Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung medizinischer Badeleistungen
Normenkette
RsprEinhG § 2; GVG § 13
Tenor
Für Rechtsstreitigkeiten zwischen nichtärztlichen Leistungserbringern und Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung über die Vergütung medizinischer Badeleistungen ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben.
Gründe
I.
Die Kläger, die bereits seit mehreren Jahren eine Praxis für Massagen und medizinische Bäder betrieben und Leistungen, die sie für Versicherte der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse erbracht hatten, mit dieser abgerechnet hatten, gliederten diese Praxis im Juni 1977 einem von ihnen erbauten und gemeinsam bewirtschafteten Kurhaus (einschließlich Hotel, Café und Restaurant) ein. Nachdem die Kläger zuvor nach § 4 Nr. 14 UStG von der Umsatzsteuer befreit gewesen waren, ging nunmehr die Finanzbehörde von einer einheitlich umsatzsteuerpflichtigen gewerblichen Tätigkeit aus. Die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen des südlichen Regierungsbezirkes A., zu der die Beklagte gehört, war bereit, das Kurhaus der Kläger zur Erbringung von Badeleistungen an Kassenmitglieder zuzulassen. Das Angebot dieses Vertrages, nach dessen § 6 für die Vergütung der Leistungen die jeweils zwischen den maßgeblichen Verbänden vereinbarte Gebührenliste einschließlich Mehrwertsteuer gelten sollte, nahmen die Kläger jedoch nicht an, weil sie den Standpunkt vertraten, daß die Kassen auf die jeweiligen Preise der Gebührenliste zusätzlich die Mehrwertsteuer zahlen sollten. Gleichwohl erbrachten die Kläger auch nach der betrieblichen Umstellung Leistungen für Versicherte der Beklagten, die von dieser jeweils nach der genannten Gebührenliste - also ohne Mehrwertsteuer - abgerechnet wurden.
Die Kläger haben vor dem Sozialgericht Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zur Zahlung eines Betrages von 1.180,83 DM, der der für den Monat Dezember 1979 geschuldeten Mehrwertsteuer entspricht, zu verurteilen sowie die entsprechende Zahlungsverpflichtung für zukünftige Leistungen festzustellen. Das Sozialgericht hat die Klage mangels Rechtswegzuständigkeit als unzulässig abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Kläger mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage als unbegründet abzuweisen sei. Der 8. Senat des Bundessozialgerichts, der über die Revision der Kläger zu befinden hat, hält den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für gegeben, sieht sich jedoch an einer entsprechenden Entscheidung durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, insbesondere durch das Urteil des Kartellsenats vom 1. Juni 1977 (KZR 3/76, BGHZ 69, 59 - Badebetrieb), gehindert. Er hat daher dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die folgende Frage vorgelegt:
Ist für Rechtsstreitigkeiten zwischen nichtärztlichen Leistungserbringern und Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung über die Vergütung von Massage- und medizinischen Badeleistungen der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben?
II.
Die Vorlage ist zulässig (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes - RsprEinhG - vom 19. Juni 1968, BGBl. I 661).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Kartellsenats des Bundesgerichtshofes begründen Verträge, in denen sich Leistungserbringer gegenüber den Krankenversicherungsträgern zur Lieferung oder Leistung von Heil- oder Hilfsmitteln verpflichten, bürgerlich-rechtliche Rechtsverhältnisse. Für Streitigkeiten aufgrund solcher Verträge oder für Ansprüche, die auf Abschluß solcher Verträge gerichtet sind, sind daher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die ordentlichen Gerichte zuständig (vgl. BGHZ 36, 91, 93 f - Gummistrümpfe; BGH, Urt. v. 25. Juni 1964 - KZR 11/62, WuW/E 675 - Uhrenoptiker; Urt. v. 12. Mai 1976 - KZR 14/75, GRUR 1976, 600, 601 - Augenoptiker; vgl. ferner das im Vorlagebeschluß angeführte Urteil des Kartellsenats vom 1. Juni 1977 dem eine bindende Verweisung vom Landessozialgericht zugrundelag, siehe BGH NJW 1977, 2121 = GRUR 1977, 744, insoweit nicht in BGHZ 69, 59).
