Tenor
Der Senat stimmt den im Tenor des Anfragebeschlusses bezeichneten Rechtssätzen unter Aufgabe eigener entgegenstehender Rechtsprechung zu.
Gründe
Die verbreitete Absprachepraxis der Strafgerichte läßt immer wieder – womöglich gar zunehmend – bis zum Mißbrauch reichende Unzuträglichkeiten in Einzelfällen erkennen. Gleichwohl nötigen die begrenzten Ressourcen der Strafrechtspflege zur Ausschöpfung rechtsstaatlich vertretbarer Beschleunigungsmöglichkeiten. Daher erachtet der Senat die praeter legem entwickelte Praxis der „Verständigung in Strafsachen” in den Grenzen der maßgeblich im Urteil des 4. Strafsenats vom 28. August 1997 (BGHSt 43, 195) entwickelten Grundsätze (vgl. ferner BVerfG [Kammer] NStZ 1987, 419) für zulässig.
1. Danach ist – ungeachtet der Erkenntnis, daß eine Verständigung vielfach gerade aus der Sicht des Angeklagten auf eine endgültige einverständliche Verfahrensbeendigung abzielt (vgl. Senatsbeschluß vom 20. März 2002 – 5 StR 1/02, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 24) – die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts im Rahmen der Verständigung grundsätzlich als unzulässig anzusehen (so auch der Senatsbeschluß vom 5. Februar 2002 – 5 StR 617/01, BGHSt 47, 238, 242). Der Senat teilt hierzu die im Anfragebeschluß dargelegte Einschätzung, daß für dieses Verdikt – abgesehen von eventuell gar nachrangigen dogmatischen Bedenken – die begründete Besorgnis ausschlaggebend ist, daß ein vorab vereinbarter Rechtsmittelverzicht eine Vernachlässigung der pflichtgemäßen Bemühungen des Gerichts, womöglich auch der übrigen Verfahrensbeteiligten, um eine hinreichend sorgfältige Sachverhaltsermittlung und um eine gründliche rechtliche Ausleuchtung der angeklagten Tat nach sich ziehen kann.
2. Der Senat billigt nach erneuter Überprüfung anläßlich des Anfragebeschlusses auch die darin vertretene rechtliche Folgerung regelmäßiger Unwirksamkeit des derart unzulässig vorab abgesprochenen Rechtsmittelverzichts (so schon – obiter dictu – im Senatsbeschluß vom 5. Februar 2002 – 5 StR 617/01, BGHSt 47, 238, 242). Dieses Ergebnis wird gerechtfertigt durch das Bedürfnis nach Sanktionierung der unzulässigen Absprachepraxis, insbesondere aber aufgrund der Wahrscheinlichkeit einer Kausalität zwischen der fälschlichen Vermutung des Angeklagten, jene Absprache sei bindend, und seinem alsbald nach Urteilsverkündung erklärten Rechtsmittelverzicht. Insoweit gibt der Senat entgegenstehende Rechtsprechung auf, insbesondere die dem Senatsbeschluß vom 5. September 2001 – 5 StR 386/01 – zugrundeliegende Auffassung.
Ohne daß es, soweit ersichtlich, für die Anfrage darauf ankäme, würde der Senat freilich für den Ausnahmefall einer „qualifizierten Belehrung” des Angeklagten über seine Freiheit zum Rechtsmittelverzicht ungeachtet der insoweit unzulässigen Absprache zu einer abweichenden Beurteilung neigen (vgl. BGHSt 45, 227, 233). Der Senat gibt auch zu bedenken, ob die Absprache eines Rechtsmittelverzichts in Ausnahmefällen zu billigen ist. Das könnte etwa in einem Fall in Betracht gezogen werden, in dem eine Folgeentscheidung nach § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB durch das erkennende Gericht unmittelbar nach Urteilsverkündung in die Verständigung miteinbezogen wurde. Ferner ist an Fälle zu denken, in denen insbesondere die Staatsanwaltschaft im Wege der Verständigung zugleich auf die Erledigung anderer offener Strafverfahren gemäß § 154 StPO nach bestandskräftiger Bestrafung des Angeklagten im anhängigen Verfahren abzielt.
