Leitsatz (amtlich)
Aus der Gewährleistung des Eigentums und deren Einwirkung auf das Zwangsversteigerungsverfahren lassen sich keine allgemein gültigen Verfahrensregeln herleiten. Ob aus dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens ein besonderer Termin zur Verkündung der Zuschlagsentscheidung anzusetzen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Das Nichterscheinen des Schuldners im Versteigerungstermin hindert den sofortigen Zuschlag regelmäßig nicht.
Normenkette
GG Art. 14 Abs. 1 S. 1; ZVG § 83 Nr. 6, § 100
Verfahrensgang
LG Tübingen (Beschluss vom 10.06.2003; Aktenzeichen 5 T 50/03) |
AG Tübingen (Beschluss vom 13.01.2003; Aktenzeichen 3 K 25/02) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Ersteher wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Tübingen v. 10.6.2003 (5 T 50/03) aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde des Vollstreckungsschuldners gegen den Zuschlagsbeschluss des AG Tübingen v. 13.1.2003 (3 K 25/02) wird zurückgewiesen. Damit verbleibt es bei der Zuschlagsentscheidung des AG.
Der Vollstreckungsschuldner trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Der Beschwerdewert wird auf 25.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Das AG Tübingen hat die im Wege des Gesamtausgebots versteigerten vier Eigentumswohnungen den Rechtsbeschwerdeführern im Versteigerungstermin v. 13.1.2003 zum Bargebot von 230.000 EUR zugeschlagen. Als Teil des geringsten Gebotes blieben sieben den Ansprüchen der betreibenden Gläubigerin im Rang vorgehende Grundpfandrechte über insgesamt 260.758,83 EUR bestehen. Die Hälfte des Grundstückswertes für ein zuschlagsfähiges Gebot im ersten Versteigerungstermin (§ 85a Abs. 1 ZVG) lag bei 450.900 EUR (festgesetzter Verkehrswert gem. § 74a Abs. 5 ZVG: 901.800 EUR) und wurde durch das Gebot der Ersteher mit insgesamt 490.758,68 EUR (230.000 EUR Bargebot zzgl. 260.758,83 EUR bestehen bleibende Grundpfandrechte) überschritten.
Der frühere Eigentümer von zwei der versteigerten vier Einheiten war der Vater des Schuldners, der am 7.1.2003 verstorben und am 10.1.2003 beerdigt worden war. Sein Alleinerbe war der Schuldner, dem die anderen zwei versteigerten Einheiten gehörten. Am Versteigerungstermin nahm der Vollstreckungsschuldner nicht teil und war auch nicht vertreten. Einen Vertagungsantrag wegen des Todesfalles hatte er nicht gestellt, obwohl er vom Rechtspfleger ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war.
Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das LG den Zuschlagsbeschluss aufgehoben und den Zuschlag an die Rechtsbeschwerdeführer versagt. Hiergegen richtet sich deren - zugelassene - Rechtsbeschwerde, mit der sie die Zuschlagserteilung erreichen wollen.
II.
Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das LG hat gemeint, es liege der Zuschlagsversagungsgrund des § 83 Nr. 6 ZVG vor, weil der die Versteigerung leitende Rechtspfleger mit der sofortigen Verkündung der Zuschlagsentscheidung im Versteigerungstermin den Anspruch des Schuldners auf ein faires Verfahren verletzt habe. Denn der Schuldner habe das nur knapp über der Mindestgrenze des § 85a Abs. 1 ZVG liegende Versteigerungsergebnis vor Erlass des Zuschlagsbeschlusses nicht zur Kenntnis nehmen können. Da dem Rechtspfleger der Todesfall bekannt gewesen sei, hätte er angesichts des Ergebnisses der Versteigerung einen besonderen Termin für die Verkündung der Zuschlagsentscheidung bestimmen müssen, auch wenn vom Schuldner kein Antrag auf Vertagung des Versteigerungstermins gestellt worden sei. Dies folge aus der Verpflichtung des Gerichts, den Eigentumsschutz des Art. 14 GG effektiv zu gestalten und das Verfahrensgrundrecht des rechtlichen Gehörs zu gewährleisten. Die verfahrensfehlerhafte sofortige Verkündung der Zuschlagsentscheidung stelle nicht eine unbedeutende Beeinträchtigung lediglich formaler Rechte des Schuldners dar. Denn es sei davon auszugehen, dass dieser noch vor dem Termin zur Verkündung der Zuschlagsentscheidung einen Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO unter Hinweis auf ein nach dem Versteigerungstermin abgegebenes, um ca. 25.000 EUR höheres Angebot eines Kaufinteressenten gestellt hätte. Dass ein solcher Schutzantrag bei der erforderlichen Abwägung zwischen den Interessen des Schuldners und der Gläubiger Erfolg gehabt hätte, liege zumindest sehr nahe.
2. Demgegenüber vertritt die Rechtsbeschwerde die Auffassung, ein Schutzantrag des Schuldners gem. § 765a ZPO wäre aussichtslos gewesen. Der Kaufinteressent versuche im Zusammenwirken mit dem Schuldner, unter Umgehung des Zwangsversteigerungsverfahrens die Eigentumswohnungen zu einem günstigen Preis zu erwerben.
