Leitsatz (amtlich)
Ein Bankinstitut kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist (hier: zum Beweis der Unechtheit der Urkunden).
Normenkette
ZPO § 142 Abs. 2, § 383 Abs. 1 Nr. 6, § 387; FamFG § 30 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Bamberg vom 28. März 2022 wird auf Kosten der sonstigen Beteiligten zurückgewiesen.
Gründe
I.
Rz. 1
Das Verfahren betrifft den Zwischenstreit über ein von der sonstigen Beteiligten (im Folgenden: Bausparkasse) geltend gemachtes Zeugnisverweigerungsrecht. Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ist die Folgesache Versorgungsausgleich im Scheidungsverbund.
Rz. 2
Die Antragstellerin (im Folgenden: Ehefrau) und der Antragsgegner (im Folgenden: Ehemann) sind getrennt lebende Eheleute. Gemeinsam mit der Mutter des Ehemanns sind sie Miteigentümer eines von ihnen bewohnten Anwesens. Auf Antrag der Ehefrau ist das Scheidungsverfahren anhängig.
Rz. 3
Der Ehemann hat beantragt, von der Durchführung des von Amts wegen als Folgesache eingeleiteten Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG abzusehen. Dazu hat er vorgetragen, die Ehefrau habe unberechtigt seine Unterschriften auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung vom 3. Februar 2011 angebracht.Hiervon habe er erstmals erfahren, als die Bausparkasse ihn im März 2019 auf Zahlung von rund 19.500 € für ein Darlehen des volljährigen Sohnes in Anspruch genommen habe.
Rz. 4
Zum Beweis der behaupteten Fälschung seiner Unterschriften hat der Ehemann die Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens beantragt sowie zu diesem Zweck die an die Bausparkasse gerichtete gerichtliche Anordnung, die in ihrem Besitz befindlichen Originale der in Kopie vorliegenden Bürgschaftsurkunde und Eigentümererklärung vorzulegen, begehrt. Die Bausparkasse hat die Vorlage der beiden Original-Urkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO verweigert, da die Unterlagen ein Darlehensverhältnis zwischen ihr und einer dritten, am gerichtlichen Verfahren nicht beteiligten Person beträfen, die ihr ausdrücklich die Herausgabe der Unterlagen untersagt habe. Das Amtsgericht hat sich aufgrund des aus seiner Sicht bestehenden Zeugnisverweigerungsrechts gehindert gesehen, die Vorlage der Urkunden anzuordnen.
Rz. 5
Mit Zwischenbeschluss hat es den Antrag des Ehemanns, zu erkennen, dass die Weigerung unberechtigt sei, hilfsweise, dass die Bausparkasse die Vorlegung nach § 142 Abs. 2 ZPO nicht verweigern könne, zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Ehemanns hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass die Bausparkasse nicht berechtigt sei, die Vorlage der beiden Original-Urkunden zu verweigern. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Bausparkasse.
II.
Rz. 6
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO aufgrund Zulassung statthafte Rechtsbeschwerde (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Mai 2023 - XII ZB 124/22 - FamRZ 2023, 1380 Rn. 4 mwN) hat in der Sache keinen Erfolg.
Rz. 7
1. Das Beschwerdegericht hat seine in FamRZ 2022, 1115 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet:
Rz. 8
Die Bausparkasse sei nicht berechtigt, die Vorlage der beiden Original-Urkunden zu verweigern. Ein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO stehe ihr nicht aufgrund des Bankgeheimnisses zu. Dieses beziehe sich auf kundenbezogene Tatsachen und Wertungen, die einem Kreditinstitut aufgrund, aus Anlass oder im Rahmen der Geschäftsverbindung zum Kunden bekannt geworden seien und die der Kunde geheimzuhalten wünsche. Kundenbezogene Tatsachen, also Informationen in Bezug auf den Sohn der Beteiligten als Darlehensnehmer, enthielten die Bürgschaftsurkunde und Eigentümererklärung jedoch nicht bzw. lediglich insoweit, als in der Bürgschaftsurkunde das gewährte Darlehen betragsmäßig samt Konditionen und Darlehensnehmer bezeichnet werde. Diese Informationen seien aber ohnehin bereits durch Übermittlung von Kopien der Urkunden offenbart und im Verfahren bekannt. Dem Ehemann gehe es mit seinem Beweisantrag um die von ihm bestrittene Echtheit und nicht um den Inhalt der Urkunde. Dabei handele es sich jedoch nicht um eine Tatsache in Bezug auf den Darlehensnehmer als Kunden der Bausparkasse.
