Verfahrensgang
LG Köln (Entscheidung vom 23.12.2020; Aktenzeichen 111 Ks 7/20) |
Tenor
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 23. Dezember 2020 gewährt.
2. Der Beschluss des Landgerichts Köln vom 19. Mai 2021, mit dem die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil als unzulässig verworfen wurde, ist gegenstandslos.
3. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Köln mit den Feststellungen aufgehoben.
4. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Seine hiergegen gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revision ist - nach Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist - zulässig und begründet.
Rz. 2
1. Dem Angeklagten ist auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung seiner fristgerecht eingelegten Revision zu gewähren. Er hat binnen der in § 45 Abs. 1 StPO genannten Frist dargetan und glaubhaft gemacht, dass ihn an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kein Verschulden trifft. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Köln vom 19. Mai 2021, mit dem die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen wurde, gegenstandslos.
Rz. 3
2. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg. Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes verneint hat, leiden an durchgreifenden Erörterungsmängeln.
Rz. 4
a) Nach den Urteilsfeststellungen hatte das spätere Tatopfer G. O. die Absicht, dem Angeklagten und dessen Brüdern seine bereits zurückliegende Beziehung zu deren Schwester, G. B., und die von dieser durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche zu offenbaren. Hierzu versandte er am 6. März 2020 Sprachnachrichten an D. B., einen Bruder des Angeklagten, in denen er - in aggressivem Ton - äußerte, er wolle sich mit den Brüdern treffen und reden; dabei beleidigte er G. und die Familie des Angeklagten. D. B. informierte den Angeklagten, der die Sache in die Hand nehmen wollte und einen Treffpunkt mit dem Geschädigten verabredete. Der Angeklagte bat die Zeugen D. und S., mitzukommen. Er fuhr zum Treffpunkt mit seinem Pkw, aus dem er ein zweiseitig geschliffenes Messer mit einer Klingenlänge von 14,5 cm und einer Klingenbreite von 4,5 cm ergriff und sich „bei der für ihn unklaren Situation spontan dazu“ entschloss, dieses samt Holster in seine Jackentasche zu stecken. D. und S. blieben auf Wunsch des Angeklagten in einiger Entfernung zum Treffpunkt in einem beleuchteten Hauseingang zurück.
Rz. 5
G. O. war seit dem Abend des 6. März 2020 mit einem Freund in verschiedenen Gaststätten unterwegs und konsumierte alkoholische Getränke. Nach dem Konsum eines „Kölsch“ berichtete O. seinem Freund und einem weiteren Zeugen vom bevorstehenden Treffen und bat diese um ein Messer, was diese ihm aber nicht gaben. Sie versuchten vielmehr, den ihnen stark alkoholisiert erscheinenden O. zu überreden, nach Hause zu fahren. O. begab sich indes zurück in eine Gaststätte, die er gegen 3:00 Uhr verließ, wobei er ein Glas „Kölsch“ mitnahm, das er in der Folgezeit leerte und in seine Jackentasche steckte.
Rz. 6
Der Angeklagte und O. trafen sich gegen 3:40 Uhr in einer Unterführung und gingen gemeinsam stadtauswärts. Nachdem der Angeklagte O. aufgefordert hatte, zur Sache zu kommen, und beide vor einem Haus angehalten hatten, berichtete O. von seiner Beziehung zu G., die er eine Hure nannte, und von deren Abtreibungen, wobei er einen sehr aggressiven und lauten Ton anschlug. Obwohl der Angeklagte O. aufforderte, ruhiger zu werden und die Beleidigungen zu unterlassen, kam dieser dem Angeklagten mit aggressiver Körpersprache näher, wobei er seine Hand geöffnet in Richtung des Angeklagten hielt. Der Aufforderung des Angeklagten, ein paar Schritte zurückzugehen, kam O. zunächst nach, „näherte sich dem Angeklagten dann aber erneut in Unterschreitung des von diesem geforderten Mindestabstands“. Der Angeklagte stieß O. mehrfach von sich weg, dieser näherte sich jedoch immer wieder, wobei er nunmehr die ganze Familie des Angeklagten beleidigte und äußerte, „er werde den Angeklagten und alle anderen aus dessen Familie ‚ficken‘“, er werde den Angeklagten „fertig machen“. Abermals kam