Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Nachholen der versäumten Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist ohne Wiedereinsetzungsantrag. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Unterschriftserfordernis für nachgereichten bestimmenden Schriftsatz
Normenkette
ZPO § 130 Nr. 6, § 236 Abs. 2 S. 2 Hs. 2, § 520 Abs. 2 S. 1, Abs. 5
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 28.10.2020; Aktenzeichen 26 S 8/20) |
AG Berlin-Mitte (Entscheidung vom 10.03.2020; Aktenzeichen 8 C 168/19) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin - Zivilkammer 26 - vom 28. Oktober 2020 - 26 S 8/20 - aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für die Rechtsbeschwerde wird auf 4.550 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin, eine Fraktion einer Berliner Bezirksverordnetenversammlung, begehrt von dem Beklagten die Zahlung von 4.550 € mit der Behauptung, dieser habe bei mehreren Veranstaltungen zu ihren Gunsten Spendengelder mindestens in dieser Höhe eingesammelt, aber nicht an sie weitergereicht. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Verfügung vom 26. Juni 2020 hat das Berufungsgericht die Klägerin darauf hingewiesen, dass bis zum Ablauf der bis zum 16. Juni 2020 verlängerten Frist keine Berufungsbegründung eingegangen sei. Mit Schriftsatz vom 1. Juli 2020, der am selben Tag per Fax beim Berufungsgericht eingegangen ist, hat die Klägerin hierauf mitgeteilt, die Berufungsbegründung sei mehrere Tage vor Ablauf der Frist erfolgt und nachweislich postalisch zugestellt worden. Hierzu hat sie eine eidesstattliche Versicherung einer Auszubildenden der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten vorgelegt, nach der diese die Berufungsbegründung in unterschriebener Urschrift, beglaubigter Abschrift und einfacher Abschrift am 10. Juni 2020 kuvertiert und in einen Postbriefkasten eingeworfen habe. Dem Schriftsatz war - wie darin angekündigt - die Fotokopie einer unterschriebenen Berufungsbegründungsschrift mit Datum 10. Juni 2020 beigefügt.
Rz. 2
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist zulässig, weil die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Das Rechtsmittel ist auch begründet.
Rz. 4
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe die Berufung entgegen § 520 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig begründet. Eine Wiedereinsetzung komme nicht in Betracht, da die Klägerin nicht innerhalb der Frist des § 234 ZPO eine Wiedereinsetzung beantragt habe; ein konkludenter Antrag lasse sich dem Schriftsatz vom 1. Juli 2020 nicht entnehmen. Eine Wiedereinsetzung scheitere zudem daran, dass die Klägerin entgegen § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO die versäumte Prozesshandlung nicht innerhalb der Antragsfrist nachgeholt habe. Denn die Klägerin habe lediglich eine einfache Ablichtung der Berufungsbegründungsschrift eingereicht, so dass die nach § 520 Abs. 5 i.V.m. § 130 Nr. 6 ZPO erforderliche Unterschrift ihres Prozessbevollmächtigten fehle. Eine Unterschrift sei auch nicht deshalb entbehrlich gewesen, weil der Schriftsatz vom 1. Juli 2020 seinerseits vom Klägervertreter unterzeichnet gewesen sei. Dies könnte nur genügen, wenn die Klägerin zumindest sinngemäß erklärt hätte, der Schriftsatz vom 10. Juni 2020 werde gerade mit dem Ziel eingereicht, nunmehr die Berufung zu begründen. Die Klägerin habe jedoch lediglich erklärt, die Kopie "noch einmal beigefügt" zu haben. Dies sei nicht ausreichend. Dabei sei zu beachten, dass die Klägerin eine Wiedereinsetzung ersichtlich nicht für notwendig gehalten habe, so dass es aus ihrer Sicht keinen Grund gegeben habe, die Berufungsbegründung nachzureichen.
Rz. 5
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 6
a) Zutreffend und von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Klägerin die Berufung nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet hat.
Rz. 7
b) Rechtsfehlerhaft sind hingegen die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt hat. Dass die Klägerin keinen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt hat, trägt deren Ablehnung nicht. Denn gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden, wenn die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist. Dies hat die Klägerin - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - getan.
