Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 20.10.1994; Aktenzeichen 7 U 68/94)

 

Gründe

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 554 b ZPO). Die Revision hat im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg (BVerfGE 54, 277).

1. Aufgrund der Rechtskraft des Berufungsurteils des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 26.02.92 im verwaltungsgerichtlichen Vorprozeß steht auch im Rahmen des vorliegenden Zivilverfahrens fest, daß die Beklagte verpflichtet war, der Klägerin bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre im Bereich des Bebauungsplans Nr. 18.1 F die mit Antrag vom 10.08.87 beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Damit wird der Beklagten insbesondere der Einwand abgeschnitten, die Baugenehmigungsbehörde sei nach § 15 BauGB berechtigt gewesen, die Entscheidung über den Baugenehmigungsantrag bis zu zwölf Monaten auszusetzen. Dabei bedarf es im Rahmen der Prüfung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Amtspflichtverletzung keiner Klärung der im Berufungsurteil aufgeworfenen Fragen, ob der Ratsbeschluß vom 29.10.85 (veröffentlicht am 22.04.86) überhaupt geeignet war, eine Rechtsgrundlage für die Zurückstellung der Entscheidung zu bilden und ob die formellen Voraussetzungen über eine Zurückstellung erfüllt waren. Gegen den Einwand der Beklagten, sie hätte von dem Instrumentarium des § 15 BauGB Gebrauch machen können, greift jedenfalls die Erwägung des Berufungsgerichts durch, daß diesem Einwand die Bindungswirkung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts entgegensteht. Denn das diesbezügliche Vorbringen läuft in der Tat im Ergebnis darauf hinaus, daß eine Verpflichtung zur Erteilung der Baugenehmigung objektiv nicht bestanden habe. Das Gegenteil ergibt sich indessen aus der rechtskräftigen Feststellung des Oberverwaltungsgerichts.

2. Auch die Auffassung des Berufungsgerichts, die zuständigen Amtsträger der Bauaufsichtsbehörde hätten schuldhaft gehandelt, hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung stand.

a) Nach dem objektivierten Sorgfaltsmaßstab, der im Rahmen des § 839 BGB gilt, kommt es für die Beurteilung des Verschuldens auf die Kenntnisse und Fähigkeiten an, die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind. Die Anforderung an amtspflichtgemäßes Verhalten sind am Maßstab des pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten zu messen. Jeder staatliche Amtsträger muß die zur Führung seines Amtes notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzen oder sich verschaffen. Bei der Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung hat er die Gesetz- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und danach aufgrund vernünftiger Überlegung sich eine Rechtsmeinung zu bilden. Nicht jeder objektive Rechtsirrtum begründet einen Schuldvorwurf. Wenn die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als rechtlich vertretbar angesehen werden kann und er daran bis zur gerichtlichen Klärung der Rechtslage festhält, so kann aus der Mißbilligung seiner Rechtsauffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht hergeleitet werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurt. v. 31.01.91 - III ZR 184/89 = BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Verschulden 18 m.w.N.).

b) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes erscheint es zweifelhaft, ob die Annahme der Bauaufsichtsbehörde, sie habe nach § 15 BauGB verfahren dürfen, schon deswegen einen Schuldvorwurf begründet, weil es verwaltungsintern einer diesbezüglichen Beschlußfassung der Stadtvertretung bedurft hätte. In der Bekanntmachung des Ratsbeschlusses vom 29.10.85, betreffend die Änderung verschiedener Bebauungspläne, darunter auch des hier einschlägig Nummer 18.1 F, hatte es wie folgt geheißen:

"Der Beschluß der Stadtvertretung bildet die gesetzliche Voraussetzung für den Erlaß einer Veränderungssperre nach § 14 BBauG und bietet gemäß § 15 BBauG der Baugenehmigungsbehörde die Möglichkeit, die Entscheidung über die Zulässigkeit baulicher Anlagen bis zu zwölf Monaten zurückzustellen".

Daraus ist zu entnehmen, daß damit der Bauaufsichtsbehörde die Befugnis eingeräumt wurde, über die Zurückstellung selbständig, nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.

c) Indessen ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, daß einem solchen Vorgehen im konkreten Fall der Zeitablauf zwischen der seinerzeitigen Beschlußfassung und deren Bekanntmachung einerseits und dem Bauantrag der Kläger andererseits entgegenstand. In der Tat ist seit der Veröffentlichung jenes Ratsbeschlusses (März 1986) zunächst nichts geschehen, um die angestrebte Planung zu verwirklichen. Daran ändert auch das von der Revision aufgegriffene, im Urteil des Oberverwaltungsgerichts zitierte verwaltungsinterne Schreiben vom 4.08.86 nichts, wonach der Plangeber den städtebaulich motivierten Willen hatte, die Zulässigkeit von Spielhallen einzuschränken, um einem Niveauverlust im Plangebiet wirksam zu begegnen. Diese Absicht allein vermochte das Recht der Kläger, ihr Eigentum im Rahmen des nach der Rechtsordnung Zulässigen zu nutzen, nicht zu beschränken. Daher ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, daß der Änderungsbeschluß vom 29.10.85 im Herbst 1987 Maßnahmen nach §§ 14, 15 BBauG nicht mehr zu rechtfertigen vermochte, wenn in der gesamten Zwischenzeit keinerlei konkrete Schritte zu seiner Ausführung unternommen worden waren. Dies hätte den zuständigen Amtsträgern bei Anlegung des oben dargelegten objektivierten Sorgfaltsmaßstabs erkennbar sein können und müssen.

3. Auch im übrigen läßt das Berufungsurteil entscheidungserhebliche Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten nicht erkennen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3017218

BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Baugenehmigung 12

BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Verschulden 29

BGHR BauGB § 15 Untätigkeit 1

NVwZ-RR 1996, 65

ZfBR 1996, 177

BRS 1995, 295

BRS 57 Nr. 119

BRS 57, 295

BRS 57, Nr. 119

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