Leitsatz (amtlich)
Der Montanmitbestimmung unterliegen nach § 1 Abs. 1 b Montan-MitbestG auch solche Unternehmen, die im AHK-GO setz Nr. 27 nicht namentlich aufgeführt sind, weil sie erst später gegründet wurden, die aber dieselben sachlichen Merkmale wie die dort genannten Unternehmen aufweisen.
Normenkette
Montan-MitbestG § 1 Abs. 1b
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Beschluss vom 13.06.1980) |
OLG Düsseldorf |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2 b, d, f bis h, 1, 4, 5 und 6 wird der Beschluß der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 13. Juni 1980 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Erörterung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I. Die B. Aktiengesellschaft ist ein Unternehmen, dessen Gegenstand unter anderem in der Erzeugung und Verarbeitung von Stahl – besonders Edelstahl –, Eisen und anderen Werkstoffen besteht. Sie ist als deutsche Aktiengesellschaft nach Inkrafttreten des Montan-Mitbestimmungsgesetzes von 1951 im Jahre 1960 gegründet worden. Vorher war sie eine Betriebsstätte der Gebr. B. und Co. Aktiengesellschaft (heute: Vereinigte Edelstahlwerke Aktiengesellschaft) in W.. Der Aufsichtsrat setzt sich aufgrund von Vereinbarungen zwischen ihr und ihrer Muttergesellschaft einerseits, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Industriegewerkschaft-Metall andererseits aus sieben von der Hauptversammlung gewählten Vertretern der Anteilseigner, fünf vom Betriebsrat gewählten Arbeitnehmervertretern (drei von ihnen aus der Belegschaft, zwei von den Gewerkschaften vorgeschlagen) und zwei weiteren, auf Vorschlag der Gewerkschaften von der Hauptversammlung gewählten Arbeitnehmervertretern sowie einem nach Abstimmung mit den Gewerkschaften durch die Hauptversammlung bestellten neutralen Mitglied zusammen.
Der Vorstand der B. AG hat nach § 98 AktG eine gerichtliche Entscheidung darüber beantragt, ob auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats die Vorschriften des Montan-MitbestG oder die des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 anzuwenden sind.
Das Landgericht hat festgestellt, daß für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats das MitbestG 1976 maßgebend sei. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der IG-Metall, des Deutschen Gewerkschaftsbundes, des Betriebsrats und der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer. Das Oberlandesgericht (Beschl. v. 24.8.1982, ZIP 1982, 1207) vertritt entgegen dem Landgericht den Standpunkt, auf die Gesellschaft sei das Montan-MitbestG anzuwenden. An einer solchen Entscheidung sieht es sich aber durch einen Beschluß des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 7. Juli 1976 (OLGZ 77, 19 = DB 1976, 1871 mit krit. Anm. Wiesner, AuR 1978, 73) gehindert, das die gegenteilige Ansicht vertritt. Deshalb hat es die Sache gemäß § 99 Abs. 1 i.V.m. § 28 Abs. 2 und 3 FGG dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II. § 1 Abs. 1 Montan-MitbestG lautet:
„Die Arbeitnehmer haben ein Mitbestimmungsrecht in den Aufsichtsräten und in den zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organen nach Maßgabe dieses Gesetzes in
- den Unternehmen, deren überwiegender Betriebszweck in der Förderung von Steinkohle, Braunkohle oder Eisenerz oder in der Aufbereitung, Verkokung, Verschwelung oder Brikettierung dieser Grundstoffe liegt und deren Betrieb unter der Aufsicht der Bergbehörden steht,
- den Unternehmen der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie in dem Umfang, wie er im Gesetz Nr. 27 der Alliierten Hohen Kommission vom 16. Mai 1950 (Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland S. 299) bezeichnet ist, soweit diese Unternehmen in „Einheitsgesellschaften” im Sinne des Gesetzes Nr. 27 überführt oder in anderer Form weiterbetrieben und nicht liquidiert werden,
- den Unternehmen, die sich von einem vorstehend bezeichneten oder nach Gesetz Nr. 27 der Alliierten Hohen Kommission zu liquidierenden Unternehmen abhängig sind, wenn sie die Voraussetzungen nach Buchstabe a erfüllen oder überwiegend Eisen oder Stahl erzeugen.”
