Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 11. Oktober 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von der Erhebung der Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird abgesehen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf die Wertstufe bis 25.000 € (Beklagte zu 1: 23.860,60 €; Beklagter zu 2: 4.063,68 €) festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien streiten um die Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung sowie um die Zahlung von Mietrückständen.
Rz. 2
Der Kläger hat die Beklagten mit der vorliegenden Klage - wie aus dem bei den Akten befindlichen amtsgerichtlichen Urteil hervorgeht - auf Räumung und Herausgabe einer von der Beklagten zu 1 gemieteten Wohnung des Klägers in M. in Anspruch genommen. Ferner hat er von der Beklagten zu 1 die Zahlung rückständiger Miete nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben.
Rz. 3
Gegen dieses ihnen am 15. Dezember 2021 zugestellte Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt.
Rz. 4
Mit Schriftsatz vom 6. April 2022 haben die Beklagten beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern und ihnen "gegen die Versäumung der Frist zur Beantragung der Verlängerung der Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren". Mit weiterem Schriftsatz vom 12. April 2022 haben sie erneut eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Das Berufungsgericht hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 13. April 2022 die Beklagten darauf hingewiesen, dass die Berufungsbegründungsfrist bereits abgelaufen sei und eine Fristverlängerung nicht in Betracht komme.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat nach vorherigem Hinweis die Berufung der Beklagten durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.
Rz. 6
Zur Begründung seiner Entscheidung hat es, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 7
Die Berufung sei bereits unzulässig. Denn sie sei nicht in der Berufungsbegründungsfrist begründet worden (§ 522 Abs. 1, § 520 Abs. 2 ZPO). Das erstinstanzliche Urteil sei den Beklagten am 15. Dezember 2021 zugestellt worden. Den Anträgen auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsätzen vom 6. April 2022 und 12. April 2022 sei nicht stattzugeben gewesen, da die Frist zur Begründung der Berufung - worauf mit Verfügung des Vorsitzenden vom 13. April 2022 hingewiesen worden sei - bei Stellung der Anträge bereits abgelaufen gewesen sei und es keine Vorschrift gebe, die es erlaube, eine bereits abgelaufene Frist zu verlängern.
Rz. 8
Auch die mit Schriftsatz vom 6. April 2022 beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand "gegen die Versäumung der Frist zur Beantragung der Verlängerung der Berufungsbegründung" sei nicht zu gewähren gewesen. Bei dieser Frist handele es sich nicht um eine Notfrist im Sinne von §§ 233, 224 ZPO. Sie sei daher nicht "wiedereinsetzungsfähig".
Rz. 9
Auch in der Sache habe die Berufung keine Erfolgsaussichten.
Rz. 10
Gegen diesen Beschluss wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 11
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, welches erneut über die Zulässigkeit der von den Beklagten eingelegten Berufung und gegebenenfalls über deren Begründetheit zu entscheiden haben wird.
Rz. 12
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO) und auch im Übrigen zulässig.
Rz. 13
a) Das Berufungsgericht hat zwar die Berufung der Beklagten durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Die Statthaftigkeit der von den Beklagten eingelegten Rechtsbeschwerde folgt jedoch - wie der Senat bereits in seinem im vorliegenden Verfahren ergangenen Beschluss vom 18. Juli 2023 (juris Rn. 3 mwN) ausgeführt hat - aus dem Grundsatz der Meistbegünstigung.
Rz. 14
b) Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
Rz. 15
2. Die Rechtsbeschwerde ist zudem begründet. Der angefochtene Beschluss ist wegen eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangels aufzuheben, weil er keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen enthält und das Rechtsbeschwerdegericht deshalb zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22. November 2022 - VIII ZB 28/21, NJW-RR 2023, 208 Rn. 4 mwN).
Rz. 16
a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, grundsätzlich den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand sowie die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. Februar 2023 - VIII ZB 17/22, juris Rn. 17; vom 8. März 2022 - VIII ZB 96/20, NJW-RR 2022, 644 Rn. 14; vom 5. August 2020 - VIII ZB 46/19, juris Rn. 6; jeweils mwN). Die Wiedergabe des Sachverhalts und der Anträge in einem die Berufung nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO verwerfenden Beschluss ist zwar nicht ausnahmslos erforderlich. Der Beschluss kann sich etwa bei der Verwerfung der Berufung wegen nicht gewahrter Berufungsfrist (§ 517 ZPO) oder Begründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) auf die entscheidungserheblichen Umstände beschränken. Die Entscheidung des Berufungsgerichts muss jedoch auch in diesen Fällen jedenfalls die die Verwerfung tragenden Feststellungen enthalten, weil dem Rechtsbeschwerdegericht andernfalls die Überprüfung der Entscheidung nicht möglich ist (BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 2023 - VIII ZB 17/22, aaO; vom 22. November 2022 - VIII ZB 28/21, aaO Rn. 5; vom 8. März 2022 - VIII ZB 96/20, aaO; vom 13. Januar 2016 - XII ZB 605/14, NJW-RR 2016, 320 Rn. 6; jeweils mwN).
Rz. 17
b) Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht. Er lässt zwar infolge seiner Bezugnahme auf den zuvor erlassenen Hinweisbeschluss erkennen, dass die Beklagten die von ihnen eingelegte Berufung nicht innerhalb der mit der Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils am 15. Dezember 2021 beginnenden Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) begründet haben. Der weitere Prozessverlauf wird jedoch nur unzureichend wiedergegeben. Insbesondere geht aus den Ausführungen des Berufungsgerichts nicht hervor, ob und inwieweit die Beklagten ihren Antrag auf Wiedereinsetzung "gegen die Versäumung der Frist zur Beantragung der Verlängerung der Berufungsbegründung" begründet und ob sie die versäumte Prozesshandlung nachgeholt haben.
