Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Beschluss vom 25.06.1992) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 25. Juni 1992 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I. Der Kläger hat am 18. Mai 1992 Berufung gegen das ihm am 22. April 1992 zugestellte, seine Klage auf Rückzahlung von 6.998,60 DM Sachverständigenhonorar abweisende Urteil des Landgerichts eingelegt. Das Berufungsgericht hat auf Antrag den Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 4. Juni 1992 die Gerichtsakten ausgefolgt, die diese am 17. Juni 1992 zurückgereicht haben.
Das Berufungsgericht hat die Berufung mit Beschluß vom 25. Juni 1992 als unzulässig verworfen, ohne hierzu zuvor den Kläger angehört zu haben.
Gegen diesen ihm am 16. Juli 1992 zugestellten Beschluß hat sich der Kläger unter Beifügung einer auf 4. Juni 1992 datierten Berufungsbegründung mit einem am 24. Juli 1992 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz gewendet, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und geltend gemacht, die Berufungsbegründung vom 4. Juni 1992 sei am 5. Juni 1992 von seinem am Oberlandesgericht zugelassenen Anwalt unterzeichnet und von einem Büroangestellten des Prozeßbevollmächtigten bei der Poststelle des Berufungsgerichts abgegeben worden.
Nach richterlichem Hinweis hat er gebeten, seine Eingabe als sofortige Beschwerde zu behandeln.
Entscheidungsgründe
II. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig.
Die Eingabe des Klägers, mit der sich dieser gegen den Verwerfungsbeschluß des Berufungsgerichtes vom 25. Juni 1992 wendet, ist als sofortige Beschwerde im Sinne des § 519 b Abs. 2 ZPO zu behandeln (BGH, Beschl. v. 19.6.1974 – VIII ZB 15/74, Warneyer Rspr. 1974, 448 Nr. 168).
Diese Beschwerde ist statthaft und zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 577 Abs. 2, 569 Abs. 1 und 2, 519 b Abs. 2 i.V.m. § 547 ZPO).
Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Die angefochtene Entscheidung, die die Berufung als unzulässig verwarf, ohne dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, beruht auf dieser Verletzung rechtlichen Gehörs.
Zwar sieht § 519 b ZPO eine Anhörung der Partei vor Verwerfung der Berufung nicht vor. Die Pflicht zur Anhörung folgt indessen unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.1.1980 – 2 BvR 920/79, NJW 1980, 1095, 1096 zu Ziffer 2 a). Art. 103 Abs. 1 GG gibt dem Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, daß er Gelegenheit erhält, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern (BGH, Beschl. v. 16.12.1981 – VIII ZB 67/81, VersR 1982, 246; BGH, Beschl. v. 16.4.1975 – VIII ZB 3/75, VersR 1975, 899, 900; vgl. auch BGH, Beschl. v. 1.4.1987 – IVb ZB 86/86, BGHR § 519 b Abs. 2 ZPO, rechtliches Gehör Nr. 1).
Dieser Pflicht zur Anhörung der Partei vor Verwerfung der Berufung im Beschlußwege gemäß § 519 b ZPO hat das Berufungsgericht nicht durch Aushändigung der Akten an die Prozeßbevollmächtigten des Klägers genügt. Letztere konnten zum damaligen Zeitpunkt der Akte keine Hinweise auf eine eventuelle Verwerfung der Berufung entnehmen, zumal wenn sie die Berufungsbegründung ihrerseits noch vor Rückgabe der überlassenen Gerichtsakten gefertigt und eingereicht haben, wie der Kläger geltend macht.
Daß der Kläger die Verletzung des rechtlichen Gehörs im einzelnen nicht gerügt hat, schadet nicht. Der Senat hat eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in Beschwerdeverfahren ohne Rüge zu beachten, wie sich schon daraus ergibt, daß die Beschwerde einer Begründung nicht bedarf (§§ 577 Abs. 1, 569 Abs. 2 ZPO; allgemeine Meinung, vgl. Thomas-Putzo, ZPO, 18. Aufl. § 569 Rz. 7).
Der angefochtene Beschluß beruht auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Hätte das Berufungsgericht den Kläger vor der Verwerfung angehört, hätte dieser darlegen können, die Berufungsbegründung rechtzeitig gefertigt und bei Gericht eingereicht zu haben, wie er dies mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung auch vorgebracht hat. Das Berufungsgericht hätte dann gegebenenfalls Gelegenheit gehabt, diesem Vorbringen nachzugehen und dessen Wahrheitsgehalt – gegebenenfalls durch Vernehmung der an der behaupteten Einreichung beteiligten Personen als Zeugen – zu überprüfen. Es hätte auch abklären können, ob und gegebenenfalls weshalb zwar die Berufungsbegründung vom 4. Juni 1992 schon am 5. Juni 1992 gefertigt und unterzeichnet wurde, obwohl die Gerichtsakten am 4. Juni 1992 erst an die Prozeßbevollmächtigten des Klägers abgegangen waren, die Berufungsbegründung noch am 5. Juni 1992 eingereicht wurde, die Gerichtsakten aber erst am 17. Juni 1992 zurückgereicht worden sind. Das Berufungsgericht hätte ferner im Wege des Freibeweises über die Zulässigkeit der Berufung berücksichtigen können, daß der endgültige und unaufklärbare Verlust von Schriftsätzen und Akten erfahrungsgemäß vorkommt, mag er auch selten sein (vgl. dazu Schreiben des Präsidenten des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 3. Mai 1993 betreffend das Anschreiben des Senats vom 16. Februar 1993; BGH, Beschl. v. 9.7.1987 – VII ZB 10/86, NJW 1987, 2875, 2876).
Der angefochtene Beschluß war daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Diesem war auch die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu übertragen.
Nach Zurückverweisung hat das Berufungsgericht Gelegenheit, die infolge der Verletzung des rechtlichen Gehörs unterbliebenen Erwägungen nachzuholen; der Beschwerdeführer hat Gelegenheit, den erforderlichen Beweis anzutreten und gegebenenfalls hilfsweise auch seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weiterzuverfolgen. Bei der erneuten Entscheidung wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß bloße Glaubhaftmachung hinsichtlich des rechtzeitigen Eingangs der Berufungsbegründung nicht ausreicht; vielmehr geht es um einen vollen Beweis der rechtzeitigen Einreichung, der allerdings im Wege des Freibeweises erfolgen kann und nicht auf die Mittel des Strengbeweises beschränkt ist (BGH, Beschl. v. 9.7.1987 a.a.O.).
Unterschriften
Rogge, Jestaedt, Broß, Melullis, Greiner
Fundstellen
Haufe-Index 1237752 |
NJW 1994, 392 |