Andererseits wird aus etwaigen Schwierigkeiten, ein „schlankes” Geständnis zu einer den Voraussetzungen des § 261 StPO genügenden Urteilsgrundlage zu machen, keine Legitimation für eine Rechtsmittelverzichtsabsprache im Einzelfall hergeleitet werden können. Mit einem Geständnis, das die Mindestvoraussetzungen der Zuverlässigkeit und Hinterfragbarkeit verfehlt, darf sich das Tatgericht ohnehin nicht begnügen. Bezogen auf „unstreitige”, aber für die Urteilsfindung unerläßliche und im Wege des Geständnisses nicht einführbare Zusatztatsachen wird gegebenenfalls eine weitgehend vereinfachte Beweisführung, etwa durch Vernehmung eines Ermittlungsführers, möglich und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sein.
3. Ohne daß insoweit eine gesonderte entgegenstehende Rechtsprechung des Senats ersichtlich wäre, billigt der Senat angesichts der entsprechenden Problematik und zur Vermeidung etwaiger Umgehungen die nämliche rechtliche Folgerung auch für die im Anfragebeschluß unterbreitete Fallvariante, daß der Rechtsmittelverzicht zwar nicht unzulässigerweise ausdrücklich zum Gegenstand der Absprache gemacht, im Rahmen der Verhandlung über die Verständigung jedoch vom Gericht ausdrücklich angesprochen und befürwortet wurde. Der Senat geht dabei davon aus, daß die unzulässige gerichtliche Initiative im zweiten Fall der Anfrage, wie erforderlich, bewiesen ist.
Eine Beweisbarkeit wird allerdings in Fällen dieser Art bei entsprechenden Behauptungen eines Revisionsführers mangels Protokollierung regelmäßig nicht selbstverständlich sein. In diesem Zusammenhang weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß er nach wie vor – unabhängig von der Annahme grundsätzlicher Unzulässigkeit eines vorab abge- sprochenen Rechtsmittelverzichts – bei seiner im Senatsbeschluß vom 20. März 2002 – 5 StR 1/02 (BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 24) vertretenen Einschätzung bleibt, daß Verständigungen häufig mit dem Bedürfnis der Verfahrensbeteiligten, namentlich des Angeklagten, nach abschließender Erledigung des Strafverfahrens verbunden sind. Ausgehend von diesem Verständnis wird eine Frage des Gerichts nach einem Rechtsmittelverzicht unmittelbar nach Verkündung eines auf einer Absprache beruhenden Urteils nicht etwa bereits als sachwidrig abzuqualifizieren sein. Allein hieraus könnte daher kein hinreichendes Indiz für die Behauptung eines Revisionsführers entnommen werden, das Gericht habe unzulässigerweise „informell” bereits im Rahmen der Absprache auf den späteren Rechtsmittelverzicht hingewirkt.
4. Der Senat merkt im übrigen zur Folgeproblematik des Anfragebeschlusses an, daß er es für dringend bedenkenswert hält, ob und inwieweit bei einer nach einer Absprache stets zulässigen Revision die Statthaftigkeit bestimmter verfahrensrechtlicher, aber auch sachlichrechtlicher Einwände infolge der Mitwirkung des Revisionsführers an der Absprache zu verneinen wäre (offengeblieben im Verfahren 5 StR 286/03, vgl. Senatsurteil vom 13. August 2003). Es erscheint zweifelhaft, ob in solchen Fällen wesentlich mehr als die Frage nach Einhaltung der Grenzen einer zulässigen Verständigung zur revisionsgerichtlichen Prüfung zu stellen ist.
Schließlich ergibt sich aus Sicht des Senats aus der Billigung der zum Gegenstand der Anfrage gemachten Rechtsfragen nicht, daß einem Angeklagten stets ohne weiteres Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre, wenn er geltend macht, er habe die Revisionseinlegungsfrist versäumt, weil er sich an einen wegen unzulässiger Absprache unwirksamen Rechtsmittelverzicht gebunden glaubte.
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Gerhardt, Raum
Fundstellen
Haufe-Index 2559163 |
NJW 2004, 1335 |
JurBüro 2004, 511 |
wistra 2004, 70 |
StV 2004, 4 |
StraFo 2004, 20 |