Rz. 8
Zwar ist für die Wiedereinsetzung die versäumte Prozesshandlung in der für sie vorgeschriebenen Form nachzuholen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2019 - VI ZB 22/19, VI ZB 23/19, NJW-RR 2020, 309 Rn. 9 mwN), so dass die nachzureichende Berufungsbegründung gemäß § 130 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 520 Abs. 5 ZPO als bestimmender Schriftsatz grundsätzlich von einem Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein muss. Die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet wird (Senat, Beschluss vom 31. Januar 2019 - III ZB 88/18, WM 2019, 723 Rn. 8). Wenn jedoch auch ohne die Unterschrift aufgrund anderer, eine Beweisaufnahme nicht erfordernder Umstände zweifelsfrei feststeht, dass der Rechtsmittelanwalt die Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittelbegründungsschrift übernommen hat, darf deren Wirksamkeit nicht allein deshalb verneint werden, weil es an der Unterschrift fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2088; Beschlüsse vom 15. Oktober 2019 aaO Rn. 12; vom 26. Oktober 2011 - IV ZB 9/11, BeckRS 2011, 26453 Rn. 6 und vom 20. März 1986 - VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254 f; vgl. auch BVerfG, NJW 2002, 3534, 3535).
Rz. 9
Nach diesen Maßstäben kann die Wirksamkeit der Berufungsbegründung der Klägerin nicht wegen der darauf fehlenden eigenhändigen Unterschrift im Original verneint werden. Die Erklärung des Prozessbevollmächtigten, er füge "die Kopie der Berufungsbegründung" bei, lässt keinen Zweifel, dass er dieser Schrift als der von ihm verantworteten Berufungsbegründung Geltung verschaffen wollte. Indem der Prozessbevollmächtigte erklärt hat, bei der Schrift handele es sich um die von ihm bereits eingereichte Berufungsbegründung, hat er deutlich gemacht, dass er für diese die Verantwortung übernehmen wollte.
Rz. 10
Soweit das Berufungsgericht die fragliche Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin deshalb als nicht ausreichend bewertet hat, weil dieser hätte erklären müssen, "nunmehr" die Berufung zu begründen und die Berufungsbegründung "nachzureichen", ist es von einem zu engen Maßstab ausgegangen. Erforderlich, aber auch hinreichend ist, dass die Partei die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vornimmt; einer ausdrücklichen Erklärung die Prozesshandlung "nachzuholen" bedarf es dagegen nicht (vgl. Senat, Versäumnisurteil vom 17. Januar 2013 - III ZR 168/12, NJW-RR 2013, 692 Rn. 16).
Rz. 11
Eine andere Beurteilung ist nicht im Hinblick auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15. Oktober 2019 (aaO Rn. 13) geboten. Dort ist lediglich ausgesprochen, dass die Rechtsprechung zur ausnahmsweisen Wirksamkeit nicht unterzeichneter Rechtsmittelbegründungsschriften auf die Nachholung einer Berufungsbegründung im Zusammenhang mit einem Wiedereinsetzungsantrag nach Einreichung einer mangels Unterzeichnung unwirksamen Begründung nicht übertragbar ist. Dabei hat der Bundesgerichtshof aber gerade darauf abgestellt, dass die Partei auf diesen konkreten Mangel durch das Gericht hingewiesen worden war und ihr deshalb ohne weiteres zuzumuten war, die Prozesshandlung nunmehr durch die Einreichung einer wirksamen, also unterzeichneten Berufungsbegründung nachzuholen und sich nicht mit Erklärungen zum eingereichten unwirksamen Begründungsschriftsatz zu begnügen (BGH aaO). So liegt es hier nicht.
Rz. 12
3. Danach kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Der Senat kann über die Wiedereinsetzung nicht selbst abschließend entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO), da das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgetragene Sachverhalt zur Fertigung und Versendung der Berufungsbegründung hinreichend glaubhaft gemacht ist. Dies ist im neuen Verfahren des Landgerichts nachzuholen.
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Richter am Bundesgerichtshof Dr. Kessen ist wegen Ortsabwesenheit verhindert zu unterschreiben. |
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Fundstellen
Haufe-Index 15075539 |
FA 2021, 327 |
MDR 2021, 1349 |
MDR 2021, 1449 |