Demgegenüber ist der 8. Senat des Bundessozialgerichts der Auffassung, daß es sich bei dem Ausgangsverfahren um eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit der Sozialversicherung handelt, über die die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden hätten. Damit besteht zwischen den beteiligten Senaten eine Divergenz in einer für den Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblichen Frage.
III.
Der Gemeinsame Senat beantwortet die vorgelegte Rechtsfrage dahin, daß für Rechtsstreitigkeiten zwischen nichtärztlichen Leistungserbringern und Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung über die Vergütung medizinischer Badeleistungen der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist. Denn es handelt sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit (§ 13 GVG).
1.
Ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlichrechtlich ist, richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (vgl. Gemeinsamer Senat, Beschl. v. 10. April 1986 - GmS-OGB 1/85, BGHZ 97, 312, 313 f m.w.N.).
Dabei kommt es - wie der Gemeinsame Senat bereits in seinem angeführten Beschluß vom 10. April 1986 (aaO) dargelegt hat - regelmäßig darauf an, ob die an der Streitigkeit Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient. Doch kann aus einem Gleichordnungsverhältnis noch nicht ohne weiteres auf eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit geschlossen werden, weil auch dem öffentlichen Recht eine gleichgeordnete Beziehung zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem nicht fremd ist. So liegt es im Wesen - auch des öffentlich-rechtlichen - Vertrages, daß sich die Vertragsparteien grundsätzlich gleichgeordnet gegenüberstehen. Für die Abgrenzung von öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Vertrag kommt es daher auf dessen Gegenstand und Zweck an. Die Rechtsnatur des Vertrages bestimmt sich - wie der Gemeinsame Senat ebenfalls in seinem Beschluß vom 10. April 1986 ausgeführt hat - danach, ob der Vertragsgegenstand dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht zuzurechnen ist. Dabei ist für den öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen einem Träger öffentlicher Verwaltung und einer Privatperson typisch, daß er an die Stelle einer sonst möglichen Regelung durch Verwaltungsakt tritt (vgl. § 54 Satz 2 VwVfG, § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB X).
2.
Gegenstand der Beziehungen zwischen der beklagten RVO-Kasse auf der einen und den Klägern auf der anderen Seite ist die Sicherstellung und Durchführung der Versorgung von Versicherten mit ärztlich angeordneten physikalischen und balneologischen Anwendungen. Diese Beziehungen der Parteien dienen damit - ebenso wie dies bei der gekündigten Preisvereinbarung der Fall war und bei der angestrebten, aber nicht zustandegekommenen Preisvereinbarung der Fall gewesen wäre - der Erfüllung der der Beklagten obliegenden gesetzlichen Aufgabe, den Versicherten die ärztlich angeordneten Behandlungsmaßnahmen durch Naturalleistungen zu verschaffen.
Aus der öffentlichen Aufgabe der Beklagten, die Versorgung der Versicherten mit Heil- und Hilfsmitteln bzw. mit Behandlungsmaßnahmen der hier in Rede stehenden Art sicherzustellen, folgt noch nicht der öffentlich-rechtliche Charakter der zur Erfüllung dieser Aufgabe abgeschlossenen Beschaffungsvereinbarungen. Dies hat der Gemeinsame Senat in seinem Beschluß vom 10. April 1986 - nach Verkündung des Vorlagebeschlusses in dieser Sache - dargelegt. Danach ist das Beschaffungsgeschäft seiner Rechtsnatur nach von dem gesetzlichen Versicherungsverhältnis zu trennen. Dadurch, daß der Krankenversicherungsträger die Leistungen der Badebetriebe zum Zwecke der Erfüllung seines öffentlich-rechtlichen Sicherstellungsauftrags in Anspruch nimmt und der jeweilige