Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des Verfahrens bei präjudizieller Bedeutung für anderen Prozess. Klärung beweiserheblicher Tatsachen in selbstständigem Beweisverfahren
Leitsatz (amtlich)
Erklären die Parteien vor dem Prozessgericht übereinstimmend, sie seien damit einverstanden, dass die Ergebnisse eines noch nicht abgeschlossenen selbstständigen Beweisverfahrens im Hauptsacheverfahren abgewartet und später verwertet werden, soweit sie für dieses Verfahren erheblich sind, ist das Prozessgericht auf Grund dieser Erklärungen befugt, das Hauptsacheverfahren erst nach Abschluss des selbstständigen Beweisverfahrens fortzusetzen.
Normenkette
ZPO § 493
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des OLG Frankfurt/M. v. 31.10.2003 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Die Streithelfer tragen ihre eigenen Kosten.
Gegenstandswert: 1.763,45 EUR
Gründe
I.
1. Die Klägerin fordert von den beiden Beklagten, die von ihr Wohnungseigentum erworben hatten, restliche Zahlung. Die Beklagten berufen sich demgegenüber in Übereinstimmung mit anderen Erwerbern auf Mängel am Gemeinschaftseigentum.
Noch vor Klageerhebung hat die "Wohnungseigentümergemeinschaft D.-Straße 47, vertreten durch den Verwalter" gegen die Klägerin ein selbstständiges Beweisverfahren eingeleitet, in dem das Vorliegen von Mängeln am Gemeinschaftseigentum, mit denen sich die Beklagten u.a. im Hauptsacheverfahren verteidigen, festgestellt werden soll. Das selbstständige Beweisverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Das LG hat am 31.7.2003 beschlossen, die im selbstständigen Beweisverfahren zu treffenden Feststellungen seien entscheidungserheblich, so dass dessen Ergebnis abzuwarten und das Hauptsacheverfahren erst alsdann fortzusetzen sei. Es hat der Beschwerde der Klägerin mit der Begründung nicht abgeholfen, das Hauptsacheverfahren befinde sich im Stadium der Beweisaufnahme (analog § 493 ZPO). Zudem hätten sich beide Parteien in der mündlichen Verhandlung v. 20.9.2001 damit einverstanden erklärt, dass die Ergebnisse des selbstständigen Beweisverfahrens vor dem LG Frankfurt/M. im hiesigen Verfahren verwertet werden, soweit sie dafür erheblich sind. Auf Grund dieser Erklärung sei das Gericht des Hauptsacheverfahrens berechtigt, das Ergebnis des selbstständigen Verfahrens abzuwarten.
2. Das Beschwerdegericht hat mit Beschluss v. 31.10.2003 die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat sich der Begründung des LG angeschlossen und ausgeführt, § 493 ZPO sei jedenfalls entsprechend anzuwenden. Das Ende der Beweiserhebung sei ebenso abzuwarten wie wenn die Beweisaufnahme vom Prozessgericht selbst angeordnet worden wäre. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO sei mit dem Beschluss des LG nicht verbunden. Jedenfalls habe mit den Erklärungen der Parteien, sich mit der Verwertung der Feststellungen im selbstständigen Beweisverfahren einverstanden zu erklären, eine erneute Beweisaufnahme verhindert werden sollen. Diese Erklärungen seien unwiderruflich. Im Hinblick auf Divergenzen in der Rechtsprechung hat es die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Begründung des Beschwerdegerichts hält im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Eine Aussetzung der Verhandlung nach § 148 ZPO hat das Beschwerdegericht, wie im angefochtenen Beschluss ausdrücklich ausgeführt ist, in Übereinstimmung mit dem LG nicht angeordnet. Der Senat hat daher nicht darüber zu entscheiden, ob eine - im Einzelfall auf eine tatrichterliche Ermessensentscheidung zu gründende - Aussetzung hier in Betracht gekommen wäre. Im Beschluss v. 10.7.2003 (BGH, Beschl. v. 10.7.2003 - VII ZB 32/02, BGHReport 2003, 1370 = MDR 2003, 1306 = BauR 2003, 1607 = ZfBR 2003, 765) hat der Senat die Frage offen gelassen, ob ein Rechtsstreit nach § 148 ZPO analog ausgesetzt werden darf, wenn die vom Gericht der Hauptsache für beweiserheblich gehaltenen Tatsachen in einem selbstständigen Beweisverfahren geklärt werden sollen. Der Senat hat allerdings die Tendenz erkennen lassen, diese Frage zu bejahen; eine abschließende Entscheidung ist auch im vorliegenden Fall nicht veranlasst.
2. Sollte eine Aussetzung nicht in Betracht kommen, könnte die entsprechende Heranziehung des § 493 ZPO allein einen faktischen Stillstand des Hauptsacheverfahrens bis zum Abschluss des selbstständigen Beweisverfahrens nicht rechtfertigen. Das Beschwerdegericht weist zu Recht daraufhin, dass die in § 493 ZPO abschließend geregelte Verwertbarkeit nur die Beweise betrifft, die im selbstständigen Beweisverfahren bereits erhoben wurden. Die Bestimmung sagt nichts darüber aus, wie zu verfahren ist, wenn das selbstständige Beweisverfahren noch nicht abgeschlossen ist und noch kein Beweisergebnis vorliegt.
3. Das Beschwerdegericht hat allerdings zu Recht auf die übereinstimmenden Erklärungen der Prozessbevollmächtigten im Verhandlungstermin v. 20.9.2001 vor dem LG abgestellt und sie als Prozesshandlungen mit bindender Wirkung angesehen, von der sich eine Partei grundsätzlich nicht einseitig lösen kann. Diese Erklärungen gehen über die Wirkung des § 493 Abs. 1 ZPO hinaus. Sie sollen etwaige Zweifelsfragen bezüglich der Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens beseitigen und zugleich die uneingeschränkte Fortsetzung des selbstständigen Beweisverfahrens bis zu seinem Abschluss gewährleisten. Sie vermindern damit für beide Parteien das Risiko, dass die Feststellungen der Sachverständigen zu den behaupteten Mängeln in dem Ende 2001 bereits knapp zwei Jahre dauernden selbstständigen Beweisverfahren in einer erneuten Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht nochmals getroffen werden müssen. Unter Berücksichtigung der Bedeutung sowie der Tragweite dieser Erklärungen für das weitere Verfahren ist der Beschluss des LG, das Hauptsacheverfahren bis zum Abschluss des selbstständigen Beweisverfahrens nicht fortzusetzen, nicht zu beanstanden.
Fundstellen
Haufe-Index 1171400 |
NJW 2004, 2597 |
BGHR 2004, 1314 |
BauR 2004, 1484 |
IBR 2004, 473 |
ZAP 2004, 1026 |
ZfIR 2004, 883 |
MDR 2004, 1198 |
WuM 2004, 498 |
ZfBR 2004, 677 |
BrBp 2004, 435 |
NJW-Spezial 2004, 216 |
PA 2004, 188 |
BauRB 2004, 330 |