Rz. 9
2. Das hält rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand.
Rz. 10
a) Nach dem gemäß § 30 Abs. 1 FamFG entsprechend anwendbaren § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind Personen, denen kraft ihres Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der Tatsachen, auf welche die Verpflichtung zur Verschwiegenheit sich bezieht, zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Die Vorschrift, die nach §§ 142 Abs. 2, 428, 429 Satz 2 ZPO und §§ 144 Abs. 2 Satz 1, 371 Abs. 2 Satz 2, 428, 429 Satz 2 ZPO auch für die Vorlegung von Urkunden und Augenscheinsobjekten durch Dritte Anwendung findet, begründet ein Zeugnisverweigerungsrecht für die dem zivilrechtlichen Bankgeheimnis unterfallenden Tatsachen (vgl. BGH Urteil vom 21. Oktober 2015 - I ZR 51/12 - NJW 2016, 2190 Rn. 22; Musielak/Voit/Huber ZPO 20. Aufl. § 383 Rn. 6 aE mwN; MünchKommZPO/Damrau/Weinland 6. Aufl. § 383 Rn. 39 mwN; Schwintowski/Schantz Bankrecht 6. Aufl. Kap. 4 Rn. 32).
Rz. 11
Dieses Bankgeheimnis gilt jedoch nicht grenzenlos (vgl. Ellenberger/Bunte/Krepold/Zahrte Bankrechts-Handbuch 6. Aufl. § 8 Rn. 87 ff.; Hopt/Hopt HGB 42. Aufl. (7) Bankgeschäfte Rn. A10; Schwintowski/Schantz Bankrecht 6. Aufl. Kap. 4 Rn. 34 ff.; Pabst Zur Reichweite der Verschwiegenheitspflicht im Kreditgewerbe 2010 S. 24 ff.). So sieht bereits das Gesetz selbst Durchbrechungen vor (vgl. etwa § 840 ZPO und Langenbucher/Bliesener/Spindler/Müller-Christmann Bankrechts-Kommentar 3. Aufl. Kap. 1 Rn. 73 mwN). Darüber hinaus kann es zu einer Kollision des Bankgeheimnisses mit Aufklärungs- oder Auskunftsansprüchen eines anderen Kunden oder eines Dritten kommen, die im Einzelfall durch eine Interessen- und Güterabwägung zu lösen ist (vgl. BGHZ 107, 104 = FamRZ 1989, 608, 609; BGH Urteil vom 27. November 1990 - XI ZR 308/89 - NJW 1991, 693, 694). Insbesondere in Fällen von Kreditsicherheiten eines Dritten für eine fremde Darlehensschuld wie bei einer Bürgschaft oder Grundschuld kann im Einzelfall eine Aufklärungs- oder Informationspflicht bestehen, die dem Bankgeheimnis vorgeht (vgl. Ellenberger/Bunte/Krepold/Zahrte Bankrechts-Handbuch 6. Aufl. § 8 Rn. 115 ff. und Ellenberger/Bunte/Nobbe/Derstadt Bankrechts-Handbuch 6. Aufl. § 70 Rn. 223 ff.; Schwintowski/Schantz Bankrecht 6. Aufl. Kap. 4 Rn. 55 mwN; Pabst Zur Reichweite der Verschwiegenheitspflicht im Kreditgewerbe 2010 S. 30 f. mwN).
Rz. 12
b) Nach diesen Maßgaben hat das Beschwerdegericht im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Bausparkasse nicht berechtigt ist, gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage der Originale der Bürgschaftsurkunde und der Eigentümererklärung zu verweigern. Denn dem als Drittsicherungsgeber in Anspruch genommenen Ehemann steht gegenüber der Bausparkasse ein Einsichtsrecht nach § 810 Alt. 2 BGB zu, hinter dem im vorliegenden Fall das Bankgeheimnis zurücktreten muss.
