Entscheidungsstichwort (Thema)
Landwirtschaftssache, Wegfall der Geschäftsgrundlage
Leitsatz (amtlich)
a) Ein Erbverzichtsvertrag schließt auch Nachabfindungsansprüche nach § 13 HöfeO aus.
b) Der dem Verzichtsvertrag zugrundeliegende Abfindungsvertrag kann nach den Grundsätzen über die Änderung und den Wegfall der Geschäftsgrundlage u. U. dann angepaßt werden, wenn die Vertragsteile mit dem Vertrag den Zweck nicht erreichen können, den sie angestrebt haben, ohne ihn zum Vertragsinhalt zu machen.
Normenkette
BGB § 2346; HöfeO § 13; BGB § 242
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) |
AG Meppen |
Gründe
I.
Die Beteiligten sind Geschwister. Ihre Eltern bestimmten durch notariellen Vertrag vom 18. Dezember 1980 unter anderem den Beteiligten zu 2 zum Hofeserben des Längstlebenden. In dem Vertrag heißt es, die Tochter (Beteiligte zu 1) sei bereits „von der Hofesstelle abgefunden”. Am 19. Dezember 1980 schloß die Beteiligte zu 1 mit ihren Eltern einen notariell beurkundeten „Erb- und Pflichtteilsverzicht”, in dem festgestellt wird, sie erhalte einen bestimmten Bausparvertrag. Sie erklärte sich „vom elterlichen Vermögen für abgefunden” und verzichtete „auf alle weiteren Erb- und Pflichtteilsansprüche gegenüber dem Nachlaß” ihrer Eltern. Diese nahmen den „Erbverzicht” der Tochter ausdrücklich an. Der Wert des „Erbverzichtsvertrages” wurde mit 19.000 DM angegeben.
Nach dem Tode seiner Eltern wurde der Beteiligte zu 2 am 24. Februar 1988 Hoferbe. Er hat den Hof im Dezember 1994 veräußert. Die Antragstellerin begehrt von ihm Auskunft über die Erlöse hinsichtlich des Hofes, des lebenden und toten Inventars, der Milchquote und sonstiger Lieferrechte. Sie meint, ihr Erbverzicht schließe Nachabfindungsansprüche nach § 13 HöfeO nicht ein.
Das Landwirtschaftsgericht hat den Antrag zurückgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihm stattgegeben. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde mit dem Ziel, die erstinstanzliche Entscheidung wieder herzustellen. Die Antragstellerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
II.
1. Die zulässige Rechtsbeschwerde (§ 24 Abs. 1 LwVG) ist begründet.
Das Berufungsgericht versteht den Vertrag vom 19. Dezember 1980 als Erbverzichtsvertrag nach §§ 2346, 2348 BGB, mit dem die Antragstellerin „aus dem Kreis der Miterben ausgeschieden sei”; es meint aber, dies bedeute bei „angemessener Beurteilung” nicht einen Verzicht auf Abfindungsergänzungsansprüche nach § 13 HöfeO. Diese Ansprüche entstünden erst mit „Verwirklichung des eine Ergänzungspflicht auslösenden Tatbestandes”. § 13 HöfeO wolle nicht lediglich „die Miterben wieder in die Stellung von uneingeschränkten Erben” bringen. Auch im Falle eines wirksamen Erbverzichts müsse deshalb geprüft werden, ob dieser die künftigen Ansprüche nach § 13 HöfeO umfassen solle. Das sei hier nicht der Fall. Die Urkunde erwähne nur Erb- und Pflichtteilsansprüche, aber nicht den Abfindungsergänzungsanspruch. Eine restriktive Auslegung sei geboten. Einen Verzicht auf Ausgleichsansprüche sei nur dann als gewollt anzunehmen, wenn er eindeutig und ausdrücklich unter Hinweis auf § 13 HöfeO erklärt werde. Diese strenge Handhabung sei „wegen der Unsicherheit und Unübersehbarkeit der Wertzuwächse in bezug auf den Hof” während der im allgemeinen langen Zeitdauer zwischen Verzichtserklärung und Anspruchsentstehung geboten.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