Rz. 18
Eine rechtliche Überprüfung der von dem Berufungsgericht getroffenen Entscheidung, den Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen und die Berufung als unzulässig zu verwerfen, ist dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht aus diesen Gründen nicht möglich.
Rz. 19
c) Soweit das Berufungsgericht in dem von ihm erlassenen Hinweisbeschluss (hilfsweise) Ausführungen zur Begründetheit der Berufung gemacht hat, gelten diese - wie bereits im vorausgegangenen Senatsbeschluss vom 18. Juli 2023 (VIII ZB 90/22, juris Rn. 9 mwN) dargelegt - bei der hier vorgenommenen Verwerfung der Berufung als unzulässig als nicht geschrieben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. August 2021 - VII ZB 15/21, NJW-RR 2021, 1647 Rn. 9; vom 13. April 2021 - VI ZB 50/19, NJW-RR 2021, 789 Rn. 12; vom 24. März 2021 - XII ZB 430/20, NJW-RR 2021, 721 Rn. 10; jeweils mwN).
III.
Rz. 20
Nach alledem kann die Entscheidung des Berufungsgerichts keinen Bestand haben. Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Gebrauch. Hinsichtlich der von den Beklagten begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird vorsorglich auf Folgendes hingewiesen:
Rz. 21
1. Bei der Prüfung, ob die Beklagten (rechtzeitig) einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die von ihnen versäumte Berufungsbegründungsfrist gestellt haben, wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass bei der Auslegung von prozessualen Erklärungen nicht allein auf deren Wortlaut abzustellen ist; vielmehr ist im Zweifel dasjenige gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2017 - VIII ZR 135/16, NJW-RR 2018, 497 Rn. 16; Senatsbeschlüsse vom 23. August 2016 - VIII ZB 96/15, WM 2016, 1955 Rn. 25; vom 30. Mai 2017 - VIII ZB 15/17, juris Rn. 14; vom 13. Dezember 2022 - VIII ZB 43/22, WuM 2023, 224 Rn. 11). Bei der Auslegung des Antrags der Beklagten, ihnen Wiedereinsetzung "gegen die Versäumung der Frist zur Beantragung der Verlängerung der Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren", wird das Berufungsgericht deshalb zu bedenken haben, dass einem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur stattgegeben werden kann, wenn er vor Ablauf dieser Frist beim Berufungsgericht eingegangen ist (st. Rspr.; vgl. bereits BGH - Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 18. März 1982 - GSZ 1/81, BGHZ 83, 217, 220 f.; ebenso BGH, Beschlüsse vom 29. März 2017 - XII ZB 576/16, NJW-RR 2017, 577 Rn. 7 f.; vom 22. Juni 2021 - VIII ZB 56/20, NJW 2022, 400 Rn. 19; vom 22. November 2022 - VIII ZB 2/22, NJW 2023, 368 Rn. 12; jeweils mwN). Vor diesem Hintergrund dürfte der von den Beklagten gestellte Antrag dahingehend auszulegen sein, dass die Beklagten eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragen wollten. Insofern wird das Berufungsgericht auch eine etwaige Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs und eine eventuell von den Beklagten nachgeholte Berufungsbegründung bei der Auslegung der von den Beklagten abgegebenen Erklärung zu berücksichtigen haben (zur Berücksichtigung der Begleitumstände bei der Auslegung von Prozesserklärungen vgl. Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2022 - VIII ZB 43/22, WuM 2023, 224 Rn. 11).
Rz. 22
2. Darüber hinaus kann ein Wiedereinsetzungsgesuch - worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hingewiesen hat - auch stillschweigend in einem Schriftsatz enthalten sein (vgl. Senatsbeschlüsse vom 5. April 2011 - VIII ZB 81/10, NJW 2011, 1601 Rn. 13; vom 16. Januar 2018 - VIII ZB 61/17, NJW 2018, 1022 Rn. 17; vom 21. Februar 2023 - VIII ZB 17/22, juris Rn. 26; jeweils mwN). Für die Annahme eines solchen konkludent gestellten Wiedereinsetzungsantrags ist es erforderlich, dass der Rechtsmittelführer eine Versäumung der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist zumindest für möglich hält und vorsorglich Ausführungen zu Wiedereinsetzungsgründen macht, mithin zum Ausdruck bringt, das Verfahren trotz verspäteter Einreichung der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift fortsetzen zu wollen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Juni 2019 - XII ZB 432/18, NJW-RR 2019, 1394 Rn. 10; vom 8. März 2022 - VIII ZB 96/20, NJW-RR 2022, 644 Rn. 30, vom 21. Februar 2023 - VIII ZB 17/22, aaO). Auch dies wird das Berufungsgericht bei der erneuten Prüfung des Vorbringens der Beklagten zu beachten haben.
Rz. 23
3. Schließlich wird von dem Berufungsgericht - sollte es auch unter Berücksichtigung der vorstehend genannten Grundsätze zur Verneinung des Vorliegens eines Wiedereinsetzungsgesuchs gelangen - auch zu prüfen sein, ob den Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen (§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO) zu gewähren ist. Eine solche Wiedereinsetzung kommt in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO offenkundig sind oder nach einem erforderlichen gerichtlichen Hinweis offenkundig geworden wären (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. Februar 2023 - VIII ZB 17/22, juris Rn. 29; vom 16. Januar 2018 - VIII ZB 61/17, NJW 2018, 1022 Rn. 19; siehe auch Senatsbeschluss vom 8. März 2022 - VIII ZB 96/20, NJW-RR 2022, 644 Rn. 31).
Dr. Bünger |
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Kosziol |
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Dr. Böhm |
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Fundstellen
Dokument-Index HI16031227 |