Verfahrensgang

OLG Nürnberg (Beschluss vom 29.06.2021; Aktenzeichen 10 UF 617/21)

AG Straubing (Entscheidung vom 19.05.2021; Aktenzeichen 2 F 366/21)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluss des 10. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des OLG Nürnberg vom 29.6.2021 werden auf Kosten des weiteren Beteiligten zurückgewiesen.

Wert: 4.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Beteiligte hat mit Schreiben vom 8.5.2021 beim FamG darum nachgesucht, ein Verfahren nach § 1666 BGB zu eröffnen und gegenüber den Lehrkräften und der Schulleitung der von seiner seinerzeit 9-jährigen Tochter besuchten Grundschule anzuordnen, die schulintern getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), insb. die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Abstandsgebote und gesundheitliche Testungen, vorläufig auszusetzen.

Rz. 2

Das FamG hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren eingestellt, da es nicht an das VG verwiesen werden könne. Das OLG hat die sofortige Beschwerde des Beteiligten zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die zugelassenen Rechtsbeschwerden des betroffenen Kindes und des Beteiligten.

II.

Rz. 3

Die nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statthaften Rechtsbeschwerden haben keinen Erfolg.

Rz. 4

1. Das OLG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Eröffnet sei allein der Rechtsweg zu den VG. Denn der Sache nach greife der Vater Anordnungen der Schulleitung und die zugrunde liegenden Bestimmungen der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5.3.2021 (BayMBl. Nr. 171) sowie § 28a des Infektionsschutzgesetzes an. Die Streitigkeit betreffe daher das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, hier in Gestalt der Schulverwaltung, und sei somit öffentlich-rechtlicher Natur.

Rz. 5

Eine spezialgesetzliche Zuweisung zu einem anderen Gericht (§ 40 Abs. 1 Halbs. 2 VwGO) liege nicht vor. Dem FamG komme auch nach § 1666 Abs. 4 BGB keine Anordnungskompetenz gegenüber Behörden, Regierungen und sonstigen Trägern staatlicher Gewalt zu. Behördliches, hoheitliches Verhalten sei ausschließlich durch die VG zu kontrollieren.

Rz. 6

2. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung stand (vgl. auch BGH vom 6.10.2021 - XII ARZ 35/21 - juris).

Rz. 7

a) Zu Recht hat das OLG den eigenen Rechtsweg gem. § 17a Abs. 2 GVG für unzulässig erklärt. Es hat das an das FamG gerichtete Schreiben des Beteiligten vom 8.5.2021 in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dahin ausgelegt, dass gegen die Schule gerichtete Unterlassungsverlangen durchgesetzt werden sollen. Über derartige Unterlassungsansprüche hätten gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO die VG zu entscheiden. Sie betreffen das Schulverhältnis als Rechtsverhältnis zwischen dem Schüler und einer öffentlichen, von einer Gebietskörperschaft getragenen Schule, deren Handeln in inneren Schulangelegenheiten einschließlich der Schulordnungsmaßnahmen der öffentlichen Gewalt zugerechnet wird (BVerwG NJW 2021, 2600 Rz. 7). Davon erfasst werden auch von der Schule angeordnete Infektionsschutzmaßnahmen (BVerwG NJW 2021, 2600 Rz. 7; OLG Jena FamRZ 2021, 1043, 1047 f.; OLG Bamberg FamRZ 2021, 1539, 1540; OLG Brandenburg Beschl. v. 27.7.2021 - 13 UF 80/21 - juris Rz. 10; OLG München FamRZ 2021, 1538, 1539; BeckOK VwGO/ [Stand: 1.4.2021] § 40 Rz. 71a; vgl. auch Senat, Beschl. v. 12.5.2021 - XII ZB 34/21, FamRZ 2021, 1402 Rz. 13 zur verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit für die Untersagung von Maßnahmen des Jugendamts).