3. Zu Unrecht hat das LG gem. § 83 Nr. 6, § 100 Abs. 1 und 3 ZVG den Zuschlagsbeschluss des AG v. 13.1.2003 aufgehoben und den Zuschlag an die Rechtsbeschwerdeführer versagt. Die Verfahrensführung durch das Vollstreckungsgericht war rechtsfehlerfrei. Mit der sofortigen Verkündung der Zuschlagsentscheidung im Versteigerungstermin hat es insb. nicht das Grundrecht des Schuldners auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) sowie seinen Anspruch auf eine "faire Verfahrensführung" verletzt.
a) Gemäß § 87 Abs. 1 und 2 ZVG ist der Beschluss, durch den der Zuschlag erteilt oder versagt wird, im Versteigerungstermin oder in einem sofort zu bestimmenden Termin, der nicht über eine Woche hinaus anberaumt werden soll, zu verkünden. Grundsätzlich entscheidet das Vollstreckungsgericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen, ob es einen besonderen Verkündungstermin ansetzen will. Beim Vorliegen besonderer Umstände kann es dazu bei einer verfassungskonformen Anwendung des § 87 Abs. 1 ZVG verpflichtet sein (vgl. BVerfG BVerfGE 46, 325; Stöber, ZVG, 17. Aufl., § 87 Rz. 2.1., Böttcher, ZVG, 3. Aufl., § 87 Rz. 3).
Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes beeinflusst nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Vermögensrechts, sondern wirkt auch auf das zugehörige Verfahren ein. Bei einem Eingriff in das Eigentum im Wege der Zwangsversteigerung folgt daher unmittelbar aus Art. 14 des Grundgesetzes die Verpflichtung der Gerichte, die Verhandlung fair zu führen und dem betroffenen Eigentümer einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren, um eine Verschleuderung seines Grundvermögens verhindern zu können. Im Fall einer Zwangsversteigerung bedeutet dies, dass dem Schuldner bei einem krassen Missverhältnis zwischen Meistgebot und Grundstückswert die Möglichkeit gegeben werden muss, vom Versteigerungsergebnis Kenntnis zu erhalten und Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. BVerfG BVerfGE 46, 325 [333 ff.]).
Aus der dargestellten Garantiefunktion des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG lassen sich keine allgemeinen, für sämtliche in Betracht kommenden Versteigerungsfälle gleichermaßen geltende Regeln herleiten. Ob der Anspruch auf eine "faire Verfahrensführung" einen eigenen Termin zur Verkündung der Zuschlagsentscheidung erfordert, lässt sich nur unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilen (vgl. OLG Celle Rpfleger 1979, 116). Dabei ist insbesondere die Abwesenheit des Schuldners im Versteigerungstermin allein grundsätzlich kein zwingender Anlass, einen besonderen Termin zur Verkündung der Zuschlagsentscheidung zu bestimmen (vgl. OLG Frankfurt v. 12.2.1991 - 20 W 9/91, Rpfleger 1991, 470; Stöber, ZVG, 17. Aufl., § 87 Rz. 2).
b) Im Streitfall war der Rechtspfleger bei einer verfassungskonformen Anwendung des § 87 Abs. 1 und 2 ZVG nicht verpflichtet, einen besonderen Verkündungstermin für die Zuschlagsentscheidung anzusetzen.
Der Vollstreckungsschuldner hatte durch sein Verhalten dem Vollstreckungsgericht zu erkennen gegeben, dass trotz der Belastungen durch den Tod und die Beerdigung des Vaters der Versteigerungstermin entsprechend den gesetzlichen Vorschriften durchgeführt werden solle. Denn er hatte keinen Vertagungsantrag gestellt, obwohl er von dem die Zwangsversteigerung leitenden Rechtspfleger auf diese Möglichkeit ausdrücklich hingewiesen worden war. Über die Umstände des Zwangsversteigerungsverfahrens war er vollständig informiert, weil nicht nur die vom Vater geerbten, sondern auch die eigenen Wohnungen zur Versteigerung anstanden. Da die Beerdigung bereits drei Tage zuvor erfolgt war, war der Schuldner durch den Todesfall nicht gehindert, an der Versteigerung teilzunehmen. Zumindest hätte er einen Vertreter mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragen können.
Auf Grund des Ergebnisses der Versteigerung bestand für den Rechtspfleger kein Anlass, einen besonderen Verkündungstermin für die Zuschlagsentscheidung zu bestimmen. Das Meistgebot lag über der Hälfte des Grundstückswertes (§ 85a Abs. 1 ZVG) und hielt sich damit im gesetzlichen Rahmen. Ein krasses Missverhältnis zwischen Meistgebot und Grundstückswert war offensichtlich nicht gegeben. Für das Vollstreckungsgericht waren keine Anhaltspunkte für einen aussichtsreichen Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO erkennbar.
Unter diesen Umständen war der Rechtspfleger nicht verpflichtet, dem Schuldner vor Erteilung des Zuschlags das Ergebnis der Versteigerung mitzuteilen und ihm durch die Anberaumung eines besonderen Verkündungstermins Gelegenheit zu geben, Vollstreckungsschutz in Anspruch zu nehmen. Die im Versteigerungstermin ergangene Zuschlagsentscheidung ist deshalb aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Fundstellen
Haufe-Index 1131030 |
BGHR 2004, 920 |
EBE/BGH 2004, 4 |
NJW-RR 2004, 1074 |
WM 2004, 901 |
WuB 2004, 901 |
ZfIR 2004, 1033 |
MDR 2004, 774 |
Rpfleger 2004, 434 |