O. auf den Angeklagten zu und „drückte seinen Kopf an den des Angeklagten und diesen leicht nach hinten“. Der Angeklagte war verärgert und „nervlich angespannt“, er „fühlte sich bedrängt und durch die Gesamtsituation verunsichert und überfordert“. Durch den Kopf-an-Kopf-Kontakt „wurde es dem Angeklagten schließlich zu viel“ und er schlug O. mit seiner rechten Faust ins Gesicht, der daraufhin zunächst ein paar Schritte zurückwich, sodann aber um den Angeklagten herumging und erneut äußerte, er werde den Angeklagten „jetzt ficken“. Der Angeklagte, der diese Ankündigung ernst nahm, stand mit dem Rücken zur Hauswand, O stand vor ihm und bewegte sich wieder in Richtung des Angeklagten. Nunmehr holte der Angeklagte das in der Jackentasche mitgeführte Messer heraus und hielt es in Richtung O., „um diesen abzuschrecken und auf Distanz zu halten“. Während der Angeklagte mit dem Messer in Richtung des O. „fuchtelte“, forderte er ihn auf, aufzuhören und „sich zu verpissen“. O. kam „gleichwohl auf den Angeklagten zu, diesmal mit geballten und ca. auf Brusthöhe erhobenen Fäusten, woraufhin der Angeklagte ihn mit seiner linken Hand ein weiteres Mal wegschubste, während er die rechte Hand mit dem Messer leicht zurückzog, um G. O. nicht zu verletzen.“ Dies hielt O. nicht lange ab, er ging ein weiteres Mal auf den Angeklagten zu, um diesen nunmehr zu verletzen. Er hatte „hierbei seine linke Hand wieder in die linke Jackentasche gesteckt, weshalb der Angeklagte glaubte, in dieser müsse er etwas haben, da er ansonsten nicht die Hand in die Jackentasche stecken würde. Eine Waffe hatte der Angeklagte […] indes nicht wahrgenommen, was für ihn nicht ausschloss, dass er - wie er selbst - eine solche, naheliegend ein Messer, bei sich führte. G. O. kam nunmehr mit höherer Intensität auf den Angeklagten zu, weshalb der Angeklagte ihn mit der linken Hand nicht erneut abhalten konnte. Der Angeklagte streckte daher seine Arme zur Seite aus, den linken auf Grund der Wucht der Annäherung […], den rechten, um zu verhindern, dass [O. ] in das Messer lief. Es kam zu einem Kontakt des Körpers von G. O. mit dem Körper des Angeklagten dergestalt, dass man unmittelbar frontal voreinander stand. Der Angeklagte spürte sodann etwas an seiner rechten Flanke/Bauchregion. Er ging davon aus, dass es die linke Hand des G. O. war, mit der er etwas aus seiner Jackentasche herausgeholt hatte oder im Begriff war herauszuholen, um den Angeklagten hiermit nun zu attackieren. Den Angeklagten überkam ein Gefühl der Angst, woraufhin er mit dem Messer wuchtig zustach. Bei der Ausführung des Stichs hielt es der Angeklagte für möglich, hierdurch eine lebensgefährdende Verletzung des G. O. hervorzurufen, was er billigend in Kauf nahm. Tatsächlich hatte G. O. nichts aus seiner linken Jackentasche hervorgeholt.“
Rz. 7
Der Stich des Angeklagten traf das Tatopfer im Rücken zwischen Schulterblatt und Wirbelsäule, durchtrennte die fünfte Rippe, Lungenober- und -mittellappen sowie einen Seitenast der Lungenschlagader und eröffnete die Körperhauptschlagader. Diesen Verletzungen erlag O. trotz alsbald verständigter und eintreffender Rettungskräfte.
Rz. 8
b) Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten als Totschlag gewertet. Der Angeklagte sei weder nach § 32 StGB gerechtfertigt noch nach § 33 StGB entschuldigt. Er habe sich in einer Notwehrlage befunden, sein von Verteidigungswillen getragenes Verhalten - der Messerstich - sei indes nicht erforderlich gewesen. Zwar sei dem Angeklagten nicht zuzumuten gewesen, einen Messerstich in eine minder gefährliche Körperstelle zu wählen oder nur mit dem Schaft des Messers zu schlagen, wohl aber, einen oder mehrere Schritte zurückzugehen, den Einsatz des Messers lautstark verbal anzudrohen und die Zeugen D. und S. zu Hilfe zu rufen. Eine Entschuldigung im Sinne des § 33 StGB komme nur in Betracht bei Vorliegen eines asthenischen Affekts, für dessen Vorliegen nichts spreche, zumal der Angeklagte den Angriff des O. als nur mäßig intensiv beschrieben und nicht zum Ausdruck gebracht habe, dass er davon ausgegangen sei, G. O. ziehe einen gefährlichen Gegenstand, wie beispielsweise ein Messer.
