über ein als Club ("Varieté-Theater") genutztes Objekt. In § 5.3 des Vertrags war formularmäßig vorgesehen, dass der Mieter gegenüber Ansprüchen des Vermieters nur mit Gegenansprüchen aufrechnen oder ein Zurückbehaltungsrecht ausüben darf, wenn der Gegenanspruch oder das Zurückbehaltungsrecht vom Vermieter anerkannt oder rechtskräftig festgestellt wurde. Im August 2011 ereignete sich ein Starkregen, in dessen Folge Wasser in die Mieträume eindrang. Die Klägerin macht insb. geltend, dass dadurch Wasserschäden an dem auf dem Fußboden verklebten Teppichboden, an einer Trockenbauwand sowie an einem als Holzkonstruktion errichteten Barpodest entstanden seien. Nachdem weder die Streithelferin noch der Beklagte, der die Immobilie im Jahr 2012 von der Streithelferin erworben hatte, zur Beseitigung der Wasserschäden oder zur Kostenübernahme bereit waren, zahlte die Klägerin zwischen August 2013 und Juli 2014 keine Miete mehr. Der Beklagte kündigte das Mietverhältnis im Februar 2014 fristlos wegen Zahlungsverzugs.
Rz. 2
Die Klägerin hat mit ihrer Klage von dem Beklagten die Kosten für die von ihr veranlassten Reparaturen der Wasserschäden sowie für einen Betriebsausfallschaden in einer Gesamthöhe von 71.724,99 EUR, ggf. unter Verrechnung der nicht gezahlten Mieten geltend gemacht. Das LG hat die Klage abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage des Beklagten zur Räumung und Herausgabe der Mieträume und zur Zahlung von 63.260,40 EUR rückständiger Miete nebst Zinsen verurteilt. Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung hat die Klägerin ihr Zahlungsbegehren noch in einer Höhe von 66.202,50 EUR weiterverfolgt und Abweisung der Widerklage beantragt. Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen.
Rz. 3
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde nur noch gegen ihre Verurteilung zur Räumung und Herausgabe der Mieträume sowie gegen ihre Verpflichtung zur Zahlung rückständiger Miete von mehr als 9.971,91 EUR nebst Zinsen.
II.
Rz. 4
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist begründet. Die zuzulassende Revision führt im Umfang der Anfechtung des Berufungsurteils durch die Klägerin zu dessen Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 544 Abs. 7 ZPO).
Rz. 5
1. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - seine Entscheidung wie folgt begründet: Der Klägerin stünden nicht deswegen Ansprüche zu, weil der Beklagte als Vermieter mit der Beseitigung der von ihm nicht zu vertretenden Wasserschäden in Verzug geraten wäre. Die Pflicht des Vermieters zur Instandhaltung gelte nicht für Einbauten wie Theken, Podeste oder Wandverkleidungen, die der Mieter selbst eingebracht habe. Sie umfasse lediglich Einrichtungen wie Fußböden oder Türen, Fenster und Wände, die zum festen Bestandteil der Mietsache gehörten. Im vorliegenden Fall mache die Klägerin ganz überwiegend Schäden an solchen Einrichtungen geltend, die nicht im Eigentum des Beklagten stünden, sondern für deren Instandhaltung die Klägerin als Eigentümerin selbst verantwortlich sei. Dies ergebe sich aus dem am 20.3.2009 abgeschlossenen Kaufvertrag zwischen der Klägerin und der Vormieterin des Objektes, wonach das gesamte "bewegliche und unbewegliche Inventar" des Clubs für einen Kaufpreis von 70.000 EUR an die Klägerin verkauft worden sei. Gegen die Behauptung der Klägerin, dass die bodenfest verbundenen Gegenstände - insb. das in Form einer Holzkonstruktion aufgebaute Barpodest - nicht mit veräußert worden seien, spreche der eindeutige Wortlaut des Kaufvertrags und der Umstand, dass sich der hohe Kaufpreis von 70.000 EUR allein durch den Verkauf des beweglichen Mobiliars, welches in einem gebrauchten Zustand gewesen sei, nicht schlüssig erklären lasse. Anhaltspunkte für einen möglichen "Anspruch aus § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB" seien daher allein hinsichtlich der zerstörten Fußböden denkbar. Die von der Klägerin eingereichten Abrechnungen und Auflistungen über die im Mietobjekt durchgeführten Sanierungsarbeiten ermöglichten aber wegen fehlender Differenzierung keine Überprüfung, ob der Klägerin zumindest ein Teilbetrag wegen der Erneuerung des Fußbodens zugesprochen werden könne.
Rz. 6
2. Zu Recht beanstandet die Klägerin, dass das Berufungsgericht seine Feststellungen zum Vertragsgegenstand der schriftlichen Vereinbarung vom 20.3.2009 unter Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) getroffen hat.
Rz. 7
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (Senatsbeschlüsse v. 5.10.2016 - XII ZR 130/15 - juris Rz. 10; v. 7.9.2011 - XII ZR 114/10 - GuT 2012, 268 Rz. 9 m.w.N.). Das gilt auch und insb. dann, wenn diese Nichtberücksichtigung auf vorweggenommener tatrichterlicher Beweiswürdigung beruht, also der von einer Partei angebotene Beweis nicht erhoben wird, weil das Gericht dem unter Beweis gestellten Vorbringen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst (BGH Beschl. v. 19.1.2012 - V ZR 141/11, WuM 2012, 164 Rz. 8 m.w.N.).
