Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwaltsvergütung bei doppelter Berufungseinlegung. Unzulässigkeit der Berufung
Leitsatz (amtlich)
Legt eine Partei gegen ein amtsgerichtliches Urteil Berufung zunächst beim LG und wegen Zweifeln an der Zulässigkeit nach Ablauf der Berufungsfrist, jedoch vor rechtskräftiger Entscheidung des LG, erneut beim OLG ein, handelt es sich auch dann um lediglich eine Angelegenheit i.S.v. § 13 Abs. 2 Satz 1 BRAGO, wenn beide Berufungen als unzulässig verworfen werden.
Normenkette
BRAGO § 13 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Beschluss vom 02.12.2005; Aktenzeichen 25 T 694/05) |
AG Ratingen (Beschluss vom 14.10.2005; Aktenzeichen 8 C 21/03) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 25. Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 2.12.2005 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des AG Ratingen vom 14.10.2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittel.
Wert: 784,40 EUR.
Gründe
I.
[1] Die Klägerin begehrt die Kostenfestsetzung weiterer Rechtsanwaltsgebühren.
[2] Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft nach belgischem Recht, die ihren Hauptsitz in Brüssel hat und in Deutschland lediglich über eine Niederlassung verfügt. Das AG hat ihrer auf Zahlung von 4.735,90 EUR gerichteten Klage mit Urteil vom 23.7.2003 zum überwiegenden Teil stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte fristgerecht am 25.8.2003 Berufung zum LG eingelegt. Mit Verfügung vom 13.7.2004 hat der Vorsitzende der Berufungskammer die Beklagte darauf hingewiesen, dass gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1a (gemeint war Nr. 1b) GVG für die Durchführung des Berufungsverfahrens das OLG zuständig sein könne. Die Beklagte hat daraufhin am 19.7.2004 auch beim OLG Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegt, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit Urteil vom 25.8.2004 hat das LG die Berufung der Beklagten auf ihre Kosten als unzulässig verworfen. Das OLG hat mit Urteil vom 14.4.2005 und Ergänzungsurteil vom 19.5.2005 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung ebenfalls kostenpflichtig als unzulässig verworfen.
[3] Die Klägerin hat die Festsetzung einer Verfahrens- und einer Terminsgebühr für das Verfahren vor dem LG sowie i.H.v. insgesamt 784,40 EUR für das Verfahren vor dem OLG beantragt. Das AG hat den zweiten Antrag zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Beschwerdegericht den amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben und die beantragte Festsetzung vorgenommen.
[4] Die Beklagte möchte mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde die Aufhebung des Beschlusses des Beschwerdegerichts und die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des AG erreichen.
II.
[5] Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
[6] 1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Einlegung der Berufung beim LG einerseits sowie der Antrag auf Wiedereinsetzung und die Einlegung der Berufung beim OLG andererseits würden sich nicht als dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG darstellen. Die Beklagte habe das Berufungsverfahren vor dem OLG D. nicht mit dem Willen fortgeführt, die Änderung des Urteils statt vor dem zunächst falsch angerufenen LG D. vor dem OLG D. in einem einheitlichen Verfahren zu erreichen. Vielmehr habe sie beide Berufungen nebeneinander durchgeführt und es in beiden Verfahren zur Entscheidung kommen lassen. Damit aber lägen zwei Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne vor.
[7] 2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
[8] a) Gemäß § 61 Abs. 1 RVG ist nicht § 15 Abs. 2 RVG einschlägig, sondern der inhaltsgleiche § 13 Abs. 2 BRAGO. Der Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit (hierzu unter b) ist vor dem 1.7.2004 erteilt worden.
[9] b) Für die Durchführung des Berufungsverfahrens vor dem OLG kann die Klägerin keine gesonderten Gebühren geltend machen. Bei der zunächst zum LG und sodann zum OLG eingelegten Berufung gegen das Urteil des AG handelt es sich um dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 13 Abs. 2 BRAGO.
[10] aa) Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BRAGO kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Unter einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Die Beurteilung richtet sich nach den jeweiligen Lebensverhältnissen im Einzelfall. Maßgebend ist insb. der Inhalt des erteilten Auftrags (BGH, Urt. v. 9.2.1995 - IX ZR 207/94, MDR 1995, 641 = NJW 1995, 1431). Für das gerichtliche Verfahren wird der Begriff der Angelegenheit durch § 13 Abs. 2 Satz 2 BRAGO konkretisiert. Danach gilt jeder Rechtszug als eine besondere Angelegenheit.
[11] Nach einhelliger Auffassung liegt eine Angelegenheit auch dann vor, wenn gegen dasselbe Urteil vor Ablauf der Rechtsmittelfrist von einer Partei mehrere gleichartige Rechtsmittel bei demselben Gericht eingelegt werden, etwa weil Zweifel an der Zulässigkeit des zunächst eingelegten bestehen (vgl. OLG Frankfurt, MDR 1957, 305; OLG München, JurBüro 1978, 532; OLG Hamburg, MDR 1994, 948; Riedel/Sußbauer-Keller, BRAGO, 8. Aufl., § 38 Rz. 45). Gleiches gilt regelmäßig dann, wenn das erste Rechtsmittel zurückgenommen worden ist, bevor dass zweite eingelegt wird (KG, JurBüro 1987, 541, 542 m.w.N.), oder wenn das weitere Rechtsmittel zwar erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingelegt, jedoch mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden wird (vgl. KG, JurBüro 1989, 1542, 1543). Die Prozessbevollmächtigten der Parteien werden in diesen Fällen regelmäßig im Rahmen des ihnen erteilten einheitlichen Auftrags tätig.
[12] bb) Der Umstand, dass im Streitfall die Berufungen bei verschiedenen Gerichten eingelegt worden sind und darüber entschieden worden ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung (vgl. KG JurBüro 1989, 1542, 1543 f.). Maßgeblich ist auch hier der einheitliche Auftrag der Partei an ihren Rechtsanwalt, das Urteil mit der Berufung anzugreifen. Dadurch dass der Rechtsanwalt des Berufungsklägers nicht von sich aus die Konsequenz aus der Unzulässigkeit der ersten Berufung zieht und sie zurücknimmt, sondern das Gericht entscheiden lässt, wird der Zusammenhang zwischen dem erteilten Auftrag und der späteren Berufung nicht unterbrochen. Das Geschäft, das der Rechtsanwalt für seinen Auftraggeber besorgen soll, wird dadurch nicht in zwei selbständige gebührenrechtliche Angelegenheiten aufgespalten. Ob anderes zu gelten hätte, wenn das erneute Rechtsmittel erst eingelegt wird, nachdem das frühere bereits rechtskräftig verworfen worden ist (vgl. OLG Hamburg, MDR 1994, 948 f.; OLG Bamberg, JurBüro 1989, 1544, 1545), braucht der Senat nicht zu entscheiden.
[13] cc) Das AG hat somit die Rechtsanwaltsgebühren für die Berufungsinstanz zu Recht nur einmal festgesetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 1661497 |
BB 2007, 72 |