Abfindungsergänzungsansprüche nach § 13 HöfeO stehen nur den „nach § 12 Berechtigten” zu (§ 13 Abs. 1 Satz 1 HöfeO). Das sind die weichenden Miterben (§ 12 Abs. 1 HöfeO), oder die in § 12 Abs. 10 HöfeO genannten Personen, insbesondere also die Pflichtteilsberechtigten (vgl. auch Lange/Wulff/Lüdtke-Handjery, HöfeO, 9. Aufl., § 13 Rdn. 17; Wöhrmann/Stöcker, Landwirtschaftserbrecht, 6. Aufl., § 13 HöfeO Rdn. 8 bis 11). Wie das Beschwerdegericht ausdrücklich feststellt, hat die Beteiligte zu 1 mit Vertrag vom 19. Dezember 1980 auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichtet. Diese tatrichterliche Auslegung (die schon einen nahezu eindeutigen Wortlaut für sich hat) zieht auch die Beschwerdeerwiderung wohl nicht in Zweifel; jedenfalls aber erhebt sie insoweit keine durchgreifenden Rügen. Als abstraktes erbrechtliches Verfügungsgeschäft (BGHZ 37, 319, 327) bewirkte dieser Vertrag, daß die Antragstellerin von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen war, wie wenn sie zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebte; sie hat auch kein Pflichtteilsrecht mehr (§ 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB; vgl. auch Ermann/Schlüter, BGB, 9. Aufl., vor § 2346 Rdn. 1; MünchKomm-BGB/Strobel, BGB, 2. Aufl., § 2346 Rdn. 2 und 30; Palandt/Edenhofer, BGB, 55. Aufl., vor § 2346 Rdn. 4; Soergel/Damrau, BGB, 12. Aufl., § 2346 Rdn. 14). Diese Wirkung trat mit Vertragsschluß ein und bestand mithin im Zeitpunkt des hier maßgeblichen Erbfalls nach dem Tode ihrer Mutter am 24. Februar 1988, mit dem der Antragsgegner Hoferbe wurde. Auf diesen Zeitpunkt kommt es an (vgl. Faßbender/Hötzel/v. Jeinsen/Pikalo, HöfeO, 3. Aufl., § 13 Rdn. 46). Änderte der Vertrag vom 19. Dezember 1980 unmittelbar die gesetzliche Erbfolge, d.h. beseitigte er die Erbenstellung und die Pflichtteilsberechtigung der Antragstellerin, so sind damit rechtlich zwangsläufig die an diese Positionen der Antragstellerin geknüpften Abfindungs- und Nachabfindungsansprüche (§§ 12, 13 HöfeO ausgeschlossen. Für eine weitere Prüfung des Beschwerdegerichts zum Umfang des Verzichts blieb damit kein Raum. Dies ergibt sich auch aus der Funktion der Nachabfindungsregelung, die eine im Erbfall eingetretene Verkürzung erb- und güterrechtlicher Ansprüche nach Wegfall der höferechtlichen Zwecksetzung ausgleichen soll (BGHZ 38, 110, 115; 37, 122, 123 ff). Demgemäß ist in Literatur und Rechtsprechung weitgehend unbestritten, daß ein umfassender Erbverzichtsvertrag auch Nachabfindungsansprüche ausschließt (vgl. Faßbender/Hötzel/v. Jeinsen/Pikalo, aaO, Rdn. 57; Lange/Wulff/Lüdtke-Handjery, aaO, Rdn. 18; § 12 Rdn. 16 und 17; Wöhrmann/Stöcker, Landwirtschaftserbrecht, aaO, Rdn. 10 und 133; OLG Düsseldorf, AgrarR 1975, 108, 109 mit zust. Anm. von Lüpke; AG Bielefeld, RdL 1981, 290, 291; Steffen, RdL 1981, 286).
