Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 28.08.2024; Aktenzeichen 2 StR 69/24) |
LG Köln (Entscheidung vom 08.09.2023; Aktenzeichen 120 Ks 8/23) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 8. September 2023 im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
I.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer entwickelte sich zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten am 20. November 2022 ein mit gegenseitigen Beleidigungen einhergehender Streit. Im Verlauf der Auseinandersetzung zog der Geschädigte aus seiner Jackentasche ein Messer hervor und bedrohte den Angeklagten damit. Dieser konnte dem Geschädigten das Messer entreißen, woraufhin beide begannen, sich gegenseitig zu schlagen und miteinander zu ringen. Dem Geschädigten gelang es, sich auf den zu Boden gegangenen Angeklagten zu setzen und ihn zu würgen. Daraufhin stach der Angeklagte dem Geschädigten mit dem ergriffenen Messer leicht in die seitliche Bauchregion, um den Würgegriff abzuwehren, was ihm auch gelang. Der Geschädigte ließ danach vom Angeklagten ab; dies erkannte auch der Angeklagte. Dennoch begann der Angeklagte nunmehr mit dem Messer auf den Geschädigten einzustechen, wobei er ihm mindestens 96 Stichverletzungen zufügte, an denen der Geschädigte verstarb.
Rz. 3
2. Die Strafkammer hat das Geschehen als Totschlag gemäß § 212 StGB gewertet. Das Vorliegen eines minder schweren Falles nach § 213 StGB hat sie mit der Begründung abgelehnt, dass der Geschädigte den Angeklagten bereits nicht misshandelt oder schwer beleidigt habe. Insoweit hat die Strafkammer maßgeblich darauf abgestellt, dass es schon in der Vergangenheit zu Beleidigungen und Drohungen durch den Geschädigten gekommen sei. Selbst wenn das Ziehen des Messers durch den Geschädigten und das Würgen eine Misshandlung im Sinne des § 213 StGB darstellten, sei der Angeklagte - so die Wertung der Strafkammer - nicht auf der Stelle zur Tat hingerissen gewesen, da es nach der ersten Verteidigungshandlung eine Unterbrechung gegeben und der Angeklagte erst danach die tödlichen Stiche ausgeführt habe.
II.
Rz. 4
Die Revision erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
Rz. 5
1. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
Rz. 6
2. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Rz. 7
3. Der Strafausspruch hält demgegenüber rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit die Strafkammer das Vorliegen eines minder schweren Falles nach § 213 StGB abgelehnt hat.
Rz. 8
Die Bedrohung mit dem Messer und das anschließende Würgen durch den Geschädigten erfüllen - wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat - die Voraussetzungen einer Misshandlung im Sinne des § 213 StGB. Zur Annahme der Strafkammer, der Angeklagte sei nicht auf der Stelle zur Tat hingerissen gewesen, hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:
„Diese rechtliche Bewertung ist rechtsfehlerhaft, zumal sie erkennbar dem körperlichen Angriff in Form des zweifachen Würgens eine eher beiläufige Bedeutung beimisst und das Schwergewicht auf den ‚durch die Kränkung hervorgerufenen Zorn‘ legt, womit offensichtlich die Beleidigungen gemeint sind. Die von der Strafkammer angenommene Unterbrechung vermag das Geschehen nicht ohne Weiteres in eine - den zunächst maßvollen Messereinsatz rechtfertigende - Verteidigung gegen den nicht ausschließbar die tätliche Auseinandersetzung suchenden, mit gezücktem Messer drohenden und den Angeklagten zweifach würgenden Geschädigten einerseits und die nicht mehr gerechtfertigten zahlreichen Stiche gegen den überwundenen Kontrahenten andererseits aufzuspalten, soweit es nicht um die Beendigung der Notwehrlage, sondern um die Fortwirkung des durch die Provokation nicht ausschließbar erzeugten Erregungszustands im Sinne des § 213 StGB geht. Aus den Feststellungen ergibt sich auch und gerade unter Berücksichtigung der dafür in den Urteilsgründen angeführten Einlassungen des Angeklagten keine Unterbrechung, die nach ihrer Dauer oder sonstigen Umständen als eine für die Fortdauer der provokationsbedingten Erregung relevante Geschehenszäsur zu bewerten wäre. Dass der Angeklagte erkannt hatte, dass der Geschädigte nicht mehr kampfwillig oder kampfbereit war, begründet das Ende der Notwehrlage und damit den Schuldspruch, schließt jedoch die strafzumessungsrelevanten Folgen einer anhaltenden Wirkung der Tatprovokation nicht ohne Weiteres aus. Der Umstand, dass der Täter zunächst Notwehr geübt hatte, hindert nicht die Anwendung der Provokationsalternative, wenn er nicht nur aus Angst, sondern auch aus spontanem Zorn über den Angriff des Opfers dieses nach Beendigung der Notwehr tötet (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2001 - 5 StR 579/00 -, juris Rn. 12; Schneider, aaO, Rn. 30); daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass mit der Beendigung der Notwehrlage auch eine Fortdauer der Wirkung der Provokation auszuschließen ist.“
Rz. 9
Dem verschließt sich der Senat nicht.
Rz. 10
4. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Feststellungen können bestehen bleiben, da hinsichtlich der aufgezeigten Mängel lediglich ein Wertungsfehler vorliegt, der die Feststellungen nicht betrifft (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen, sind möglich.
Rz. 11
Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird sich auch mit der Frage zu befassen haben, ob der Angeklagte tatsächlich aufgrund der Misshandlungen durch den Geschädigten im Sinne des § 213 StGB zum Zorn gereizt war. Dies lässt sich den Urteilsgründen bisher nicht eindeutig entnehmen.
Menges Zeng Meyberg
Zimmermann Herold
Fundstellen
Dokument-Index HI16668668 |