Leitsatz (amtlich)
1. Ein Bevollmächtigter ist ungeeignet, die Angelegenheiten des Betroffenen nach dessen Wünschen zu besorgen, wenn zu befürchten ist, dass er die Angelegenheiten des Vollmachtgebers nicht entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers besorgt. Ergeben sich aus der Vereinbarung und dem erklärten Willen des Vollmachtgebers keine konkreten Vorgaben, kann der Betroffene seine Wünsche nicht mehr äußern und bestehen auch keine individuellen Anhaltspunkte für seinen mutmaßlichen Willen, richtet sich dieser nach seinen objektiven Bedürfnissen.
2. Die Möglichkeit des Betreuungsgerichts, nach § 34 Abs. 2 FamFG von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen abzusehen, wenn dieser offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun, entbindet das Gericht nicht von der in § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG enthaltenen Verpflichtung, sich einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu verschaffen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 4. November 2020 - XII ZB 344/20, FamRZ 2021, 224).
3. Sind behebbare Mängel bei der Ausübung einer Vorsorgevollmacht festzustellen, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, mittels eines zu bestellenden Kontrollbetreuers auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, insbesondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechenschaftslegung (§ 666 BGB) sowie die Ausübung bestehender Weisungsrechte (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 8. Januar 2020 - XII ZB 368/19, FamRZ 2020, 629).
4. Besteht die dringende Gefahr, dass ein Bevollmächtigter durch fehlende Bereitschaft zum Konsens mit anderen Bevollmächtigten nicht den Wünschen des Vollmachtgebers entsprechend handelt und dadurch die Person des Vollmachtgebers oder dessen Vermögen erheblich gefährdet, kann das Betreuungsgericht gemäß § 1820 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BGB anordnen, dass er die ihm erteilte Vollmacht insgesamt oder in bestimmten Angelegenheiten nicht ausüben darf.
Normenkette
FamFG § 34 Abs. 2, § 278 Abs. 1 S. 2; BGB §§ 666, 1814 Abs. 3 Nr. 1, § 1815 Abs. 3, § 1820 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Paderborn (Entscheidung vom 17.11.2022; Aktenzeichen 5 T 98/22) |
AG Warburg (Entscheidung vom 11.02.2022; Aktenzeichen 4 XVII 136/21 L) |
Tenor
Der weiteren Beteiligten zu 1 wird als Beschwerdeführerin für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt beigeordnet (§§ 76 Abs. 1, 78 Abs. 1 FamFG iVm § 114 ZPO).
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 17. November 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Eine Festsetzung des Beschwerdewerts (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Rz. 1
Die 78-jährige Betroffene befindet sich infolge einer 2017 eingetretenen Subarachnoidalblutung bei rupturiertem Aneurysma, Hydrocephalus occlusus und struktureller Epilepsie sowie nach mindestens einem weiteren ischämischen Schlaganfall im Zustand der spastischen Tetraparese mit bereits eingesetzten Kontrakturen und im Zustand der globalen Aphasie ohne Aussicht auf Verbesserung des neurologischen Status. Bereits im Jahr 2006 hatte sie ihrer Tochter (Beteiligte zu 1) und ihrem Enkel (Beteiligter zu 2) Vorsorgevollmachten zur jeweils alleinigen Ausübung erteilt.
Rz. 2
Bis 2021 wurde sie in häuslicher Intensivpflege 24 Stunden täglich im Haus des Enkels durch einen Pflegedienst betreut, wobei auch der Enkel Maßnahmen der Grundpflege übernahm. Am 3. August 2021 erstattete der Pflegedienst eine Strafanzeige gegen den Enkel wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen, laut derer er lebensgefährdende Manipulationen am Beatmungsschlauch vorgenommen haben soll. Am 16. August 2021 wurde die Betroffene durch die vom Amtsgericht zur vorläufigen Betreuerin bestellte Beteiligte zu 3 in eine Intensivwohngemeinschaft verlegt.
Rz. 3
Mit Beschluss vom 11. Februar 2022 hat das Amtsgericht im Hauptsacheverfahren eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, der Geltendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber ihrem/ihrer Bevollmächtigten, Gesundheitssorge, Heimangelegenheiten, Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern eingerichtet und die Beteiligte zu 3 als Berufsbetreuerin bestimmt.
