Verfahrensgang
LG Krefeld (Urteil vom 23.01.2013) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 23. Januar 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 14 Fällen des Handeltreibens mit Grundstoffen, die zur unerlaubten Herstellung von Betäubungsmitteln verwendet werden sollten, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt sowie eine Verfalls- und eine Kompensationsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen war der Angeklagte selbständig als Handelsvertreter u.a. für rezeptfreie Medikamente tätig. Er vermittelte und organisierte, dass ein in Brüssel ansässiges Unternehmen zwischen dem 15. Juni 2007 und dem 6. Oktober 2008 Ephedrin-Tabletten in 13 Fällen nach Mexiko und in einem Fall nach Belize lieferte. Während die erste und ein geringer Teil der 13. Lieferung aus „legal hergestellt[en]”, „für eine Verwendung als Arzneimittel” bestimmten (UA S. 9), „handelsüblichen” (UA S. 5) 30 mg-Tabletten bestanden, umfassten die übrigen Sendungen 60 mg-Tabletten, die auf entsprechende Nachfrage des Empfängers durch Vermittlung des Angeklagten von dem belgischen Unternehmen ab Juli 2007 produziert wurden. Der Angeklagte erhielt 50 % des jeweiligen Rechnungsbetrages als Provision. Er wollte die Lieferungen so oft und so lange wie möglich fortsetzen und an diesen verdienen. Ihm war schon vor der ersten Sendung bewusst, dass das Ephedrin zur Herstellung von Metamphetamin verwendet und dieses anschließend auf dem amerikanischen Drogenmarkt verkauft werden sollte.
Rz. 3
2. Der Schuldspruch hat keinen Bestand. Die Strafbarkeit nach § 19 Abs. 1 Nr. 1, §§ 3, 1 Nr. 1 GÜG (BGBl. I 2008, S. 306 ff.), § 29 Abs. 1 Nr. 1, §§ 3, 2 Nr. 1 GÜG aF (BGBl. I 2005, S. 2686, 2689 f.) setzt u.a. voraus, dass es sich bei den Ephedrin-Tabletten um Grundstoffe handelt. Dies steht nach den bisherigen Feststellungen nicht fest.
Rz. 4
a) Das deutsche Recht verweist zur Definition des Begriffs „Grundstoff” auf den „erfassten Stoff” im Sinne des Art. 2 Buchst. a in Verbindung mit Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 273/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 und des Art. 2 Buchst. a in Verbindung mit Anhang der Verordnung (EG) Nr. 111/2005 des Rates vom 22. Dezember 2004. Zwar ist Ephedrin in beiden genannten Anhängen grundsätzlich als „erfasster Stoff” aufgeführt. Gleichwohl unterfallen die gehandelten Tabletten der Definition „erfasster Stoff” und damit auch der Definition „Grundstoff” nach der jeweiligen dortigen Ausnahmeregelung nicht, soweit es sich bei ihnen um Arzneimittel im Sinne des Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 handelt (Art. 2 Buchst. a Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 273/2004, Art. 2 Buchst. a Halbsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 111/2005). Der Auffassung des Landgerichts, die jeweilige Ausnahmeregelung greife dann nicht, wenn Arzneimittel derart zusammengesetzt sind, dass der in ihnen enthaltene „erfasste Stoff” leicht und wirtschaftlich extrahiert werden kann, ist nicht zu folgen.
Rz. 5
Hierzu hat der Senat in dieser Sache dem zur Auslegung europarechtlicher Bestimmungen berufenen Gerichtshof der Europäischen Union mit Beschluss vom 22. Oktober 2013 folgende Frage vorgelegt:
„Sind Arzneimittel gemäß der Definition der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, die von den Verordnungen (EG) Nr. 273/2004 und (EG) Nr. 111/2005 erfasste Stoffe enthalten, gemäß dem jeweiligen Art. 2 Buchst. a dieser Verordnungen stets von deren Anwendungsbereich ausgenommen, oder ist dies lediglich dann anzunehmen, wenn die Arzneimittel so zusammengesetzt sind, dass die erfassten Stoffe nicht einfach verwendet oder leicht und wirtschaftlich extrahiert werden können?”
Rz. 6
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Vorlagefrage mit Urteil vom 5. Februar 2015 wie folgt beantwortet:
„Der jeweilige Art. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 273/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 betreffend Drogenausgangsstoffe und der Verordnung (EG) Nr. 111/2005 des Rates vom 22. Dezember 2004 zur Festlegung von Vorschriften für die Überwachung des Handels mit Drogenausgangsstoffen zwischen der Gemeinschaft und Drittländern ist dahin auszulegen, dass ein Arzneimittel im Sinne der Definition von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 geänderten Fassung als solches, selbst wenn es einen in Anhang I der Verordnung Nr. 273/2004 und im Anhang der Verordnung Nr. 111/2005 genannten Stoff enthält, der einfach verwendet oder leicht und wirtschaftlich extrahiert werden kann, nicht als ‚erfasster Stoff’ eingestuft werden kann.”
Rz. 7
b) Da somit anzunehmen ist, dass sämtliche Arzneimittel von den erfassten Stoffen im Sinne der Verordnungen und damit des Grundstoffs im Sinne des § 1 Nr. 1 GÜG bzw. § 2 Nr. 1 GÜG aF ausgenommen sind, kann die Verurteilung des Angeklagten insgesamt keinen Bestand haben. Denn hinsichtlich der 30 mg-Tabletten hat das Landgericht die Arzneimitteleigenschaft ausdrücklich festgestellt, hinsichtlich der 60 mg-Tabletten eine solche jedenfalls nicht auszuschließen vermocht (UA S. 9).