Der Hinweis des Berufungsgerichts auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg, AgrarR 1978, 232 = NdsRpfl 1978, 146) ist verfehlt. Diese Entscheidung betraf eine Fallgestaltung, in der mit einer Klausel im Hofübergabevertrag geregelt wurde, „Abfindungsansprüche” stünden den weichenden Geschwistern des Hofübernehmers nicht mehr zu. Sie wurde dahin ausgelegt, daß sie Nachabfindungsansprüche nicht erfasse. Es geht hier aber nicht um mehr oder minder auslegungsfähige Abfindungsverzichtsklauseln in Übergabeverträgen (vgl. auch Lüpke, AgrarR 1974, 272 ff) und Vergleichen (vgl. dazu OLG Celle, AgrarR 1972, 504) oder die entsprechende Festlegung in Testamenten (vgl. dazu etwa OLG Celle, RdL 1982, 333 ff). Sie mögen restriktiv interpretiert werden (vgl. auch Wöhrmann/Stöcker, aaO, Rdn. 133; Faßbender/Hötzel, v. Jeinsen/Pikalo, aaO, Rdn. 57). Es mag in Einzelfällen auch möglich sein, Verträge, mit denen sich potentielle Miterben in bezug auf einen bestimmten Nachlaß für „abgefunden” erklärt haben, nicht notwendigerweise auch als Erbverzicht auszulegen (vgl. zu entsprechenden Klauseln in Übergabeverträgen BayObLGZ 81, 30; BayObLG AgrarR 1983, 220). Hier ist die Sachlage nach der rechtsfehlerfreien Vertragsauslegung des Berufungsgerichts aber anders; die Antragstellerin hat sich mit einem Erbverzicht jegliche Grundlage für Abfindungs- und Nachabfindungsansprüche entzogen, weil sie aus dem Kreis der Miterben ausgeschieden ist.
Der Senat verkennt nicht, daß dies für die Antragstellerin nunmehr schwerwiegende Folgen hat. Ob in ihrem Vorbringen, sie habe bei Abschluß des Erbverzichtsvertrages nicht an mögliche Nachabfindungsansprüche gedacht, eine Anfechtungserklärung liegen könnte, ob diese nach dem Tode des Erblassers überhaupt noch möglich wäre (vgl. Palandt/Edenhofer, aaO, vor § 2346 Rdn. 2) und ob sie rechtzeitig wäre, mag offenbleiben. Ein Anfechtungsgrund lag jedenfalls nicht vor. Wenn ein irrtumsfrei erklärtes und gewolltes Geschäft außer der erstrebten Wirkung noch andere nicht erkannte und nicht gewollte Nebenfolgen bringt, so berechtigt dies nicht zur Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB (vgl. RGZ 89, 29, 33; 98, 136, 139; 134, 195, 197 ff; BGHZ 70, 47, 48; BGH, Urt. v. 15. Dezember 1994, IX ZR 252/93, NJW 1995, 1485; MünchKomm-BGB/Kramer 3. Aufl., § 119 Rdn. 71 a; Ermann/Brox, BGB, 9. Aufl., § 119 Rdn. 37; Palandt/Heinrichs, BGB, 55. Aufl., § 119 Rdn. 15).
Die Antragstellerin hat sich im übrigen ihrer Erbenstellung in bezug auf einen bestimmten Nachlaß begeben. Inhärentes Risiko dieses Rechtsgeschäfts ist schon, wie sich das Vermögen des Erblassers bis zum Erbfall entwickelt. Erst recht gilt dies für das Schicksal des Nachlasses in der Hand des Erben. Ein Anfechtungsrecht wegen eines Irrtums über die Verwirklichung dieses Risikos ist damit ausgeschlossen (vgl. Degenhart, Rpfl 1969, 145, 147; Soergel/Damrau, aaO, § 2346 Rdn. 20).
Ob die Antragstellerin über die Rechtswirkungen ihres Erbverzichts vom Notar ausreichend belehrt worden ist (§ 17 BeurkG), kann allenfalls Bedeutung für Schadensersatzansprüche gegen den Notar haben, über die der Senat nicht zu entscheiden hat.
Gleichwohl ist der Streit der Beteiligten nicht im Sinne einer Antragsabweisung zur Entscheidung reif. Es bedarf weiterer tatsächlicher Feststellungen (§ 12 FGG) zu einem rechtlichen Gesichtspunkt, der bisher ersichtlich übersehen worden ist. Die Beteiligten müssen insoweit Gelegenheit zur Äußerung erhalten. Es kommt eine Anpassung des Abfindungsvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht, die dazu führen kann, daß der Antragstellerin Nachabfindungsansprüche unter Anrechnung einer bereits erhaltenen Abfindung erhalten bleiben.