Rz. 4
Das Landgericht hat die Beschwerden der Tochter und des Enkels der Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Tochter.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Rz. 6
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Für die Betroffene, die ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen könne, bestehe trotz der vorliegenden Vorsorgevollmachten ein Betreuungsbedarf, da beide Bevollmächtigte nicht geeignet seien, die Angelegenheiten der Betroffenen zu deren Wohl zu besorgen. Zwischen beiden Bevollmächtigten bestünden erhebliche innerfamiliäre Spannungen. Aufgrund ihrer Uneinigkeit in der Frage des Aufenthalts und der pflegerischen Versorgung würden sich beide in der Vollmachtausübung gegenseitig blockieren. Die Eignung des Enkels könne derzeit auch wegen der gegen ihn erhobenen und noch nicht abschließend geklärten Misshandlungsvorwürfe nicht bejaht werden. Die Tochter sei zur selbständigen Ausübung der Betreuung nicht in der Lage, weil sie keine eigenen konkreten Vorstellungen darüber entwickele, wie sie sich um die Betroffene kümmern wolle, sondern nur den Pflegedienst für sie sprechen lasse. Die Tochter lasse nicht erkennen, dass sie sich mit den Vorschlägen des Pflegedienstes sinnvoll auseinandersetze. Zudem sei im Pflegeheim beobachtet worden, dass die Betroffene auf Besuche ihrer Tochter und deren Lebensgefährten mit Weinen reagiere. Wegen fehlender Eignung könnten die Tochter und der Enkel auch nicht als Betreuer bestellt werden. Demgegenüber bestünden keine Zweifel an der Eignung der vom Amtsgericht bestellten Berufsbetreuerin, die für eine sachgerechte Versorgung der Betroffenen sorge.
Rz. 7
2. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 8
a) Zutreffend rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Landgericht verfahrensfehlerhaft von einer Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren abgesehen hat.
Rz. 9
aa) Gemäß § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Doch scheidet dies aus, wenn neue Erkenntnisse zu erwarten sind. Das ist dann der Fall, wenn das Beschwerdegericht - wie hier - für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage heranzieht, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert (vgl. Senatsbeschluss vom 6. April 2022 - XII ZB 451/21 - FamRZ 2022, 1130 Rn. 16 mwN).
Rz. 10
bb) Gemessen hieran hätte das Landgericht die Betroffene persönlich anhören müssen, da es seine Entscheidung ausdrücklich auch auf das erst im Beschwerdeverfahren eingeholte Sachverständigengutachten gestützt hat.
Rz. 11
cc) Das Landgericht durfte von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen nicht mit der Begründung absehen, die Betroffene sei offensichtlich nicht in der Lage, ihren Willen kundzutun.
Rz. 12
(1) Zwar kann nach § 34 Abs. 2 FamFG die persönliche Anhörung eines Beteiligten unterbleiben, wenn hiervon erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu besorgen sind oder der Beteiligte offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Anwendung dieser Vorschrift auch im Anwendungsbereich von § 278 FamFG nicht ausgeschlossen. Sie entbindet das Gericht aber nicht von der in § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG enthaltenen Verpflichtung, sich einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu verschaffen. Denn die für ein Absehen von der Anhörung erforderliche Feststellung, dass Rückschlüsse auf den natürlichen Willen des Betroffenen offensichtlich weder aufgrund verbaler noch aufgrund nonverbaler Kommunikation möglich sind, kann das Gericht regelmäßig nur auf der Grundlage eines noch aktuellen persönlichen Eindrucks treffen, den es bei einer unmittelbaren Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen gewonnen hat. Zudem dient die persönliche Anhörung nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs. Durch sie soll auch sichergestellt werden, dass sich das Gericht vor der Entscheidung einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschafft, durch den es in die Lage versetzt wird, das eingeholte Sachverständigengutachten zu würdigen. Schließlich will § 278 Abs. 1 FamFG verhindern, dass es zu einer Betreuerbestellung ohne persönlichen Kontakt zwischen Gericht und dem Betroffenen kommt (Senatsbeschluss vom 4. November 2020 - XII ZB 344/20 - FamRZ 2021, 224 Rn. 9 f.). An diesen Maßstäben hat sich auch durch die am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Vorschrift des § 278 Abs. 4 Satz 2 FamFG nichts geändert, denn diese trifft eine abweichende Regelung nur für den Fall, dass von der persönlichen Anhörung erhebliche Nachteile für die Gesundheit des Betroffenen zu besorgen sind (vgl. BT-Drucks. 19/24445 S. 332).