Rz. 13
aa) Nach § 810 Alt. 2 BGB kann jeder die Gestattung der Einsicht in eine Urkunde von deren Besitzer verlangen, wenn die Urkunde in seinem Interesse - nämlich zumindest auch für ihn als Beweismittel (vgl. Grüneberg/Sprau BGB 82. Aufl. § 810 Rn. 3) - errichtet wurde und in dieser ein zwischen ihm und einem anderen bestehendes - gegebenenfalls unwirksames (vgl. hierzu Grüneberg/Sprau BGB 82. Aufl. § 810 Rn. 6 f.) - Rechtsverhältnis beurkundet ist. Auf ein rechtliches Interesse kann sich jeder berufen, der - wie hier der Ehemann - die Einsichtnahme in eine Urkunde zur Förderung, Erhaltung oder Verteidigung seiner rechtlich geschützten Interessen benötigt (vgl. BGH Urteil vom 27. Mai 2014 - XI ZR 264/13 - NJW 2014, 3312 Rn. 21 mwN). So steht etwa dem Bürgen gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners grundsätzlich ein Einsichtsrecht in die das Rechtsverhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner betreffenden Urkunden zu (vgl. BGH Urteil vom 27. Mai 2014 - XI ZR 264/13 - NJW 2014, 3312 Rn. 20 ff.). Nichts Anderes kann für denjenigen gelten, der seiner Inanspruchnahme als Bürge mit der substantiierten Behauptung entgegentritt, die Bürgschaftserklärung sei gefälscht, und der die Einsichtnahme in die Bürgschaftsurkunde benötigt, um diese Behauptung zu beweisen.
Rz. 14
Im vorliegenden Fall hat der Ehemann ein solches schützenswertes rechtliches Interesse an der Einsichtnahme und damit an der Vorlage der Originale der beiden Urkunden im gerichtlichen Verfahren, da sie zur Einholung des schriftvergleichenden Gutachtens und damit zur Aufklärung seiner Behauptung, seine Ehefrau habe die Unterschriften gefälscht, notwendig sind.
Rz. 15
bb) Hinter diesem rechtlichen Interesse des Ehemanns muss unter den hier maßgeblichen Umständen das durch das Bankgeheimnis geschützte Geheimhaltungsinteresse der Bausparkasse zurücktreten. Dabei ist bei der erforderlichen Abwägung auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang die aufklärungspflichtige Bank gezwungen wäre, Einzelheiten ihrer Geschäftsverbindung mit einem anderen Kunden und über dessen Vermögenslage zu offenbaren (vgl. BGH Urteil vom 27. November 1990 - XI ZR 308/89 - NJW 1991, 693, 694). Die beiden Urkunden, insbesondere die Eigentümererklärung, enthalten nur wenige Einzelheiten über die Geschäftsverbindung zwischen der Bausparkasse und ihrem Kunden. Die Bürgschaftsurkunde benennt neben der Bausparvertrag-Nummer den Darlehensnehmer, den Darlehensbetrag sowie die Konditionen des Darlehens. Die Eigentümererklärung beschränkt sich demgegenüber auf die Mitteilung der Darlehensgewährung, des Darlehensnehmers und der Bausparvertrag-Nummer. Diese Umstände sind aber, wie das Beschwerdegericht zu Recht ausführt, aufgrund der Kopien der Urkunden, die die Bausparkasse zur Realisierung ihrer eigenen Ansprüche übersandt hat, bereits offenbart und bekannt. Soweit - abgesehen vom Inhalt - weitere Einzelheiten der Urkunden wie ihr Material und ihre Beschaffenheit bislang nicht bekannt sind, ändert dies entgegen der Rechtsbeschwerde nichts daran, dass vorliegend das Geheimhaltungsinteresse der Bank gegenüber dem Informationsinteresse des Ehemanns als geringer zu gewichtigen ist.
Rz. 16
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO).
Guhling |
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Günter |
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Nedden-Boeger |
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Pernice |
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Recknagel |
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Fundstellen
Haufe-Index 16191286 |
NJW 2024, 10 |
NJW 2024, 973 |
WM 2024, 302 |
WuB 2024, 141 |
ZAP 2024, 203 |
DZWir 2024, 354 |
JZ 2024, 150 |
NZI 2024, 181 |
ZInsO 2024, 914 |
BKR 2024, 772 |
FF 2024, 176 |
FamRB 2024, 6 |
GWR 2024, 95 |
ZBB 2024, 316 |
NZFam 2024, 317 |