Hinter dem abstrakten erbrechtlichen Verfügungsvertrag des Erbverzichts steht in der Regel ein kausaler schuldrechtlicher Abfindungsvertrag. Der Senat folgt insoweit der inzwischen herrschend gewordenen Meinung, die ebenfalls die Möglichkeit eines solchen Grundgeschäfts bejaht (vgl. MünchKomm-BGB/Strobel, 2. Aufl., § 2346 Rdn. 21; Palandt/Edenhofer, BGB, 55. Aufl., vor § 2346 Rdn. 7; Soergel/Damrau, BGB, 12. Aufl., § 2346 Rdn. 3; Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB, 12. Aufl., vor § 2346 Rdn. 59; BayObLGZ 81, 30, 33; zurückhaltend noch BGHZ 37, 319, 327 ff). Der Erbverzichtsvertrag verweist hier selbst auf das dahinterstehende Grundgeschäft zur Abfindung der Antragstellerin in Gestalt eines bestimmten Bausparvertrages. In diesen Abfindungsvertrag ist der Antragsgegner als Schlußerbe nach seinen Eltern eingetreten (§ 1922 Abs. 1, § 1967 Abs. 1 BGB). Ihm gegenüber kommt mithin auch eine Anpassung dieses Abfindungsvertrages in Betracht, falls die Voraussetzungen hierfür nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben sein sollten. Eine solche Anpassung mag zwar ausscheiden, soweit es um das Risiko der Wertentwicklung des Nachlasses für den Verzichtenden geht (vgl. MünchKomm-BGB/Strobel, aaO, Rdn. 24; BGHZ 113, 310, 314), kommt aber nach Auffassung des Senats zur Lösung anderer Schwierigkeiten in Betracht, insbesondere dann, wenn sich später herausstellt, daß die Vertragsteile mit dem Vertrag den Zweck nicht erreichen können, den sie angestrebt haben, ohne ihn zum Vertragsinhalt zu machen (vgl. Soergel/Damrau, aaO, Rdn. 20 m.w.N.; Staudinger/Ferid/Cieslar, aaO, Rdn. 31; vgl. auch BGHZ aaO). Die Antragstellerin hat angedeutet und später näher ausgeführt, sie habe den Erbverzicht nur erklärt, um auf Wunsch der Eltern, den Hof in der Hand ihres Bruders und seiner Nachkommen zu erhalten. Dies liegt nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch nahe. Wäre dies Geschäftsgrundlage des Abfindungsvertrages geworden, so wäre sie weggefallen, nachdem der Antragsgegner den Hof insgesamt schon sechs Jahre nach dem Erbfall veräußert hat, und die Antragstellerin könnte unter Umständen eine Anpassung des Abfindungsvertrages verlangen, falls ihr das Festhalten an der ursprünglichen Abfindung nach Maßgabe einer umfassenden Interessenabwägung nicht zuzumuten wäre. Unter diesen Umständen kann ein Fortfall der Geschäftsgrundlage auch dann zu berücksichtigen sein, wenn der Vertrag beiderseits bereits voll erfüllt ist (BGHZ 73, 370, 373). Der Senat hält es für möglich, dann eine Anpassung der Abfindungsregelung dahin vorzunehmen, daß der Antragstellerin Nachabfindungsansprüche (§ 13 HöfeO) unter Anrechnung einer bereits erhaltenen Abfindung erhalten bleiben. Der Schutz des höferechtlichen Sondererbrechts unter Benachteiligung weichender Erben macht Sinn zur Erhaltung leistungsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe in der Hand des Hoferben. Vor dem Hintergrund dieses Gesetzeszwecks sollte ein Wegfall der oben unterstellten Geschäftsgrundlage billigerweise dazu führen, die Antragstellerin wenigstens nach höferechtlichen Grundsätzen abzufinden.
Fundstellen
Haufe-Index 609928 |
BGHZ, 152 |
NJW 1997, 653 |
NWB 1997, 514 |
JZ 1998, 141 |
MDR 1997, 258 |