Rz. 9
c) Die Ansicht, die Verteidigungshandlung sei nicht erforderlich gewesen, hat das Landgericht rechtlich nicht tragfähig begründet.
Rz. 10
aa) Soweit das Landgericht die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung verneint, sind ihre Erwägungen schon mit den getroffenen Feststellungen nicht widerspruchsfrei in Einklang zu bringen. Nach diesen ist davon auszugehen, dass der Angeklagte keinerlei Anlass für einen Angriff auf ihn gegeben oder einen solchen durch sein Verhalten provoziert hatte. Als er vom später Getöteten - mutmaßlich mit einem in der Jacke mitgeführten Gegenstand - angegriffen wurde, stand er mit dem Rücken zu einer Hauswand und wurde vom späteren Tatopfer in diese Richtung gedrängt. Weshalb es ihm gleichwohl in diesem Moment möglich und zuzumuten gewesen sein soll, „einen oder mehrere Schritte“ zurückzugehen, erhellt sich nicht ohne Weiteres. Auch erschließt sich nicht, weshalb das Androhen des Messereinsatzes zur Abwehr eines Angriffs hätte erfolgversprechend sein können, nachdem der Angeklagte den Feststellungen zufolge dies (durch „Fuchteln“) zuvor bereits erfolglos versucht hatte. Näherer Erörterung hätte auch bedurft, inwiefern das Herbeirufen der Zeugen D. und S., die nach den Feststellungen in einiger Entfernung standen und - eine Hörbarkeit der Hilferufe des Angeklagten unterstellt - erst hätten herbeieilen müssen, den unmittelbar bevorstehenden Angriff hätte abwenden können. Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, ist sie grundsätzlich berechtigt, das Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet; unter mehreren Verteidigungsmöglichkeiten ist der Angegriffene nur dann auf eine für den Angreifer weniger gefährliche Alternative zu verweisen, wenn ihm genügend Zeit zur Wahl des Mittels sowie zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (vgl. Senat, Beschluss vom 12. April 2016 - 2 StR 523/15, NStZ 2016, 526).
Rz. 11
bb) Nicht widerspruchsfrei sind auch die Erwägungen der Strafkammer zu § 33 StGB. Während sie bei der rechtlichen Würdigung annimmt, der Angeklagte habe die Grenzen nicht aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken verkannt, schon, weil der Angeklagte einen solchen Zustand in seiner Einlassung nicht geschildert habe, hat sie - ohne nähere Begründung - festgestellt, der Angeklagte sei mit der Situation überfordert gewesen und ihn habe, als er glaubte, die linke Hand des O. an seiner rechten Flanke zu spüren, „ein Gefühl der Angst“ überkommen. Dies hätte jedenfalls näherer Erörterung bedurft, die die Urteilsgründe vermissen lassen.
Rz. 12
cc) Das Landgericht hat auch nicht erkennbar die Frage in den Blick genommen und erörtert, ob der Angeklagte irrig Umstände annahm, bei deren Vorliegen er gerechtfertigt gewesen sein könnte. Dies zu erörtern musste sich der Strafkammer nach den getroffenen Feststellungen aufdrängen, wonach der Angeklagte glaubte, das spätere Tatopfer habe eine Waffe, „naheliegend ein Messer“, in seiner Jackentasche, und er des Weiteren davon ausging, der später Getötete habe etwas aus eben dieser Jackentasche herausgeholt, um ihn zu attackieren, oder sei im Begriff dies zu tun.
Rz. 13
d) Die insgesamt unübersichtlichen und widersprüchlichen Feststellungen und Wertungen lassen keinen zum Freispruch des Angeklagten durch den Senat führenden Schluss darauf zu, dessen Tat könnte gerechtfertigt oder entschuldigt gewesen sein. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Rz. 14
3. Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:
Rz. 15
a) Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass die Urteilsgründe nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; die Sachverhaltsschilderung soll kurz, klar und bestimmt sein und alles Unwesentliche fortlassen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2019 - 4 StR 37/19, NStZ 2020, 102 mwN; zur Abfassung der Urteilsgründe vgl. auch Meyer-Goßner/Appl, Urteile in Strafsachen, 30. Aufl., z.B. Rn. 352 ff).
Rz. 16
b) Das neue Tatgericht wird gegebenenfalls auch die im Revisionsverfahren entstandene Verzögerung in den Blick zu nehmen haben.
Franke |
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Krehl |
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Eschelbach |
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Meyberg |
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Grube |
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Fundstellen
Haufe-Index 15669190 |
NStZ 2023, 7 |
StV 2024, 97 |