Badebetrieb auf diese Weise bei der Erbringung seiner Leistung nicht nur eine vertragliche Verpflichtung gegenüber der Krankenkasse erfüllt, sondern damit gleichzeitig bei der Erfüllung der dem Versicherungsträger gegenüber dem Versicherten obliegenden öffentlich-rechtlichen Versorgungsverpflichtung mitwirkt, erhält das Beschaffungsgeschäft noch keinen öffentlich-rechtlichen Charakter. Zwar wird - wie im Schrifttum zu dem Beschluß vom 10. April 1986 angemerkt worden ist (Krauskopf, SGb 1986, 586, 587; Wallerath, NJW 1987, 1472, 1473 f - jeweils bezugnehmend auf Behrends, Grenzen des Privatrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1986, insbes. S. 159 ff) - die Entscheidung darüber, welche Leistungen oder Waren beschafft werden sollen, von öffentlich-rechtlichen Bestimmungen überlagert. Dies ist jedoch bei Beschaffungsgeschäften der öffentlichen Hand regelmäßig der Fall. Anders als ein privater Nachfrager ist die öffentliche Hand in ihren Nachfrageentscheidungen grundsätzlich nicht frei, sondern - ohne daß dies das Rechtsverhältnis zu dem Lieferanten oder Leistungserbringer berührte - an öffentlich-rechtliche Vorschriften gebunden, so etwa an das Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Verwaltung (vgl. § 34 Abs. 2 BHO) sowie im Einzelfall auch an Bestimmungen, die unmittelbar die zu beschaffenden Waren oder Leistungen - z.B. die Art der von den Schulen anzuschaffenden Lernmittel - betreffen. Soweit der öffentlichen Hand für die Beschaffung dieser Waren oder Leistungen, die sie zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben benötigt, hoheitliche Mittel nicht zu Gebote stehen, muß sie sich nach den für jedermann geltenden Bestimmungen, also auf privatrechtlicher Ebene, versorgen. Anders als zum Beispiel für die ärztliche Versorgung (§§ 368 ff RVO) enthält die Reichsversicherungsordnung für die Versorgung der Versicherten mit Heil- und Hilfsmitteln, zu denen die Rechtsprechung zum Teil auch die medizinischen Badeleistungen zählt (vgl. BSGE 42, 16), keine Regelung. Auch bei den Heilhilfsberufen im Sinne des § 122 Abs. 1 Satz 2 RVO sind nur einzelne Leistungen - etwa die der Zahntechniker (§ 368 Abs. 6, § 368 g Abs. 5 a RVO) - weitgehend einer öffentlich-rechtlichen Regelung unterworfen (vgl. BVerfGE 70, 1, 16 ff). Das Fehlen einer entsprechenden Regelung für die anderen Leistungserbringer, insbesondere für die hier in Rede stehenden medizinischen Badebetriebe, bedeutet, daß sich die Beschaffung - wie es auch sonst üblich ist - grundsätzlich nach den Regeln des Privatrechts vollziehen soll (Gemeinsamer Senat, Beschl. v. 10. April 1986, a.a.O. S. 316; vgl. auch BVerfGE 70, 1, 18 f). Hieran hat auch die Einführung des § 376 d RVO durch das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl. I 1578) nichts geändert. Diese Bestimmung, nach der die Krankenkassen oder hierzu bevollmächtigte Verbände zur Sicherung einer wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten mit Heil- und Hilfsmitteln Rahmenvereinbarungen mit den Leistungserbringern schließen sollen, richtet sich in erster Linie an die Krankenversicherungsträger, ohne insoweit den Leistungserbringern bestimmte Verpflichtungen aufzuerlegen; sie enthält auch keine zwingende Regelung - wie sie beispielsweise die §§ 372, 373, 374 RVO vorsehen - für den Fall, daß eine Rahmenvereinbarung nicht zustande kommt (Gemeinsamer Senat, Beschl. v. 10. April 1986, a.a.O. S. 315; BVerfGE 70, 19 f).
Beschaffungs- und Preisvereinbarungen, die zur Erfüllung der Aufgaben der Beklagten abgeschlossen werden, tragen nach alledem privatrechtlichen Charakter; fehlen solche Vereinbarungen, so können die Beziehungen zwischen den Parteien ebenfalls nur privatrechtlicher Natur sein.
Unterschriften
Sendler
Pfeiffer
Kissel
Klein
Reiter
v. Gamm
Kellermann
Schur
Kummer
Fundstellen