Verfahrensgang
LG Aurich (Entscheidung vom 06.11.2023; Aktenzeichen 11 KLs 2/23) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 6. November 2023
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall II. b) der Urteilsgründe statt der schweren räuberischen Erpressung des besonders schweren Raubes schuldig ist;
b) aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist, die Maßregelanordnung entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im Übrigen - zum einen wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. b) der Urteilsgründe) unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung vom 14. Mai 2020 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sieben Monaten verurteilt. Zum anderen hat es ihn der Sachbeschädigung in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl schuldig gesprochen (Fall II. c) der Urteilsgründe) und insofern unter Einbeziehung der Einzelstrafen einer weiteren Vorverurteilung vom 5. Oktober 2021 eine zweite Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten gegen ihn verhängt. Ferner hat die Strafkammer die Unterbringung des alkohol- und drogenabhängigen Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen das Urteil wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Der Schuldspruch im Fall II. b) der Urteilsgründe hält insofern der sachlichrechtlichen Überprüfung nicht stand, als der Angeklagte wegen schwerer räuberischer Erpressung gemäß § 253 Abs. 1 und 2, §§ 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verurteilt worden ist.
Rz. 3
a) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen und in diesem Zusammenhang relevanten Feststellungen verlangte der Angeklagte von dem Geschädigten während einer gemeinsamen Autofahrt im Auftrag eines Dritten und unter drohendem Vorhalt eines Messers 3.000 € als Entgelt für zuvor erhaltenes Amphetamin, obwohl er wusste, dass ein Zahlungsanspruch nicht bestand. Der Geschädigte entschloss sich unter dem Eindruck des Messers und bereits zuvor vom Angeklagten ausgesprochener Drohungen mit einer körperlichen Misshandlung dazu, die verlangte Zahlung zu erbringen. Er wies den Angeklagten, der auf der Rückbank des vom Geschädigten geführten Pkw saß, darauf hin, dass auf einem Kindersitz neben ihm Bargeld in der verlangten Höhe liege. Der Angeklagte nahm das Geld daraufhin an sich und entfernte sich bei einem Fahrzeughalt mit der Tatbeute.
Rz. 4
b) Dieses Tatgeschehen ist rechtlich nicht als schwere räuberische Erpressung, sondern als besonders schwerer Raub gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu werten, weil der Angeklagte die Tatbeute nach dem Hinweis des Geschädigten selbst an sich nahm und sie nicht vom Tatopfer ausgehändigt erhielt. Denn die Abgrenzung zwischen Raub und räuberischer Erpressung richtet sich nach dem äußeren Erscheinungsbild des Tatgeschehens, und zwar danach, ob der Täter dem Opfer die betreffende Sache unter Anwendung beziehungsweise Androhung körperlicher Gewalt wegnimmt (Raub) oder das Opfer sie ihm eingedenk der Gewaltanwendung beziehungsweise -androhung herausgibt (räuberische Erpressung) (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2023 - 6 StR 44/23, NStZ 2023, 351; Urteil vom 12. August 2021 - 3 StR 474/20, juris Rn. 12; Beschluss vom 24. April 2018 - 5 StR 606/17, juris Rn. 13; Urteil vom 22. Oktober 2009 - 3 StR 372/09, NStZ-RR 2010, 46, 48).
Rz. 5
Zudem ist die Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB - den die Strafkammer zutreffend als erfüllt angesehen hat - im Schuldspruch durch die Kennzeichnung der Tat als „besonders schwerer“ Raub zum Ausdruck zu bringen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. September 2009 - 3 StR 297/09, NStZ 2010, 101; vom 8. Juli 2008 - 3 StR 229/08, juris Rn. 5).
Rz. 6
c) Der Senat ändert daher den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StGB wie aus der Beschlussformel ersichtlich. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 7
2. Auf den Strafausspruch hat die Schuldspruchänderung wegen des unveränderten Unrechtsgehalts und des gleichbleibenden Strafrahmens keinen Einfluss.
Rz. 8
3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB erweist sich als rechtsfehlerhaft; sie hat keinen Bestand. Denn diese Maßregel ist bereits mit einem noch nicht erledigten rechtskräftigen Urteil vom 18. September 2023 gegen den Angeklagten angeordnet worden; der Angeklagte befindet sich gegenwärtig im Vollzug dieser Maßregel in einer Entziehungsanstalt. Das Urteil vom 18. September 2023 ist wegen der Zäsurwirkung der diesem Judikat vorangegangenen unerledigten Vorverurteilung vom 5. Oktober 2021, vor der die letzte hiesige Tat begangen wurde, nicht gesamtstrafenfähig gewesen. In dieser Konstellation gilt:
Rz. 9
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zwar auch dann anzuordnen, wenn die Maßregel schon in einem vorherigen anderen Verfahren angeordnet wurde, mit der Folge, dass die frühere Anordnung mit der Rechtskraft der späteren gemäß § 67f StGB erledigt ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 1997 - 4 StR 287/97, BGHR StGB § 64 Anordnung 4; Beschluss vom 30. März 1992 - 4 StR 108/92, BGHR StGB § 64 Ablehnung 6). Dies gilt aber ohne weiteres nur, wenn die in dem späteren Verfahren abzuurteilende Tat nach der früheren Verurteilung begangen wurde. Bei einer vor der früheren Verurteilung begangenen Tat haben die Grundsätze der nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) Vorrang vor § 67f StGB, so dass gemäß § 55 Abs. 2 StGB in der neuen Entscheidung lediglich die frühere Anordnung einer Maßregel aufrechtzuerhalten, nicht aber eine (weitere) neue Maßregel anzuordnen ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. August 2020 - 4 StR 670/19, NStZ-RR 2021, 72, 73; vom 23. November 2017 - 4 StR 477/17, NStZ 2018, 526; vom 25. November 2010 - 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 243; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 55 Rn. 29b, § 67f Rn. 3). Wegen der Zäsurwirkung der Vorverurteilung vom 5. Oktober 2021 unterliegt indes keine der mit dem angefochtenen Urteil abgeurteilten Taten einer Gesamtstrafenbildung mit der Strafe aus der Vorverurteilung, durch die auch die Maßregel angeordnet wurde, so dass § 55 Abs. 2 StGB nicht - und zwar auch nicht entsprechend - anwendbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 1997 - 4 StR 287/97, BGHR StGB § 64 Anordnung 4). Gleichwohl kommt hier die erneute Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB nicht in Betracht; eine solche ist nicht möglich, wenn die frühere Tat grundsätzlich bereits bei der schon getroffenen Anordnungsentscheidung hätte mitberücksichtigt werden können (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 1997 - 4 StR 287/97, BGHR StGB § 64 Anordnung 4; Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 67f Rn. 3; BeckOK StGB/Ziegler, 60. Ed., § 67f Rn. 2). Die erneute Anordnung der Unterbringung hat deshalb zu entfallen.
Rz. 10
4. Im Übrigen lässt die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.
Rz. 11
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO. Der geringfügige Erfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten.
VRiBGH Prof. Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben. |
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Fundstellen
Haufe-Index 16374518 |
NStZ-RR 2024, 240 |