Rz. 8
b) Das Berufungsgericht hat seine Überzeugung, dass insb. die Trockenbauwand und das aus Holz gefertigte Podest von der Vereinbarung zwischen der Klägerin und der ausscheidenden Mieterin umfasst gewesen seien, aus seinem Verständnis des in der Vertragsurkunde verwendeten Begriffs "unbewegliches Inventar" gewonnen, den das Berufungsgericht für eindeutig hält. Zwar gehört zu den anerkannten Grundsätzen für die - an sich dem Tatrichter vorbehaltene - Auslegung einer Individualvereinbarung, dass der Wortlaut der Vereinbarung den Ausgangspunkt einer Auslegung bildet. Jedoch geht der übereinstimmende Parteiwille dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation vor, selbst wenn er im Inhalt der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat (Senat, Beschl. v. 30.4.2014 - XII ZR 124/12 - juris Rz. 17 m.w.N.; BGH Beschl. v. 11.11.2014 - VIII ZR 302/13, NJW 2015, 409 Rz. 11 m.w.N.). Im Streitfall hat die Klägerin sowohl in erster als auch in zweiter Instanz zu einem abweichenden Verständnis des Kaufvertrags vorgetragen und durch Vernehmung des Zeugen S. unter Beweis gestellt, dass mit "unbeweglichem Inventar" lediglich die Bar und die Theke des Lokals gemeint gewesen sein sollen. Da sich aus der Erhebung des von der Klägerin angebotenen Beweises wesentliche Erkenntnisse für die Auslegung des Kaufvertrags hätten ergeben können, konnte es diesen Beweisantrag nicht unter Hinweis auf einen vermeintlich eindeutigen Vertragswortlaut übergehen, ohne dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör zu verletzen (vgl. Senatsbeschluss v. 30.4.2014 - XII ZR 124/12 - juris Rz. 17; BGH, Urt. v. 15.2.2017 - VIII ZR 284/15, MDR 2017, 597 Rz. 28). Die vom Berufungsgericht zur Stützung seines Auslegungsergebnisses angestellten Erwägungen zum schlüssigen Zusammenhang zwischen der Höhe des Kaufpreises und dem Gegenstand des Kaufvertrags stellen insoweit lediglich eine - unzulässige - vorweggenommene Beweiswürdigung dar, für die es im Übrigen an einer belastbaren tatsächlichen Grundlage fehlt.
Rz. 9
3. Der von der Klägerin gerügte Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich.
Rz. 10
a) Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Erhebung des gebotenen Beweises zu einem abweichenden Verständnis von der Reichweite der Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Vormieter gelangt wäre. Hat der neue Mieter die von dem Vormieter in die Mietsache eingebrachten Einrichtungen (hier insb. den Fußbodenbelag, die in Leichtbauweise errichtete Zwischenwand und das Holzpodest) und das damit verbundene Recht zur Wegnahme dieser Einrichtungen (§ 539 Abs. 2 BGB) nicht im Wege einer Ablösungsvereinbarung übernommen, hängt es von der Auslegung des Mietvertrags zwischen dem Vermieter und dem Nachmieter ab, ob die von dem Vormieter in den Mieträumen zurückgelassenen Einrichtungen als Bestandteile der Mietsache mitvermietet worden sind oder nicht. Ist dies der Fall, wovon jedenfalls bei solchen, fest mit der Mietsache verbundenen Einbauten mangels einer ausdrücklich entgegenstehenden Vereinbarung im Zweifel auszugehen sein dürfte, erstreckt sich die Gebrauchsgewährungspflicht (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB) des Vermieters auch auf diese Einrichtungen. Dann ist es auch nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 536a Abs. 2 Nr. 1 BGB einen Aufwendungsersatzanspruch der Klägerin wegen Verzugs des Beklagten - und/oder der Streithelferin - mit der Beseitigung der streitgegenständlichen Wasserschäden insb. an der Trockenbauwand und dem Holzpodest bejaht hätte.
Rz. 11
b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich - soweit sie angefochten worden ist - auch nicht aus anderen Gründen ganz oder teilweise als richtig. Insbesondere stand der Aufrechnung mit einem etwaigen Aufwendungsersatzanspruch der Klägerin gegen die laufende Miete - was schon das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - das im vorliegenden Mietvertrag formularmäßig vereinbarte Aufrechnungsverbot nicht entgegen. Der Mieter von Geschäftsräumen wird durch eine Formularklausel, die dahingehend ausgelegt werden kann, dass die Möglichkeit der Aufrechnung mit einer unbestrittenen Forderung zusätzlich von deren Anerkennung durch den Vermieter abhängig ist, i.S.v. § 307 BGB unangemessen benachteiligt, so dass die Klausel insgesamt unwirksam ist (vgl. BGH, Urt. v. 27.6.2007 - XII ZR 54/05, NJW 2007, 3421, 3422; vgl. auch BGH, Urt. v. 16.3.2006 - I ZR 65/03 = NJW-RR 2006, 1350, 1351; v. 1.12.1993 - VIII ZR 41/93, NJW 1994, 657 f.).
Fundstellen
Haufe-Index 11348980 |
NJW-RR 2018, 74 |
NZM 2017, 812 |
ZMR 2018, 2 |
ZMR 2018, 208 |