Die Entscheidung über die dem Senat vorgelegte Frage hängt davon ab, ob nach dem Buchstaben b dieser Bestimmung nur diejenigen Unternehmen der Montan-Mitbestimmung unterliegen, die im AHK-Gesetz Nr. 27 einzeln aufgeführt sind, oder ob die Verweisung auf das Gesetz Nr. 27, wie die Beschwerdeführer meinen, nur als „zeitbedingter Definitionsersatz” zu verstehen ist, das heißt auch solche Unternehmen erfaßt, die, wie die Böhler AG, erst später gegründet wurden, aber sachlich die Merkmale der im Gesetz Nr. 27 verzeichneten Gesellschaften aufweisen.
1. Es ist nicht zu verkennen, daß der Wortlaut des § 1 Abs. 1 b Montan-MitbestG, der im Gegensatz zu dem des Buchstaben a keine unmittelbare Definition gibt, eher auf eine abschließende Aufzählung hinweist. Immerhin schließt er auch die gegenteilige Deutung nicht aus, zumal wenn man ihn mit der ursprünglichen Fassung des Regierungsentwurfs (BTDrucks. I 1858) vergleicht („den Unternehmen der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie, deren Neuordnung durch Bildung einer ‚Einheitsgesellschaft’ aufgrund des Gesetzes Nr. 27 oder durch eine an deren Stelle tretende andere Lösung erfolgt oder erfolgt ist”); die Worte „in dem Umfang, wie er … bezeichnet” könnte auch quantitativ verstanden werden, so wie § 1 Abs. 1 c Montan-MitbestG bei den abhängigen Unternehmen ebenfalls auf den Unternehmenszweck abstellt. Dafür spricht, daß die Vorschrift die unter das Gesetz fallenden Unternehmen jedenfalls insofern ohnehin nicht abschließend bezeichnet, als nach zutreffender, weil allein zu sinnvollen Ergebnissen führender Auffassung die Montan-Mitbestimmung nicht für Unternehmen gilt, die zwar im Gesetz Nr. 27 aufgeführt sind, aber nicht oder nicht mehr zur Eisen und Stahl erzeugenden Industrie zu rechnen sind (Mertens in Kölner Komm. z. AktG, Anh. § 96 Anm. 117; Kötter, NJW 1954, 236, 237 und Mitbestimmungsrecht, 1952, § 1 Anm. 12, 13; Reinhardt in Festschr. f. Nipperdey, 1965, S. 517, 527 m.w.N. S. 523). So bestimmen auch § 1 Abs. 3 Montan-MitbestG und § 16 Abs. 2 des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes, jeweils in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 21. Mai 1981 (BGBl I 441), daß ein vom Gesetz betroffenes Unternehmen nicht mehr der Montanmitbestimmung unterliegt, wenn die Voraussetzungen hierfür in sechs aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren entfallen sind (vgl. ferner §§ 1 und 2 des Mitbestimmungs-Sicherungsgesetzes vom 29.11.1971, BGBl. I 1857). Es liegt nahe, den umgekehrten Fall, ein im Gesetz Nr. 27 nicht genanntes Unternehmen, das erst nach Inkrafttreten dieses Gesetzes in die Eisen und Stahl erzeugende Industrie hineingewachsen ist, entsprechend zu behandeln, also ein solches Unternehmen der Montanmitbestimmung zu unterwerfen.
2. Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, wie sie im Vorlagebeschluß näher dargestellt ist, läßt sich ein klarer Hinweis darauf, ob § 1 Abs. 1 b ein formales oder ein sachliches Abgrenzungsmerkmal aufstellt, nicht entnehmen. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die parlamentarischen Beratungen zu einer Zeit stattfanden, als die im Gesetz Nr. 27 vorgesehenen Einheitsgesellschaften noch nicht gebildet waren und die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten annehmen konnten, das Gesetz Nr. 27 erfasse für absehbare Zeit die gesamte von größeren Unternehmen getragene und in den Rechtsformen des § 1 Abs. 2 Montan-MitbestG betriebene westdeutsche eisenschaffende Industrie, so daß sich die Notwendigkeit einer generellen Umschreibung nicht ohne weiteres aufdrängte. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die im Vorlagebeschluß wiedergegebenen Äußerungen, so läßt sich die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, daß die Bezugnahme auf das Gesetz Nr. 27 nur gewählt wurde, weil man auf diese Weise Abgrenzungsprobleme am besten zu bewältigen meinte, ohne damit andere, sachlich ebenfalls zur Eisen und Stahl erzeugenden Industrie gehörige Unternehmen von der Anwendung des Gesetzes von vornherein ausschließen zu wollen (Reinhardt, aaO, S. 521 f, 526; Wiesner, aaO, S. 75).
3. Schon seit 1945 wurde mit Zustimmung der britischen Militärregierung in den entflochtenen Werken der Eisen- und Stahlindustrie die paritätische Mitbestimmung praktiziert. Dieser Rechtszustand fand Eingang in die „Richtlinien über die Mitbestimmung in der Kohle und Stahl schaffenden Industrie” vom 27. September 1951, die das Ergebnis im Januar 1951 unter Beteiligung des Bundeskanzlers, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und von Sachverständigen geführter Verhandlungen niederlegten. Anlaß hierfür war eine Streikdrohung der Gewerkschaften, die das in der Praxis – im Widerspruch zum geltenden Aktienrecht – schon Erreichte in Frage gestellt sah. Die Richtlinien bildeten dann die Grundlage für den kurze Zeit später eingebrachten Gesetzesentwurf. Der Zweck dieser Vorlage aber erschöpfte sich nicht in der Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes, der nur in einem Teilbereich der aufgezählten Unternehmen und vor allem noch nicht im Bergbau verwirklicht war. Ziel der von den Gewerkschaften angestrebten Regelung war die Einführung einer möglichst weitgehenden, jedenfalls aber für den gesamten Bereich der Grundstoffindustrie von einer bestimmten Größenordnung an geltenden Mitbestimmung. Dazu führte der damalige Bundeskanzler Dr. Adenauer am 14. Februar 1951 vor dem Deutschen Bundestag aus (Sten. Bericht über die 117. Sitzung S. 4431 B, 4432 A), der Gesetzentwurf solle die Vertretung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten „für einen Teil der Industrie, für die Kohlenindustrie und die eisenschaffende Industrie” regeln. Der damit – in Übereinstimmung mit der Gesetzesüberschrift – generell umschriebenen Zielrichtung wäre eine Regelung nur für die im Gesetz Nr. 27 namentlich genannten Unternehmen nicht gerecht geworden.
4. Entscheidend kommt hinzu, daß sich einleuchtende sachliche Gründe dafür, warum die paritätische Mitbestimmung in der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie, anders als im Bergbau, auf die im Gesetz Nr. 27 aufgeführten Unternehmen begrenzt bleiben und nicht auch für später gegründete Unternehmen mit sonst gleichen Merkmalen gelten sollte, nicht finden lassen. Eine solche Einzelfallregelung erschiene willkürlich und müßte daher unter dem Gesichtspunkt der gleichmäßigen Behandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) auch auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen (vgl. BVerfGE 25, 371, 399). Sie liefe darauf hinaus, daß die Zusammensetzung des Aufsichtsrats mehr oder minder von dem zufälligen Zeitpunkt der Gründung des Unternehmens abhinge. Das wäre sachlich nicht zu rechtfertigen.