Rz. 13
(2) Aufgrund dieser rechtlichen Maßstäbe durfte das Landgericht nicht nach § 34 Abs. 2 FamFG von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen absehen. Zwar befindet sich die Betroffene nach den getroffenen Feststellungen derzeit in einem Zustand, in dem sie offensichtlich nicht in der Lage ist, ihren Willen kundzutun. Das machte es jedoch nicht entbehrlich, sich einen persönlichen Eindruck von der Betroffenen zu verschaffen, da im erstinstanzlichen Verfahren eine Anhörung lediglich durch den ersuchten Richter und mithin keine unmittelbare Kontaktaufnahme des entscheidenden Gerichts mit der Betroffenen erfolgte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. November 2020 - XII ZB 344/20 - FamRZ 2021, 224 Rn. 11 und vom 8. April 2020 - XII ZB 558/19 - FamRZ 2020, 1121 Rn. 9). Zudem zieht das Landgericht selbst Schlüsse daraus, dass seitens des Pflegeheims regelmäßig beobachtet worden sei, wie die Betroffene auf Besuche der Tochter und deren Lebensgefährten mit Weinen reagiere. Schon aufgrund der herangezogenen Beobachtungen des Pflegeheims hätte das Landgericht nicht davon absehen dürfen, sich selbst einen Eindruck von der Betroffenen und möglichst davon zu verschaffen, wie diese auf ihre Angehörigen reagiert.
Rz. 14
b) Auch in der Sache fehlt es bislang an einer rechtlich tragfähigen Grundlage für die Auffassung des Landgerichts, die Bestellung eines Betreuers sei trotz des Vorliegens einer wirksamen Vorsorgevollmacht erforderlich.
Rz. 15
aa) Gemäß § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB (bis 31. Dezember 2022: § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB) darf ein Betreuer nur bestellt werden, wenn dies erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können (§ 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB; bis 31. Dezember 2022: § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Steht die - hier vom Landgericht nicht in Zweifel gezogene - Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht fest, kann gleichwohl eine Betreuung erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen nach dessen Wünschen zu besorgen, insbesondere, wenn zu befürchten ist, dass er die Angelegenheiten des Vollmachtgebers nicht entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers besorgt. Ergeben sich aus der Vereinbarung und dem erklärten Willen des Vollmachtgebers keine konkreten Vorgaben, kann der Betroffene seine Wünsche nicht mehr äußern und ergeben sich auch keine individuellen Anhaltspunkte für seinen mutmaßlichen Willen, richtet sich dieser nach seinen objektiven Bedürfnissen. Den daraus abzuleitenden Handlungsmaximen kann der Bevollmächtigte nicht gerecht werden, wenn er mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 16. November 2022 - XII ZB 212/22 - FamRZ 2023, 308 Rn. 10 mwN).
Rz. 16
Über Art und Umfang der zur Frage der Eignung des Vorsorgebevollmächtigten durchzuführenden Ermittlungen entscheidet das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob das Tatgericht alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen hat und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 16. November 2022 - XII ZB 212/22 - FamRZ 2023, 308 Rn. 11 mwN).
Rz. 17
bb) Auch bei Anlegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hat die angefochtene Entscheidung keinen Bestand.
Rz. 18
(1) Das Landgericht hat nicht in Zweifel gezogen, dass die Tochter der Betroffenen ein ausreichendes Verständnis für die Schwere von deren Erkrankung besitzt und deshalb Entscheidungen, die dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entsprechen, treffen wird. Es hat lediglich beanstandet, dass die Tochter diese Entscheidungen nicht hinreichend selbstständig erarbeite und das geplante Vorgehen dem Gericht nicht persönlich erläutern könne, sondern dieses in die Hand des Pflegedienstes lege und unreflektiert dessen Vorschlägen folge.
Rz. 19
Die hierbei angestellten Erwägungen sind indessen nicht frei von Rechtsfehlern. Zwar hat das Landgericht im Ansatz zutreffend erkannt, dass ein Bevollmächtigter in der Lage sein muss, die Lebens- und Pflegebedürfnisse des Betroffenen zu erfüllen. Die Auswahl des Bevollmächtigten obliegt jedoch der Entscheidung des Vollmachtgebers, die grundsätzlich auch dann zu respektieren ist, wenn - bei objektiver Betrachtung - die zu regelnden Angelegenheiten durch einen Betreuer möglicherweise besser erledigt werden könnten. Denn in der Regel kann davon ausgegangen werden, dass der Vollmachtgeber die Fähigkeiten der Person, der er eine Vorsorgevollmacht erteilt, bedacht hat. Deshalb kann auch ein Bevollmächtigter, der mit der eigenverantwortlichen Planung und Organisation einer pflegerischen Versorgung des Betroffenen überfordert wäre, sich diesbezüglich aber von Vorschlägen eines zugelassenen Pflegedienstes leiten lässt, nur dann als ungeeignet angesehen werden, wenn tragfähige Gründe dafür festgestellt werden können, dass er aufgrund der Art seiner Auseinandersetzung mit den Vorschlägen des Pflegedienstes die Angelegenheiten des Betroffenen nicht entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen der Betroffenen besorgt (vgl. Senatsbeschluss vom 16. November 2022 - XII ZB 212/22 - FamRZ 2023, 308 Rn. 14 mwN).