Rz. 8

Eine daneben parallel bestehende Regelungskompetenz auf Grundlage des § 1666 BGB ist den FamG nicht eröffnet. Diese Vorschrift ermöglicht es den Gerichten in erster Linie, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Personensorgeberechtigten zur Einhaltung ihrer Schutzpflichten gegenüber dem Kind anzuhalten (vgl. BT-Drucks. 16/6815, 14 f.); als ultima ratio kommt hierbei die Entziehung der elterlichen Sorge in Betracht (§ 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB). Zwar kann in besonders gelagerten Fällen bei Angelegenheiten der Personensorge auch eine Maßnahme gegen einen Dritten erfolgen (§ 1666 Abs. 4 BGB), wenn von dessen Verhalten eine Gefahr für das Kindeswohl ausgeht. Eine Befugnis des FamG zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber Behörden ist damit aber nicht verbunden. Denn Dritte im Sinne der Vorschrift sind nicht Behörden und sonstige Träger der öffentlichen Gewalt. Auf Grundlage des § 1666 BGB können die FamG auch die Jugendämter nicht zur Unterlassung von Maßnahmen der Jugendhilfe wie etwa einer Inobhutnahme verpflichten (Senat, Beschl. v. 12.5.2021 - XII ZB 34/21, FamRZ 2021, 1402 Rz. 13 m.w.N.; vgl. auch BVerwG FamRZ 2002, 668 f.). Umso weniger sind sie befugt, andere staatliche Stellen in ihrem Tun oder Unterlassen anzuweisen. Dies würde nämlich einen Eingriff in das Gewaltenteilungsprinzip bedeuten (OLG Jena FamRZ 2021, 1043, 1048; MünchKomm/BGB/ 8. Aufl., § 1666 Rz. 181; Familienrecht 7. Aufl., § 1666a BGB Rz. 17; FamRZ 2008, 562, 563), für den es an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt. Insbesondere legitimieren die §§ 1666, 1666a BGB i.V.m. dem staatlichen Wächteramt einen solchen Eingriff nicht. Im Rahmen des schulischen Sonderrechtsverhältnisses sind die zuständigen Behörden ihrerseits an die das Kindeswohl schützenden Grundrechte gebunden. Die gerichtliche Kontrolle dieses Behördenhandelns - auch hinsichtlich Infektionsschutzmaßnahmen in den jeweiligen Schulen - obliegt hierbei allein den VG; insoweit haben auch die §§ 23b GVG, 111 Nr. 2, 151 Nr. 1 FamFG nicht die Bedeutung einer abdrängenden Sonderzuweisung i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Rz. 9

b) Ebenfalls zu Recht hat das OLG keine Verweisung an das VG ausgesprochen.

Rz. 10

Zwar ist auch im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Verweisung auf einen anderen Rechtsweg nicht generell ausgeschlossen. So kam beispielsweise die Verweisung einer beim allgemeinen Zivilgericht anhängig gewordenen Klage an das für Wohnungseigentumssachen zuständige Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Betracht, weil das für Wohnungseigentumssachen als sog. echte Streitsache ausgestaltete Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ähnlichen Verfahrensgrundsätzen folgte (vgl. BGH Beschl. v. 13.10.1983 - I ARZ 408/83 NJW 1984, 740). Umgekehrt kann ein beim Gericht für Notarsachen (§ 111 BNotO) anhängig gemachtes Verfahren, das als ein streitiges Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzusehen ist, an die Zivilgerichte verwiesen werden (BGHZ 115, 275 = MDR 1992, 185). Auch konnte ein Zuständigkeitsstreit zwischen dem für Kindschaftssachen zuständigen FamG und dem für Vormundschaftssachen zuständigen Gericht der allgemeinen freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Verweisung gelöst werden (BGH BGHZ 78, 108 = FamRZ 1980, 1107).

Rz. 11

Die Vorschrift des § 17a GVG ist jedoch einschränkend dahin auszulegen, dass eine Verweisung von Amts wegen betriebener Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit mangels "Beschreitung eines Rechtswegs" durch einen Antragsteller oder Kläger nicht in Betracht kommt, sondern diese bei fehlender Zuständigkeit einzustellen sind (BVerwG NJW 2021, 2600 Rz. 11; OLG Karlsruhe NJW 2021, 2054; OLG Frankfurt FamRZ 2021, 1383, 1384; OLG Jena FamRZ 2021, 1043, 1048; OLG Brandenburg Beschl. v. 27.7.2021 - 13 UF 80/21 - juris Rz. 5, 10 f.; vgl. auch OLG Köln Beschl. v. 12.7.2021 - 14 UF 90/21 - juris Rz. 10 f.). Aufgrund der Eingabe des Beteiligten vom 8. Mai 2021 hätte beim FamG kein kontradiktorischen Regeln folgendes Antragsverfahren eröffnet werden können, das einer Verweisung an das VG zugänglich gewesen wäre (vgl. BVerwG NJW 2021, 2600 Rz. 11 f.), sondern allenfalls ein Verfahren von Amts wegen. Ein Verfahren von Amts wegen mit dem Ziel der Aufhebung schulischer Anordnungen ist der Verwaltungsgerichtsbarkeit jedoch wesensfremd.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14955390

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