Das Landgericht hat zwar gemeint, einen ausreichenden Grund für eine solche unterschiedliche Regelung darin finden zu können, daß die Gewerkschaften auf einer gesetzlichen Sicherung der im Zuge der Entflechtungsmaßnahmen bereits erworbenen Mitbestimmungsrechte bestanden hätten und der Gesetzgeber ihnen nicht mehr zugestehen wollte, als zur Abwendung des angedrohten Streiks unbedingt geboten gewesen sei. Das wäre aber kein sachlicher Gesichtspunkt, der eine unterschiedliche Behandlung der im Gesetz Nr. 27 aufgeführten und der erst später errichteten Unternehmen rechtfertigen könnte. Hatte sich der Gesetzgeber, wenn auch unter Druck, einmal dazu entschlossen, die paritätische Mitbestimmung in der Grundstoffindustrie gesetzlich zu verankern, so mußte er darauf bedacht sein, sie einheitlich auf alle Unternehmen zu erstrecken, bei denen die sachlichen Voraussetzungen hierfür vorlagen. Die vom vorlegenden Gericht vertretene Auslegung ist daher mindestens verfassungsnäher als die Gegenmeinung, wenn nicht sogar verfassungsrechtlich geboten.
5. Zutreffend weist das vorlegende Gericht schließlich darauf hin, daß nicht nur die Praxis, sondern auch die spätere Gesetzgebung von der Vorstellung ausgegangen ist, die von § 1 Abs. 1 b Montan-MitbestG erfaßten Unternehmen seien nach sachlichen Merkmalen und nicht nach dem formalen Gesichtspunkt ihrer Aufnahme in den Katalog des Gesetzes Nr. 27 abzugrenzen. So stellt es der schon erwähnte § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes für die weitere Geltung der Montanmitbestimmung auf den Fortbestand der sachlichen Voraussetzungen der §§ 2, 3 – überwiegender Betriebszweck – ab. Ebenso verhält es sich mit § 1 Abs. 2 Satz 2 des bis zum 31. Dezember 1975 befristeten Mitbestimmungs-Sicherungsgesetzes vom 29. November 1971 (BGBl I 1857). Im Saarland, für dessen Unternehmen das Gesetz Nr. 27 nicht galt, wurde die Montanmitbestimmung erst durch das Gesetz Nr. 560 vom 22. Dezember 1956 (ABl S. 1703) eingeführt. Es umschreibt in § 1 Abs. 1 b die von ihm betroffenen Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie wiederum nach sachlichen Kriterien, nämlich danach, ob ihr überwiegender Betriebszweck in der Erzeugung von Eisen und Stahl besteht. Diese Regelung hat das Gesetz zur Einführung von Bundesrecht im Saarland vom 30. Juni 1959 (BGBl I 313) unverändert aufrechterhalten (§ 2 IV Nr. 7). Wollte man demgegenüber den Anwendungsbereich des Montanmitbestimmungsgesetzes nicht nach der sachlichen Struktur des Unternehmens, sondern nach dem formalen Gesichtspunkt seiner Aufnahme in das Gesetz Nr. 27 bestimmen, so hätte dies eine unterschiedliche Behandlung gleichartiger Unternehmen nicht nur nach dem Zeitpunkt ihrer Errichtung, sondern obendrein auch nach ihrem Standort zur Folge, die unter keinem Gesichtspunkt vertretbar wäre.
6. Der angefochtene Beschluß kann daher nicht aufrechterhalten bleiben. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Böhler AG sachlich die Anforderungen erfüllt, von denen § 1 Abs. 1 b Montan-MitbestG mit seiner nur beispielhaft zu verstehenden Verweisung auf die im Gesetz Nr. 27 aufgezählten Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie ausgeht. Die Sache ist daher an das Landgericht zurückzuverweisen, damit es die hierzu notwendigen Feststellungen nachholt.
Geschäftswert: 100.000,– DM
Unterschriften
Stimpel, Dr. Schulze, Fleck, Dr. Bauer, Brandes
Fundstellen
Haufe-Index 1502353 |
BGHZ |
BGHZ, 52 |
NJW 1983, 1617 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1983, 566 |