Rz. 20
(2) Solche Umstände hat das Landgericht bislang nicht konkret festgestellt. Soweit es in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass die Tochter keine Details darüber nennen konnte, wie sie die von ihr beabsichtigte künftige Unterbringung der Betroffenen in einem vom ursprünglichen Pflegedienst bereitzustellenden Zimmer oder einer Einrichtung konkret gestalten wolle, begründet dies noch keine fehlende Eignung der Tochter. Dieser ist vielmehr Gelegenheit zu geben, mit Unterstützung eines Pflegedienstes ein tragfähiges ambulantes Konzept zu entwickeln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein ambulantes Pflegekonzept bis 2021 bereits umgesetzt werden konnte und deshalb nicht von vornherein undurchführbar erscheint.
Rz. 21
c) Soweit das Landgericht Defizite darin erkennt, dass die bevollmächtigte Tochter nicht ausreichend in der Lage sei, die Vorschläge des Pflegedienstes einer eigenen kritischen Würdigung zu unterziehen, und deshalb davon auszugehen sei, dass sie die Angelegenheiten der Betroffenen nicht entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen der Betroffenen besorgt, hätte es sich die Frage vorlegen müssen, ob zur Behebung eines solchen Mangels die Anordnung lediglich einer Kontrollbetreuung ausreicht (§§ 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3 Nr. 2 BGB; bis 31. Dezember 2022: § 1896 Abs. 3 BGB). Denn sind behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung festzustellen, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, mittels eines zu bestellenden Kontrollbetreuers auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, insbesondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechenschaftslegung (§ 666 BGB) sowie die Ausübung bestehender Weisungsrechte (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Januar 2020 - XII ZB 368/19 - FamRZ 2020, 629 Rn. 12).
Rz. 22
d) Defizite schließlich, die darin begründet sind, dass mehrere Bevollmächtigte unterschiedliche Auffassungen in der Frage des Aufenthalts und der pflegerischen Versorgung verfolgen und sich dadurch gegenseitig blockieren, dürfen nicht unbesehen dahin gelöst werden, dass statt beider ein Berufsbetreuer zur Wahrnehmung der Angelegenheiten bestellt wird. Die Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen gebietet es auch in einem solchen Fall vielmehr, seinen Wunsch, die Angelegenheiten von ausgewählten Bevollmächtigten regeln zu lassen, bestmöglich zur Geltung zu bringen. Hierzu kann ein Kontrollbetreuer verbindliche, an den Wünschen des Betroffenen orientierte Weisungen erteilen, wie ein zwischen den Bevollmächtigten bestehender Sachkonflikt aufzulösen ist.
Rz. 23
3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.
Rz. 24
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Betreuungsgericht nach der seit 1. Januar 2023 geltenden Rechtslage auch für einen einzelnen Bevollmächtigten anordnen kann, dass er die ihm erteilte Vollmacht insgesamt oder in bestimmten Angelegenheiten nicht ausüben darf, wenn die dringende Gefahr besteht, dass dieser Bevollmächtigte nicht den Wünschen des Vollmachtgebers entsprechend handelt und dadurch die Person des Vollmachtgebers oder dessen Vermögen erheblich gefährdet (§ 1820 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BGB). Dies kann sich auch auf Gefahren beziehen, die aus der fehlenden Bereitschaft eines Bevollmächtigten herrühren, im Konsens mit anderen Bevollmächtigten von der Vollmacht Gebrauch zu machen.
Rz. 25
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Guhling |
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Klinkhammer |
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Günter |
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Nedden-Boeger |
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Pernice |
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Fundstellen
Haufe-Index 15697713 |
NJW-RR 2023, 850 |
FGPrax 2023, 160 |
ZAP 2023, 525 |
ZEV 2023, 619 |
BtPrax 2023, 140 |
DNotZ 2023, 861 |
JZ 2023, 344 |
JZ 2023, 349 |
ErbR 2023, 651 |
FamRB 2023, 292 |
FamRB 2023, 5 |
PflR 2023, 480 |
RNotZ 2023, 423 |
ZNotP 2023, 303 |
R&P 2023, 240 |