Rz. 8
3. Ein (Teil)Freispruch durch den Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO kam nicht in Betracht. Es ist nicht auszuschließen, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung für alle angeklagten Taten eine Strafbarkeit des Angeklagten ergeben kann.
Rz. 9
a) Hinsichtlich der 60 mg-Tabletten ist eine Strafbarkeit nach dem Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln missbraucht werden können, nicht ausgeschlossen. Von seinem Standpunkt aus konsequent ist das Landgericht der Frage, ob es sich bei diesen Tabletten um Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG handelt, nicht weiter nachgegangen. Dies wird die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer nachzuholen haben. Dabei wird zu beachten sein, dass die Begründung der Arzneimitteleigenschaft eines Stoffes mit dem Argument, dieser sei nach der Verkehrsanschauung (vgl. hierzu und zum europarechtlichen Arzneimittelbegriff insgesamt EuGH, Urteil vom 15. November 2007 – C-319/05, GRUR 2008, 271 mwN) einzelner Kreise dazu bestimmt, den seelischen Zustand in Form eines Rausches zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 – 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243, 251 f.; Beschluss vom 12. April 2011 – 5 StR 463/10, NStZ 2011, 583), vor dem Hintergrund der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht mehr haltbar sein dürfte, wonach die Beeinflussung der physiologischen Funktionen in einer Zuträglichkeit für die menschliche Gesundheit liegen muss (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014 – C 358/13 u.a., NStZ 2014, 461).
Rz. 10
b) Soweit die gelieferten Tabletten Arzneimittel sind, scheidet zwar eine Strafbarkeit nach dem Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln missbraucht werden können, aus. Dann kommt indes ein strafbewehrter Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz in Betracht.
Rz. 11
Dabei kommt es nicht darauf an, dass möglicherweise die zur Tatzeit geltende Definition des Arzneimittelbegriffs in § 2 Abs. 1 AMG weiter reichte als diejenige in Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (aA BT-Drucks. 16/12256, S. 41). Denn das engere gemeinschaftsrechtliche Verständnis, das über § 2 Abs. 1 AMG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990) Eingang in das nationale Recht gefunden hat, wäre jedenfalls das mildere Recht (§ 2 Abs. 3 StGB).
Rz. 12
Nach den bislang getroffenen Feststellungen liegt insbesondere die Annahme eines täterschaftlich begangenen Verstoßes gegen § 96 Nr. 14 AMG wegen Betreibens eines Großhandels ohne die erforderliche Erlaubnis nicht fern. Der Angeklagte handelte gewerbsmäßig. Auch das Vermitteln von Handelsgeschäften, die auf die Beschaffung, Lagerung oder Ausfuhr von Arzneimitteln gerichtet sind, kann Großhandel im Sinne der Legaldefinition des § 4 Abs. 22 AMG sein (vgl. Stumpf in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, § 52a Rn. 10; Weber, BtMG, 4. Aufl., § 4 AMG Rn. 85). Demgegenüber war das Tätigwerden als Arzneimittelvermittler ohne Erlaubnis (heute § 96 Nr. 14a AMG) zur Tatzeit noch nicht strafbewehrt.
Rz. 13
Soweit der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AMG in Betracht gezogen hat, ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Abgabe um einen Unterfall des Inverkehrbringens (§ 4 Abs. 17 AMG) handelt und beide Handlungsformen echte Sonderdelikte darstellen (Weber aaO, § 4 AMG Rn. 56 ff.; § 95 AMG Rn. 58 ff., 301; Horn, NJW 1977, 2329, 2334). Täter kann demnach nur sein, wer die eigene tatsächliche Verfügungsgewalt über ein Arzneimittel überträgt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 14. Februar 1985 – 2 Ss OWi 15/85, NJW 1985, 2206; siehe auch BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2006 – 3 StR 381/06, juris). An einer solchen tatsächlichen Verfügungsgewalt des Angeklagten fehlt es jedoch nach den bisherigen Feststellungen, so dass allenfalls eine Beihilfestrafbarkeit in Betracht käme. Deshalb bedürfte es der Feststellung einer vorsätzlichen Haupttat durch Mitarbeiter des belgischen Unternehmens, wobei sich über § 9 Abs. 2 Satz 2 StGB hinaus weitere grundsätzliche Fragen zur Anwendbarkeit deutschen Rechts auf diese Auslandstat stellen würden (vgl. nur SK-StGB/Hoyer, 26. Lfg., § 9 Rn. 12 f.). Mit Blick auf den nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB geminderten Unrechtsgehalt sowie den Rechtsgedanken des § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO könnte sich insoweit ein Vorgehen nach § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO empfehlen.
Rz. 14
c) Schließlich ist nicht ausgeschlossen, dass der neue Tatrichter weitergehende Feststellungen wird treffen können, die eine Verurteilung nach dem Betäubungsmittelgesetz tragen könnten. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts zur Notwendigkeit der Konkretisierung einer zumindest versuchten Haupttat Bezug.
Unterschriften
Becker, Pfister, Hubert, Schäfer, Spaniol
Fundstellen
Haufe-Index 8765719 |
NStZ-RR 2016, 346 |
NStZ-RR 2016, 5 |
PharmaR 2016, 40 |
StV 2017, 326 |